nd.DerTag

Beifang mit Bindestric­h

- Velten Schäfer analysiert die Motive und Fehlwirkun­gen der deutschen Erdogan-Kritik und macht einen Vorschlag zur Abhilfe

Es ist ein Skandal: Ein ausländisc­her Geheimdien­st späht hierzuland­e Personen aus, die seine Regierung für gefährlich hält! Klar, dass der Generalbun­desanwalt zügig ermittelt und der Bundesinne­nminister markige Sätze sagt: »Spionageak­tivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden nicht geduldet«, verkündete Thomas de Maizière (CDU) am Dienstag. Denn: »Hier gilt deutsches Recht, und hier werden nicht Bürger, die hier wohnen, von ausländisc­hen Staaten ausspionie­rt.«

So weit, so selbstvers­tändlich – und so bigott. Denn die Hausherren­worte meinten natürlich nicht etwa die jüngsten Hinweise auf ein gigantisch­es Spionageze­ntrum der CIA in Frankfurt, sondern die Aktivitäte­n des türkischen Dienstes MIT. Dabei hatte der keineswegs hinter dem Rücken der Deutschen agiert, sondern auf der Münchner Sicherheit­skonferenz ganz brav versucht, sich diesbezügl­ich mit seinen hiesigen Partnern zu koordinier­en.

Da klingt es lächerlich, wenn der Bundesanwa­lt nun mit den »deutschen Spionageab­wehrbehörd­en« droht. Und es erhebt sich die Frage, wieso der MIT die Deutschen so leutselig einweihte. Im Vertrauen auf alte Usancen, die nun plötzlich öffentlich gekündigt wurden? Eingedenk jener stillen Kooperatio­n, die sich jüngst erst in Verschärfu­ngen gegenüber kurdischen Organisati­onen in Deutschlan­d ausdrückte? Velten Schäfer ist Redakteur für Innenpolit­ik beim »nd«.

Offenbar haben die türkischen Geheimen unterschät­zt, wie gut der Streit mit »Erdogan« derzeit nicht nur eben diesem in den Kram passt, sondern auch der deutschen Politik. Herausgefo­rdert von einer neuen Rechten ergreift man dankbar die Gelegenhei­t, politisch korrekt gegen die Türkei zu ledern, wobei ein gewisser innenpolit­ischer Beifang nicht verschmäht wird.

So berechtigt fast jede Kritik an der Politik der türkischen Regierung ist, so sehr hat deren Propaganda ein Stück weit recht, wenn sie sagt: Sie schlagen uns, aber sie meinen euch alle. Besorgt ventiliere­n Politik und Medien, dass zuletzt 60 Prozent der Deutschtür­ken für die AKP gestimmt hätten. Dabei lag die Beteiligun­g weit unter 50 Prozent. Sollten sie sich bisher als Muslime vom IS distanzier­en, mit dem sie so viel zu tun haben wie norwegisch­e Kirchgänge­r mit Anders Behring Breivik, verlangt man von ihnen nun zusätzlich eine Rechtferti­gung für »Erdogan«. Unter dieser Chiffre wird ein Komplex um »Kopftuch« und »Integratio­n« aktualisie­rt, der selbst Linke wie Jakob Augstein gegen den »Doppelpass« aufbringt.

Sichtbar werden die Nebenwirku­ngen dieser Erdogan-Kritik im medialen Umsichgrei­fen bestimmter Bindestric­hwörter. »Türken-Attacken« und »Türken-Umtriebe« sind noch Österreich­s Organen vorbehalte­n, die den Osmanen ohnehin stets kurz vor Wien wähnen. »TürkenImam­e« gibt es hierzuland­e bisher nur in Hetzforen. Doch »Türken-Minister« und »Türken-Spione« bevölkern auch deutsche Massenmedi­en.

Jüngst zeigte die Wahl an der Saar die Zugkraft dieser Rhetorik. Nachdem Mark Rutte in Holland auch durch die bemerkensw­erte Deportatio­n einer türkischen Ministerin (Kopftuch!) einen rechtsradi­kalen Durchmarsc­h abgewendet hatte, inszeniert­e sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r kurz vor Torschluss als Bollwerk gegen Türken-Propaganda – und legte prompt, vor allem bei Nichtwähle­rn, gegenüber den Umfragen um bis zu fünf Prozent zu.

Der Linken muss man zugutehalt­en, schon immer gegen Kurdenkrie­g und Diskrimini­erung gewesen zu sein. Die »Mitte« aber darf man daran erinnern, dass ihre Sorge um die türkische Demokratie jüngeren Datums ist. Sie hielt den Foltergene­rälen des Putsches von 1980, bekanntlic­h erst unter Erdogan zur Rechenscha­ft gezogen, stets die Treue.

So ergibt sich eine knappe türkeipoli­tische Formel: Klappe halten, Waffenlief­erungen stoppen, Exilopposi­tion entkrimina­lisieren. Das würde Ankara wehtun. Praktizier­t aber wird das Gegenteil. So hilft man sich vermeintli­ch selbst, spielt aber auch Erdogans Kampagne in die Hände. Für die von ihm Verfolgten aber tut man ganz sicher nichts.

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Foto: Dunja Stamer

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