Nationaler Sozialismus
Man glaubt und hofft ja immer, dass die Leute den Unsinn, den sie täglich von sich geben, immerhin noch als solchen wahrnehmen. Dass sie lediglich zynisch, berechnend oder abgebrüht sind, wenn sie sich mit dem offensichtlich Falschen gemeinmachen. Aber Dummheit tut nicht weh, und Beschränkung auch nicht: Im Gegenteil machen sie das Leben einfacher und angenehmer. Jede Hoffnung etwa, die noch herrschte, im Kopf des »Spiegel«Gutsherrn Jakob Augstein könnte noch Licht brennen, musste vergehen, als er den IS-Versteher und notorischen Israel-Feind Jürgen Todenhöfer zum Herausgeber seiner Schülerzeitung »Der Freitag« machte. Kein Geist ist da, es ist wie auf morsches Holz geklopft.
»Der einzige Mann, der zwei Antisemiten zum Vater hatte« (Hellmuth Karasek), hat neben IsraelBashing noch ein anderes Hobby: das, was er »linker Populismus« nennt. Aktuell bereitet er in seiner »Spiegel-online«-Kolumne »Im Zweifel links« einer Regierung Schulz den Boden – verpflichtet sie aber zugleich auf einen Kurs, der auch den AfD-Wähler wieder in dem Sumpf abholt, in dem er steht. »Zum würdigen Leben«, heißt es bei Augstein, »gehört mehr als nur soziale Gerechtigkeit. Eine andere Bedingung ist die Identität. Die soziale Gerechtigkeit muss gegen Kapital und Konzerne errungen werden – aber die Identität gegen die Migration. Das Thema ist für die Linken gefährlich: In der Theorie soll doch der Ausländer ein Freund sein. Aber in der Wirklichkeit ist die Einwanderung ein Quell der Sorge. Wenn die Aufgabe einer linken Regierung die Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung ist, dann gehört dazu auch der Schutz der Heimat.«
Papier errötet nicht und Pixel platzen nicht vor Scham, aber immerhin kann man im Takt der Kommata mit dem Kopf auf den Tisch hauen, so hohl, so bigott dröhnt es da aus dem Kolumnistenmund. Das würdige Leben, so Augsteins Gleichung, kommt nicht ohne Heimatschutz aus, und die Glatzen von Dortmund bis Anklam, die »Heimatschutz« als Lynchsport pflegen, nicken anerkennend. Den Quell der Sorgen, das gierige Ausländermaul, wollen sie ja auch stopfen, und ihre wie Augsteins Solidarität gehört natürlich ausschließlich der arbeiten- den Bevölkerung, nicht jedoch unnützen Essern wie etwa Alten, Kranken und denjenigen, die schlussendlich an der Tatsache verrückt wurden, dass jemand wie Augstein seinen national-sozialen Mist unwidersprochen als »links« verhökert.
Dass es eine Identität geben könnte, die eventuell nicht darauf basiert, unablässig das Fremde abzuwehren, sich also nicht a priori als Gegnerschaft und über Feinde konstituiert, das passt nicht in Augsteins Kopf, in welchem, in guter Tradition, Arbeit und Kapital durch die Nation versöhnt werden.
Dann verteidigt Augstein Sahra Wagenknechts Zuwanderungskritik: »Als sie gesagt hat, auch ein Flüchtling könne durch sein Verhalten sein Gastrecht verwirken, warf man ihr AfD-Rassismus vor. Unsinn. Ein Problem verschwindet nicht, indem man nicht hinsieht. Es ist eine Tatsache, dass viel Zuwanderung erst mal viele Probleme schafft. Und es sind eben die ›hart arbeitenden Menschen‹, von denen Martin Schulz spricht, denen diese Probleme auf die Füße fallen.«
De falsum quodlibet, heißt es bei den antiken Philosophen; aus etwas Falschem folgt Beliebiges. Wenn man Sahra Wagenknecht Nähe zu AfD-Positionen vorwirft, ist das selbstverständlich nicht dasselbe, wie »nicht hinzusehen«; ebenso wie die Behauptung, Zuwanderung schaffe zwangsläufig Probleme, nicht schon dadurch eine Tatsache wird, dass Augstein »Jeder weiß das« dazuschreibt.
Augstein, der in seinem Alltag vom Anblick »hart arbeitender Menschen« weitgehend verschont bleiben dürfte, weiß aber immerhin, wohin er ihren Hass lenken muss: »Migranten sind Konkurrenten um Wohnraum und Arbeitsplätze. Und sie sind zusätzlich Konkurrenten im Lebensstil.« Denn würden die hart arbeitenden Menschen einmal nachrechnen, wieviel es sie kostet, Vermögen und Lebensstil von Leuten wie Augstein unangetastet zu halten, dann wüssten sie natürlich, dass sie davon jedes Jahr zehn Flüchtlingskrisen bezahlen könnten. Nicht jeder weiß das allerdings, und damit das auch so bleibt, wird Augstein auch weiterhin seine Kolumnen schreiben. So berechnend ist er dann doch.