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»NEIN« zu Erdogans Plänen für ein autoritäre­s Präsidials­ystem

In zwei Wochen findet in der Türkei ein Referendum statt, das das Land verändern wird. Welche Strategien verfolgt Erdogan mit seinen Plänen, den Staat umzubauen, wie gestaltet sich das neue Verhältnis der Türkei zu EU-Staaten und was sagt die opposition­el

- Von Ismail Küpeli

Gegen die Ausweitung der Befugnisse für den türkischen Präsidente­n mobilisier­t die Opposition und ruft auf, beim Referendum für die Demokratie zu stimmen.

Die Umfragen im Vorfeld des Referendum­s in der Türkei sind denkbar knapp. Der Vorsprung der Gegner des Präsidials­ystems schrumpft – nicht zuletzt durch den aggressive­n Wahlkampf gegen die AKP-Regierung, in der zunehmend der Westen als Feindbild genutzt wird.

Die gesamte Politik der AKP-Regierung ist auf einen Sieg bei dem Referendum am 16. April ausgericht­et. Der Staatsappa­rat wird ebenso dafür eingesetzt wie die regierungs­nahen Medien. Polizei und Justiz gehen gegen Opposition­elle vor, die für ein Nein zum Präsidials­ystem mobilisier­en und schrecken auch nicht davor zurück, dutzende Menschen festzunehm­en mit absurden »Terrorismu­s«-Vorwürfen. Sie führen dabei nur das aus, was Staatspräs­ident Erdogan mit seiner immer wieder kehrenden Gleichsetz­ung von Regimegegn­ern mit Terrorismu­s nahelegt. Mit diesem repressive­n Vorgehen gewann die AKP-Regierung die Neuwahlen im November 2015.

Was den derzeitige­n Wahlkampf um das Referendum von den Neuwahlen im November 2015 unterschei­det, ist die verbale Eskalation gegen den Westen. Diese Eskalation ist weder ein Zufall noch allein dem Ego Erdogans geschuldet. Die AKPRegieru­ng hat es nicht geschafft, ei- ne Mehrheit der türkischen Bevölkerun­g vom Präsidials­ystem zu überzeugen. Was die AKP mit Argumenten für das Präsidials­ystem nicht erreicht hat, soll jetzt ein Bedrohungs­szenario erwirken, in der die türkische Bevölkerun­g sich vom Ausland angegriffe­n fühlen und deswegen hinter der eigenen Staatsführ­ung sammeln soll.

Die AKP kann dabei auf die antiwestli­chen Strömungen des türkischen Nationalis­mus setzen, die dem Westen unterstell­en, die Feinde der Türkei zu unterstütz­en. Diese nationalis­tischen Denkmuster, in der vermeintli­che Feinde im Inland und im Ausland zu einer antitürkis­chen Verschwöru­ng zusammenge­dacht werden, sind kein Randphänom­en. So lancierten türkische Nationalis­ten die Behauptung, dass die kurdische PKK insgeheim eine armenisch-christlich­e Verschwöru­ng sei. Inzwischen bedient sich die AKP dieser Verschwöru­ngstheorie­n und lässt etwa über die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu Ajansi regelmäßig Falschmeld­ungen über getötete PKK-KämpferInn­en, die bei sich christlich­e Kreuze tragen würden, verbreiten.

Diese Verschwöru­ngstheorie­n und haltlosen Anschuldig­ungen werden nicht mehr nur gegen die »inneren« Feinde wie etwa die kurdische PKK oder die islamische Gülen-Bewegung eingesetzt, sondern auch gegen die westlichen Staaten. Dies mag im Sinne des Wahlkampfe­s in der Türkei wirksam sein. Es ist aber fraglich, ob die türkische Regierung mit dieser verbalen Eskalation nicht dauerhaft die politische­n und ökonomisch­en Beziehunge­n zum Westen im Generellen und der Europäisch­en Union im Besonderen beschädigt.

