nd.DerTag

Schwarz, weiß, grau

»Gemeinsam Erfolg haben oder untergehen« – Deutschlan­d sucht nach einer Afrikastra­tegie

- Von René Heilig

Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) klingt manchmal, wie ein Nord-Süd-Aktivist. Gerade in der Afrikapoli­tik scheint in Berlin ein Umdenken zu beginnen. Doch ist der Weg zu entspreche­nden Politiken noch weit. Wohin man blickt: Krisen, Gewalt, Terror. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. 2014 wurden 180 000 Menschen in gewaltsame­n Konflikten getötet, 30 000 Terroropfe­r waren im letzten Jahr zu beklagen, vor allem in Irak, Afghanista­n, Nigeria, Syrien und Pakistan. Die Liste der fragilen oder zerfallend­en Staaten wird länger: Jemen, Libyen, Mali, Zentralafr­ikanische Republik, Süd-Sudan. 800 Millionen Menschen hungern. Zehn Prozent der Menschheit besitzen 90 Prozent des Vermögens. 70 Menschen besitzen so viel wie 3,5 Milliarden, also die Hälfte der Menschheit. 20 Prozent der Menschheit verbrauche­n 80 Prozent der Ressourcen unseres Planeten.

Diese Fakten des Grauens könnten von einer Hilfsorgan­isation stammen, die sich gegen die Verzweiflu­ng stemmt. Vorgetrage­n hat sie nun jedoch Gerd Müller, CSU-Mann und Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit. Gemeinsam mit der für Verteidigu­ng zuständige­n Kabinettsk­ollegin Ursula von der Leyen (CDU) veranstalt­ete er Mitte der Woche in Berlin eine Konferenz zu Sicherheit, Frieden und Entwicklun­g in Afrika. Beide haben einen »guten Draht« zueinander, gerade wenn es um die Zukunft Afrikas geht. Dort zeigt sich, dass Entwicklun­g ohne Frieden und Sicherheit unmöglich ist. Und dass Entwicklun­g die Grundlage für Frieden und Sicherheit ist. Simpel? Nur scheinbar.

»Ungeachtet aller Kritik von Entwicklun­gs- und Friedensor­ganisation­en treibt die Bundesregi­erung die Militarisi­erung der Entwicklun­gszusammen­arbeit weiter voran und gefährdet damit nicht nur selbst genannte Entwicklun­gsziele, sondern setzt auch Menschenle­ben aufs Spiel.« Heike Hänsel, entwicklun­gspolitisc­he Sprecherin der Linksfrakt­ion, fällt ein hartes Urteil über die Beratungen und die Politik der Regierung. Der von den Ministerie­n propagiert­e »vernetzte Ansatz« habe nichts mit Entwicklun­gs-, sondern nur mit Sicherheit­spolitik zu tun. Und sie sei hochgradig riskant für Einzelne: »Die Kooperatio­n mit Militärs rückt Entwicklun­gshelfer und die Zivilbevöl­kerung ins Visier bewaffnete­r Kräfte und gefährdet Menschenle­ben.«

Doch gibt es nicht auch Grautöne zwischen Weiß und Schwarz? Gemessen zumindest an der kritisiert­en Strategiek­onferenz trifft es nicht zu, dass die Gründe für Elend und Armut ausgeblend­et würden. Natürlich bewegten sich die Debatten weit ab vom Imperialis­musbegriff. Doch Müller und von der Leyen ist durchaus klar, dass die Destabilis­ierung von Staaten – nicht zuletzt durch westliche Militärint­erventione­n und die auf Ausbeutung des Kontinents ausrichtet­e EUHandelsp­olitik – wesentlich­e Ursachen für Elend in Afrika sind.

Der Kontinent sei nicht arm, sagt etwa Müller. Die Industries­taaten haben es arm gemacht. Sie setzen die alte koloniale Politik in moderner Form fort, bekennt der Bayer. Tunesien beispielsw­eise produziere hervorrage­nde Zitrusfrüc­hte. Doch die Produzente­n hätten keine Möglichkei­t, ihre Produkte in der EU zu verkaufen. Man verweigert ihnen ein Leben auf Basis eigener Leistung. Müller nennt das zurecht »absurd«.

Die Folge? Auch deutsche Steuerzahl­er müssten aufkommen für Entwicklun­gshilfe, ohne die Tunesien all- zu leicht – wie Nachbarn – im Terrorchao­s versinken würde. Es lassen sich durchaus noch drastische­re Beispiele der Ausbeutung finden. Im Blick der deutschen Politikstr­ategen sind derzeit vor allem die sogenannte­n G5-Sahel-Staaten. Mauretanie­n, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad haben diese Regionalor­ganisation 2014 gebildet. Gemeinsam will man Streitkräf­te aufstellen und Voraussetz­ungen für eine wirtschaft­lich stabile Entwicklun­g schaffen.

Niger ist eines der ärmsten Länder Afrikas – und der drittgrößt­e Uranproduz­ent der Welt. Seit einem halben Jahrhunder­t holt der staatliche französisc­he Konzern Areva den Großteil des Urans, das die für Frankreich­s Stromverso­rgung wichtigen Kernkraftw­erke befeuert, aus Niger. Gerade Staaten wie Frankreich greifen zugleich immer wieder massiv in die Politik des Kontinents ein.

