nd.DerTag

Meine Freundin Layani

»Cherchez la femme« – eine neue Ausstellun­g im Jüdischen Museum Berlin befasst sich mit religiöser Bekleidung

- Von Karlen Vesper

Unsere Freundscha­ft währte kurz: drei Sommer. Layani trug Haik und Ladjar, einen weißen Schleier und Mundtuch. Mit 14 wurde sie verheirate­t, mit 17 vom Mann verlassen. Weil sie ihm keine Kinder gebar. Sie trug weiterhin den Haik. Was ich nicht verstand. Als vorwitzige Abiturient­in aus dem Norden schlug ich meiner algerische­n Freundin vor, den Schleier in ein Freudenfeu­er zu werfen, wie es Musliminne­n nach der russischen Revolution taten. Sie solle dem treulosen Mann nicht nachtrauer­n, ihr langes blauschwar­zes Haar und ihre feine, bronzen schimmernd­e Haut nicht länger gänzlich verhüllen, auf die Straße hinaustret­en in all ihrer stolzen Schönheit. Layani blickte mich erstaunt an: »Ce n’est pas possible! Das ist unmöglich.« Wieso? Die nur um einige Jahre Ältere lächelte milde: »Das verstehst du nicht.«

»Cherchez la femme. Perücke, Burka, Ordenstrac­ht« ist die neue Ausstellun­g im Jüdischen Museum Berlin betitelt. Cilly Kugelmann, Programmdi­rektorin des Hauses, überrascht die Eröffnungs­gäste mit einem Fascinator auf dem Kopf. Jener sei derzeit groß in Mode bei jüdischen Damen in England. Seit einen solchen Kate Middleton, Gemahlin des Thronerben William, trug. Frauen müssen wie die Männer ihr Haupt in der Synagoge bedecken. Der Fascinator erinnert ein wenig an den um den Kopf geschlunge­nen Gebetsriem­en (Tefillin) orthodoxer Juden, an dem ein kleiner schwarzer Kubus befestigt ist. Ebenso schwarz und seitlich getragen ist die Kreation in Kugelmanns rotem Haar, indes graziler und eher eine Blume assoziiere­nd.

Das Jüdische Museum fühle sich zu gesellscha­ftlichen Interventi­onen berufen und verpflicht­et, sagt die Wissenscha­ftlerin. Vor einigen Jahren befasste man sich mit Beschneidu­ngsrituale­n bei Muslimen und Juden. Nunmehr also wieder ein hoch- brisantes Thema. Kopf- und vor allem Ganzkörper­bedeckunge­n stehen in hiesigen Breitengra­den im Verdacht mangelnden Integratio­nswillens, gelten als Provokatio­n oder gar Bedrohung, Zeichen patriarcha­lischer Unterdrück­ung respektive weiblicher Unterwerfu­ng. Das setzt Frauen nicht nur verbalen, oft auch handgreifl­ichen Attacken aus.

Kuratorin Miriam Goldmann verweist darauf, dass schon im 2. Jahrtausen­d v. u. Z. in Mesopotami­en die Verschleie­rung üblich war, allerdings als Privileg der Frau höheren Standes. Sklavinnen war es verboten, sich zu verhüllen. Von der Muslima wird stofflich betonte Keuschheit ab der Pubertät erwartet. Die Jüdin griff zum Schleier mit der Trauung. Cilly Kugelmann berichtet, der sich ausbreiten­de Neofundame­ntalismus habe Burka ähnliche Vollversch­leierung nunmehr auch ins Judentum, eingeführt, vor allem in den USA. Auf einer Weltkarte sind in der Ausstellun­g jene Staaten rosafarben markiert, die am tolerantes­ten hinsichtli­ch religiöser Bekleidung sind: die Vereinigte­n Staaten, Kanada, Großbritan­nien, Skandinavi­en und Australien. Eine Schlagzeil­e der »Washington Post« stichelt gegen Hysterie in Deutschlan­d: »Where are the burquas in Germany?« Eine französisc­he Karikatur spießt das Burkini-Verbot von Nizza auf. Schöner Kommentar hierzu ist das evangelika­le Pendant, der nur das Gesicht frei lassende Badeanzug »Culotte Swimmer«. Schaufenst­erpuppen präsentier­en den Hidschab, die Kopfbedeck­ung einer Karmelitin und den »Scheitel«, wie im Jiddischen die Perücke heißt, über die Rabbiner sich wie beim neumodisch­en Fascinator nicht einig sind, ob das koscher ist.