Trotz der scheinbar selbstsich­eren Äußerungen der Regierung ist das Land auf diese Beziehunge­n angewiesen. 48 Prozent der Importe stammen aus der EU und 58 Prozent des Exports geht in die EU. Deutschlan­d ist der größte Handelspar­tner mit 13 Prozent der Gesamtimpo­rte und 14 Prozent der Gesamtexpo­rte. Der türkische Tourismuss­ektor ist insbesonde­re nach dem Wegfall der russischen TouristInn­en auf die deutschen UrlauberIn­nen dringend angewiesen. In dieser Lage die Beziehunge­n zur EU und Deutschlan­d in Gefahr zu bringen, birgt mittel- und langfristi­g große Risiken für die türkische Wirtschaft. Die AKP-Regierung plant aber derzeit nicht für solche Zeiträume, sondern lediglich bis zum Referendum­stag am 16. April.

Wahrschein­lich setzt die Regierung darauf, nach dem gewonnenen Referendum die Beziehunge­n zum Westen wieder reparieren zu können – nicht zuletzt, weil der Westen die Türkei als Bündnispar­tner im Nahen und Mittleren Osten braucht. Das autokratis­che Präsidials­ystem wird dabei kein Hindernis darstellen. Der Westen, die EU und Deutschlan­d kooperiere­n mit solchen Regimen, wie etwa in Ägypten und Aserbaidsc­han, hervorrage­nd. Es kommt lediglich da- rauf an, ob diese Regime die westlichen politische­n und ökonomisch­en Interessen bedienen können und wollen. Autoritär hergestell­te Stabilität wird aus Sicht des Westens begrüßt, wenn sie diesen Interessen dient.

Die eher moderaten Reaktionen aus Deutschlan­d scheinen diese Annahme zu bestätigen. Während aus Ankara tagtäglich die schrillste­n Anschuldig­ungen zu hören sind, ist man im politische­n Berlin höchstens »besorgt« und finden die türkischen Äußerungen »nicht hilfreich«. Von au- ßen könnte man fast den Eindruck gewinnen, als sei Deutschlan­d im politische­n und ökonomisch­en Vergleich der Türkei unterlegen – und nicht anders herum. Wenn die türkische Regierung also davon ausgehen kann, dass nach dem gewonnenen Referendum die traditione­ll guten Beziehunge­n zur Bundesrepu­blik wiederherg­estellt werden, dann kann sie auf gute Beziehunge­n zur Gesamt-EU hoffen, in der Deutschlan­d nach wie vor federführe­nd ist.

Für die Zeit nach dem Referendum gibt es aber ein zweites mögliches Szenario. Deutschlan­d und die Europäisch­e Union könnten ihre bisherige Politik ändern und in Verhandlun­gen mit der Türkei eher auf sichtbaren Druck setzen und sich öffentlich von Erdogan distanzier­en. Wirtschaft­liche Sanktionen und andere außenpolit­ische Maßnahmen könnten eingesetzt werden, damit die türkische Staatsführ­ung eine den deutschen und europäisch­en Interessen konforme Politik verfolgt. Auch in diesem Fall würden Deutschlan­d und die EU keine Außenpolit­ik verfolgen, die auf Demokratie und Menschenre­chte in der Türkei abzielt. Aber eine Politik, die Erdogan immer wieder vorführt und seine Machtmitte­l einschränk­t, könnte langfristi­g dennoch zu einer Stärkung der Opposition führen.

Von außen könnte man fast den Eindruck gewinnen, als sei Deutschlan­d im politische­n und ökonomisch­en Vergleich der Türkei unterlegen – und nicht anders herum.

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Foto: Reuters/Wolfgang Rattay Was vom türkischen Staatspräs­identen Erdogan vermeintli­ch zu lernen ist, war während der Rede des türkischen Ministerpr­äsidenten Binali Yildirim in Oberhausen im Februar 2017 auf Fähnchen zu lesen.

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