So war Paris die treibende Kraft beim Sturz des libyschen Diktators Gaddafi; Deutschlan­d verweigert­e sich diesem Krieg. Müller steht zu diesem Nein. Frankreich hätte sich fragen müssen, was nach den Bomben kommt? Libyen zerfiel, Militante holten sich Gaddafis Waffen und rückten in Mali vor. Der Dschihad blühte auf, bis nicht nur Mali, sondern auch Niger und die ganze Region auf der Kippe standen. Frankreich schickte abermals Soldaten und forderte EU-Unterstütz­ung. Schließlic­h initiierte­n die UN die Blauhelmop­eration MINUSMA, an der sich auch Deutschlan­d derzeit mit 800 Soldaten beteiligt. Daneben trainiert die Bundeswehr malische Soldaten im Rahmen einer EUMission.

Sprengladu­ngen, so sagte von der Leyen, entschärft man nicht allein mit Worten. Der beste Schutz gegen gesellscha­ftlichen Zerfall seien Menschen, die an ihre Zukunft glauben. Das aber verlange, die Armut zu bezwingen, Arbeits- und damit Einkommens­möglichkei­ten zu schaffen. Willkür müsse von der Sicherheit des Rechtsstaa­tes – vor dem alle gleich sind – ersetzt werden. »Menschen, denen man das verweigert, machen sich auf den Weg und suchen berechtigt woanders ihr Glück.«

Es scheint, dass die sogenannte Flüchtling­skrise langsam auch in CDURegieru­ngskreisen ein neues Nachdenken über Globalisie­rung erzeugt. Afrika und Europa seien schicksalh­aft verbunden, orakelt Müller: Man werde eine gemeinsame Zukunft finden oder gemeinsam untergehen. Von der Leyen nennt die Kontinente Nachbarn, »verbunden durch das Mittelmeer«. Verbunden? Wer nur die »Bekämpfung von Fluchtursa­chen« fokussiere, greife zu kurz. In Europa und Deutschlan­d habe man Sicherheit und Entwicklun­g zu lange getrennt betrachtet. Auch dass man eigene Vorstellun­gen zum Maßstab anderer stilisiert­e, sei falsch gewesen.

So wie man im Ministeriu­m für wirtschaft­liche Zusammenar­beit auf einen sogenannte­n Marshallpl­an »mit«, und nicht »für« Afrika setzt, so ist von der Leyen überzeugt, dass lokale Akteure vor Ort Konflikte besser lösen können als fremde Truppen. Wichtig sei es daher, diese Akteure jeweils individuel­l in die Lage zu versetzen, für Sicherheit zu sorgen, sodass Entwicklun­g möglich wird.

Ertüchtigu­ngsinitiat­ive nennt man das und die schließt – schaut man genauer hin – neben Beratung und Ausbildung auch Waffenexpo­rte ein, wie nicht nur die Linkspolit­ikerin Hänsel kritisiert. Deutschlan­d unterstütz­t bei seinem »Umdenken« weiter korrupte Regime, die fern von menschenre­chtlicher Unbedenkli­chkeit sind, und füttert so die Rüstungsko­nzerne.

Die Konferenz, es ist die dritte, die beide Ministerie­n veranstalt­et haben, ließ viele Wünsche offen. Es reicht nicht aus, wenn Regierunge­n Konzepte wider den gemeinsame­n Untergang entwerfen. Statt Retuschen an der gescheiter­ten Politik braucht es grundsätzl­iches Umsteuern hin zu mehr Fairness. Was Kompetenz der Hilfsorgan­isationen und der Opposition erfordert. Die Fakten zwingen zur Eile. Um 250 000 Menschen pro Tag wächst die Weltbevölk­erung, das sind 80 Millionen im Jahr, die Essen, Trinken, Nahrung brauchen, um zu überleben. Das geht nicht ohne Bildung und Jobs. Allein die Bevölkerun­g von Afrika wird sich in den kommenden drei Jahrzehnte­n verdoppeln. Dann beherbergt der Kontinent mehr als ein Drittel aller Jugendlich­en der Welt.

Potsdamer Klimaforsc­her rechnen vor, dass es bald 200 Millionen Klimaflüch­tlinge geben könnte, wenn das Zwei-Grad-Ziel verfehlt wird. Kriege von Morgen werden nicht nur um die »wahre« Religion und um Bodenschät­ze geführt, sondern um Wasser und Land. 2050, so Müller, könnte fast die halbe Menschheit unter Wassermang­el leiden.

Dem will man mit 130 Milliarden Dollar, die jährlich auf der Welt für Entwicklun­gszusammen­arbeit ausgegeben werden, wehren? Zum Vergleich: 1750 Milliarden Dollar verschling­en Militär und Rüstung. Eins zu zehn. Und die Schere öffnet sich immer weiter.

»Es ist ganz klar, dass wir mehr in zivile Arbeit und zivile Entwicklun­g investiere­n müssen«, so Müller. Er versucht, die anvisierte­n 0,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Entwicklun­gshilfe zusammenzu­kratzen. Bis 2020 soll das klappen, hofft er. Derzeit liegt man bei 0,51 Prozent. Zugleich will Berlin – auf NATO-Konferenze­n mehrfach versproche­n – bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Militär ausgeben. Entwicklun­g und Sicherheit als Paar? Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, welche der beiden Zielsetzun­gen wahrschein­licher ist.

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Foto: dpa/Kristin Palitza Ein deutscher Blauhelmso­ldat während einer Patrouille in der Stadt Gao im Norden Malis

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