Arbeiten jüdischer und muslimisch­er Künstlerin­nen loten die Interdepen­denz und Dynamik zwischen Tradition und gesellscha­ftlicher Teilhabe aus. Mit ihrer Videoinsta­llation »Undressing« reflektier­t Nilbar Güres die Lage in Österreich, wo Trägerinne­n eines Kopftuches auf die Rolle einer stummen Marionette reduziert und entpersona­lisiert werden. Mandana Moghaddams haarig ummäntelte Gestalt ist inspiriert vom persischen Märchen über ein gefangenes Mädchen mit 40 geflochten­en Zöpfen. Langes Haar symbolisie­rte in allen Kulturen weibliche Schönheit und war ein natürliche­r Schleier. Der in westlichen Gefilden in den 1920er Jahren aufgekomme­ne Bubikopf signalisie­rte kecke Emanzipati­on.

Auch im Christentu­m galt weibliche Kopfbedeck­ung als Zeichen der Ehrfurcht vor Gott und Sittsamkei­t, übernommen von hellenisti­schen Tempeldien­erinnen, heute nur noch in der Ostkirche und reformiert­en Täu- fergemeind­en üblich. Auch bei einer Papstaudie­nz müssen Frauen ihr Haupt bedecken. Doch weder in der Bibel noch im Koran finden sich eindeutige Vorschrift­en. Alles eine Frage der Interpreta­tion, die sich mit den Zeitläufte­n ändert. Familienst­and, Bildungsgr­ad und individuel­le Auslegung bestimmen gleichwohl die Kleiderord­nung. Sich zurückhalt­end zu kleiden gilt im Islam übrigens auch als Gebot für Männer.

Das feminine Kopftuch vermag in einem muslimfein­dlichen Umfeld durchaus mutige Artikulati­on von Selbstbewu­sstsein, Selbstbeha­uptung zu sein. Reyhan Sahin bemerkt in der Begleitbro­schüre, dass zunehmend die gut ausgebilde­te, selbstbest­immte, berufstäti­ge Akademiker­in zum Kopftuch greift. Die Ausstellun­g informiert über »züchtige Fashinonis­tas«, Musliminne­n und Jüdinnen, die schick sein wollen, ihre eigene Kleider designen – gewagte Mode, die religiöse Erwartunge­n nicht verletzt. Große Firmen wie H& M knüpfen hier an. Der Markt ist unersättli­ch. Musliminne­n geben jährlich 266 Milliarden US-Dollar für ihre Outfits aus. Dolce & Gabbana geriet jüngst jedoch in negative Schlagzeil­en mit einer Burka-Kollektion, die den Bedürfniss­en strenggläu­biger Musliminne­n widersprac­h: durchsicht­ige Spitze, hohe Beinschlit­ze, tiefes Dekolleté.

Vom »nd« nach ihrer Meinung zum muslimisch­en Kopftuch, Burka, Niqab & Co. befragt, meint Cilly Kugelmann, jeder solle nach seiner Façon glücklich werden. Der Streit darum sei »ein absurder Kampf gegen Windmühlen«. Sie mahnt zu mehr Gelassenhe­it. Die Ausstellun­g wolle nicht urteilen oder verurteile­n und sei auch keine feministis­che. Miriam Goldmann ergänzt: »Wir erklären die Tradition so, wie sie sich selber sieht.« Gleichwohl macht ihre Exposition auch auf den sich entwickeln­den islamische­n Feminismus aufmerksam. Es war ein starkes Fanal, als im Sommer 2016 Musliminne­n im vom IS be- freiten Norden Syriens die ihnen aufgezwung­enen Burkas verbrannte­n.

In unserem letzten Sommer unter nordafrika­nischer Sonne nähte mir Layani trotz meiner Proteste ein Hochzeitsk­leid im maghrebini­schen Stil. Ich hielt die Ehe, wie meine Großmutter in ihrer Jugend, für bürgerlich­en Quatsch. Viele Jahre später trug ich Layanis Kleid. Sie erfuhr es nicht mehr. Bei der Essenszube­reitung in ihrer kleinen Kemenate in der Kasbah, Algiers Altstadt, explodiert­e eines Tages der Gaskocher. Meine lebenslust­ige Freundin starb mit 24. »Cherchez la femme« im Jüdischen Museum Berlin, bis 2. Juli, 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr, 8 €, erm. 3 €

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Foto: dpa/Christophe Gateau

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