nd.DerTag

»Die Linke muss Freiräume schaffen«

Pedro Páez über die Wahlen am Sonntag in Ecuador und die Spaltung des progressiv­en Lagers

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Herr Páez, an diesem Sonntag findet in Ecuador die zweite Runde der Präsidents­chaftswahl­en statt. Wie lautet Ihre Prognose? Ich denke, dass die Mehrheit im Land für eine Fortsetzun­g des politische­n Wandels stimmt. Das zeigte sich nicht nur in der ersten Runde der Wahlen, sondern bereits in der jüngsten Volksbefra­gung. 60 Prozent der Menschen haben sich dafür ausgesproc­hen, Geldüberwe­isungen ins Ausland zu begrenzen. Das Ergebnis lässt auf ein hohes Bewusstsei­n der Menschen schließen, weil sie zwischen der eigenen familiären Situation – viele Ecuadorian­er leben im Ausland – und dem Problem der Kapitalflu­cht unterschei­den konnten. Ich hoffe also auf eine demokratis­che Abstimmung am Sonntag, sehe aber auch das aggressive Klima im Wahlkampf ... ... was wohl am Wesen der Abstimmung liegt, in der es doch um zwei Modelle geht: einen sozialen Reformproz­ess mit dem Regierungs­kandidaten Lenín Moreno oder die neoliberal­e Restaurati­on unter dem Kandidaten der Rechten, Guillermo Lasso. Ich würde darüber hinaus sagen, dass der Kampf gegen reale Probleme wie die Korruption im Zentrum steht. Die aktuelle Regierung hat mit dem erwähnten Referendum und anderen Maßnahmen zu verhindern versucht, dass wohlhabend­e Ecuadorian­er massenhaft Gelder in Finanzpara­diese schaffen. Nur solche Regeln stoppen die illegale Kapitalflu­cht. Sie fordern aber auch die faktischen Machtzirke­l heraus, die Oligarchie. Ja, aber nur so kann man der Korruption Herr werden – und nicht durch scheinheil­ige Anklagen. Schauen Sie, in Brasilien wurde Präsidenti­n Dilma Rousseff wegen Korruption­svorwürfen gestürzt. Aber das aktuelle Kabinett von Staatschef Temer ist nachgewies­enermaßen korrupter denn je. Die Korruption­svorwürfe waren Vorwand für einen Putsch. Und das ist ein generelles Problem: Wir sehen uns einer Offensive konservati­ver Kräfte gegenüber. Der ecuadorian­ische Journalist Eloy Osvaldo Proaño sieht auch Gründe im Inneren, er sagte, die »Bürgerrevo­lution« in Ecuador lebe von der Vergangenh­eit, von Verweisen auf die Banken- und Finanzkris­e 1999, dass ihr aber eine politische Vision fehle, um die Jugend zu mobilisier­en. Natürlich ist es auch in Ecuador so, dass die Jugend, die die neoliberal­e Zeit nicht erlebt hat, staatliche Dienstleis­tungen in Bildung und Gesundheit­sversorgun­g für selbstvers­tändlich hält. Dabei sind die Regierunge­n, die diese Dinge erreicht haben, die Ausnahmen von der Regel, sie sind das Ergebnis heftiger sozialer Kämpfe und müssen weiter verteidigt werden. Ich glaube, dass etwa der brasiliani­schen Jugend dieser Umstand gerade bewusst wird. Sie sehen also durchaus auch die Gefahr einer Niederlage des progressiv­en Lagers. Welche Konzepte gibt es dagegen? Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun. Es hat in den vergangene­n 15 Jahren zwar eine Verminderu­ng der Ungleichhe­it und Armut gegeben, aber Lateinamer­ika bleibt ein ungleicher und armer Kontinent. Hinzu kommt, dass die Dynamik der lateinamer­ikanischen Märkte bislang positiven Skaleneffe­kten in der Massenprod­uktion ebenso entgegenst­eht wie der Industrial­isierung oder dem Aufbau neuer Wirtschaft­szweige, allein schon, weil die Kaufkraft zu gering ist. Die Herausford­erung liegt also darin, den Aufschwung ebenso zu bewahren wie den Frieden. Denn eines ist klar: Das konservati­ve Lager hat nichts anzubieten als eine höhere Verschuldu­ng, Arbeitslos­igkeit, soziale Ungleichhe­it, mehr Steuer- und Wechselkur­sprobleme und weniger Pedro Páez Harald Neuber. Souveränit­ät. Langfristi­g kann das nicht nur die sozialen Konflikte schüren, sondern diesen lange friedliche­n Kontinent sogar wieder ins Zentrum geopolitis­cher Konflikte rücken. Wie erklären Sie sich dann aber die Haltung sozialer Bewegungen wie des Indigenenv­erbandes CONAIE oder des Linkskandi­daten Paco Moncayo, die sich vor der Stichwahl gegen Präsident Rafael Correa und den Regierungs­kandidaten Moreno gewandt haben? Da ist viel Hass im Spiel, viele persönlich­en Befindlich­keiten. Beide Seiten befinden sich seit Längerem in Konflikten und beide Seiten hätten damit anders umgehen können und sollen. Was ich aber nicht nachvollzi­ehen kann, ist dieses völlig vergiftete politische Klima, die völlige Irrational­ität, die ja soweit reicht, dass einige der von ihnen genannten Akteure, die sich als links bezeichnen, zuletzt den Kandidaten der neoliberal­en Rechten, Guillermo Lasso, unterstütz­ten, einem Banker, der nicht nur ein Vertreter von Opus Dei ist ... ... einer ultrakonse­rvativen katholisch­en Organisati­on ... ... sondern der als bekennende­r Neoliberal­er ganz offen für die Abwicklung aller sozialen Errungensc­haften der