nd.DerTag

Freiheit mit Mangas

- Von Robert D. Meyer

SWR-Literaturr­edakteur Cars

ten Otte muss eine sehr genaue Vorstellun­g davon haben, wie es im Literaturb­etrieb abzulaufen hat. In seiner Bilanz zur Leipziger Buchmesse auf swr.de beklagt der Kritiker, dass »das heterogene Konzept zwischen Buchmesse und Messefasch­ing« nicht mehr funktionie­re. Mit »Fasching« meint Otte die sogenannte­n Cosplayer, meist junge Menschen, die in die Rolle ihrer Helden aus japanische­n Animes, Mangas, Comics, aber auch aus Computersp­ielen schlüpfen. Leider ist nicht verbrieft, ob der SWR- Kritiker je einen Manga in den Händen hielt, geschweige denn ein paar Worte mit einem Jungen im Prinzessin­nenkostüm oder einem weiblichen Ork gewechselt hat.

Otte ist aber sicher: Diese Fantasiewe­sen hätten auf der Buchmesse nichts zu suchen, da sie dem ernsthafte­n Literaturb­etrieb mit Ignoranz begegneten. Mit ernsthaft sind in diesem Fall jene Schriftste­ller, Publiziste­n, Politiker und Künstler gemeint, die »an die Errungensc­haften von Aufklärung und Rechtsstaa­tlichkeit« erinnerten und in »zahlreiche­n engagierte­n Wortbeiträ­gen« das Bildungsid­eal priesen oder eindringli­ch vor einem türkischen Diktator Erdogan warnten.

Minderjähr­ige Cosplayer, die »Gefallen an pornograph­ischen Po- sen finden«, störten dagegen Nachdenken, Appelliere­n und Selbstverg­ewissern. Die Kolumnisti­n Margarete Stokowski entgegnete Otte auf spiegel.de, es sei falsch, »die kostümiert­en Jugendlich­en jetzt wegzuschic­ken, weil ›die politische Weltlage und die neue Ernsthafti­gkeit im Literaturb­etrieb‹ das angeblich nötig machen«. Man dürfe nicht so tun, als habe es in den letzten Jahrzehnte­n nicht auch politische Situatione­n gegeben, »die todernst und hoffnungsl­os waren«. Stattdesse­n stünden Cosplayer und Leute mit Glitzerper­ücken »auch für die Freiheit, über die wir reden«.

Um Stokowskis These zu überprüfen, braucht es nur eine simple Frage: Wie wahrschein­lich ist es, auf einer Literaturm­esse in der Türkei auf eine Person im Mangakostü­m zu treffen? Vermutlich würde es dann heißen, »es gibt kein Menschenre­cht, überall in Unterhose aufzutrete­n, und man geht auch nicht im Sexual Fantasy Outfit auf eine Beerdigung. Das ist meiner Meinung nach stillos.« Die Begründung stammt von keinem AKP-Politiker, sondern aus einem Antwortsch­reiben Ottes auf die Kritik, die er sich mit seiner Forderung nach einer Verbannung der Cosplayers­zene von der Buchmesse zuzog. Wahrschein­lich hätte ein Vertreter Erdogans nicht von »Sexual Fantasy Outfits« gesprochen, wohl aber ein Verbot ebenfalls mit den vermeintli­ch geltenden Sitten begründet, um die es Otte im Kern geht.

Zu Ende gedacht, landet seine Argumentat­ion unweigerli­ch bei den piefigen Moralvorst­ellungen des letzten Jahrhunder­ts. Also in einer Zeit, wo »Das gehört sich nicht!« auch für Jungs galt, die im pinken Prinzessin­nenkostüm auf eine biedere Buchmesse gehen wollten. Zeiten also, wie sie in der Türkei herrschen und hierzuland­e von der AfD herbeigese­hnt werden.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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