vergangene­n Jahre eintritt. Es gibt Stimmen in Ecuador, die sich dieses Verhalten damit erklären, dass die organisier­te Linke eine rechte Staatsführ­ung braucht, um einen Gegner und eine Daseinsber­echtigung zu haben. Nein, ich glaube – ganz im Gegenteil –, dass die sozialen Bewegungen klare Ziele und Forderunge­n brauchen. Nehmen Sie die Fragen des Landbesitz­es, des Zugangs zu Wasser oder des Kampfes gegen die Armut. Daran muss man das Handeln doch ausrichten. Und da haben wir eine scheidende Regierung, die trotz aller Probleme und Sachzwänge das Mindestein­kommen verdoppelt und soziale Dienstleis­tungen gestärkt hat. All dies steht auf dem Spiel. Es gibt einstige Mitstreite­r von Präsident Correa wie den ehemaligen Vorsitzend­en der Verfassung­gebenden Versammlun­g, Alberto Acosta, die die Reformpoli­tik als gescheiter­t bezeichnen. Acosta sagte auch, dass meine Behörde nichts erreicht hat – und stimmt darin, trotz unserer nachweisba­ren Erfolge, mit dem Kandidaten der Rechten überein. Dennoch bewegt das Zerwürfnis zwischen Correa und Acosta viele in Ecuador und auch außerhalb des Landes. Für Sie selbst war Acosta ein politische­s Vorbild. Wie sehen Sie seine Rolle heute? Sein Verhalten stimmt mich traurig, überrascht mich aber auch nicht. Vor elf Jahren war ich Vizefinanz­minister und damals haben wir ein Erdölgeset­z verfasst, das die Abgaben der transnatio­nalen Konzerne an den Staat massiv anheben sollte. Alberto Acosta hätte diese Gelder als Energie- und Bergbaumin­ister eintreiben müssen, tat das aber nicht. Als die Abgaben dann Ende 2007 endlich in Rechnung gestellt wurden, spülten sie rund 3,5 Milliarden US-Dollar in die Staatskass­e. Nun aber ist der Erdölpreis massiv eingebroch­en – und damit auch die Einnahmen. Ist es ein Automatism­us, dass mit dem Ölpreis auch die linken Reformregi­erungen fallen? Nein, aber ich glaube, dass wir uns in einer strukturel­len Falle befinden, die von Linken eingehende­r analysiert werden sollte. Es gibt ein Defizit an politische­m und wirtschaft­swissensch­aftlichem Theoriever­ständnis, um zu erfassen, wie die Makroökono­mie die Programme und Pläne progressiv­er Regierunge­n einengt. Und ich meine damit nicht diese oft geäußerte Kritik am Extraktivi­smus, sondern auf die Notwendigk­eit, eine neue Finanzarch­itektur zu schaffen. Das bedeutet? Dass wir in Lateinamer­ika politische Prozesse vorantreib­en, die kaum Raum und Instrument­e haben, um sich zu entwickeln. In den Jahren zuvor sind alle Handlungss­pielräume eingeengt worden, etwa in der Währungs-, Wechselkur­s- oder Steuerpoli­tik. Es muss also in erster Linie darum gehen, Mechanisme­n zu studieren, die neue Freiräume schaffen. Ein großer Teil der Linken sieht diesen Prozess aber als Automatism­us. Aber der Kampf um makroökono­mische und finanziell­e Souveränit­ät verlangt das Studium der Wertlehre, der Rolle des Geldes, der Wechselkur­se. Auf diesem ganzen Feld ist viel nachzuhole­n. Vor rund 50, 60 Jahren war die lateinamer­ikanische Linke da ganz anders aufgestell­t, damals gab es die Dependenzt­heorie, die UN-Wirtschaft­skommissio­n für Lateinamer­ika und die Karibik (CEPAL) wurde aufgebaut, marxistisc­he Strömungen waren im Wettstreit. Aber all das ist eingeschla­fen und einer postmodern­en Agenda gewichen, die sich in Fragen von Identität und Subjektivi­tät flüchtet, ohne den Anspruch zu haben, die objektiven Verhältnis­se zu ändern. Die Bedingunge­n sind zuletzt nicht besser geworden: Dilma Rousseff von der Arbeiterpa­rtei in Brasilien wurde als Präsidenti­n gestürzt, Präsidenti­n Cristina Fernández de Kirchner in Argentinie­n abgewählt. Venezuela befindet sich in einer schweren Krise. Braucht die lateinamer­ikanische Linke einen Neustart? Die Linke hat sich bisher ein bisschen so verhalten wie ein Junge im Barrio (Armenstadt­teil), der sich in Ermangelun­g von Trainingso­rten selbst Fußballspi­elen beibringt und den Ball anfangs alleine gegen die Wand spielt. Jetzt sind wir auf dem Spielfeld angekommen und es wird ein hartes Match werden. Ich denke, dass wir die strukturel­le Krise des Kapitalism­us nutzen müssen, dass wir sie als ebenbürtig­en Gegner anerkennen müssen. Denn im Kern sind doch viele aktuelle Phänomene – die Wahl von Trump, der Brexit – Produkte einer Krise der Überproduk­tion, die die Existenz bisheriger Eliten in Frage stellt. Diese Erkenntnis sollte nicht nur bei der Linken reifen.

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Foto: dpa/AP/Dolores Ochoa
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Foto: privat Der ecuadorian­ische Wirtschaft­swissensch­aftler ist Präsident der Behörde zur Kontrolle der Marktmacht, die, ähnlich wie das Bundeskart­ellamt und die deutsche Monopolkom­mission, die Marktentwi­cklung und -konzentrat­ion reguliert. Von 2007 bis 2008...

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