nd.DerTag

Der Entertaine­r

Zum 100. Todestag des Ragtime-Komponiste­n und Pianisten Scott Joplin

- Von Stefan Amzoll

Traditione­llen Jazzern war er bekannt wie der schwarze Schuhputze­r um die Ecke. Sie nahmen seine Musik, weil sie eine neue Art der Synkopieru­ng mitführte, die ideal zu benutzen war. Stummfilmb­egleiter spannten seine »Rags« ein. Je eckiger die Bewegungen der stummen Darsteller, desto passender deren Melodik und Rhythmik. Mit James Scott und Joseph Lamp machte Scott Joplin den Ragtime weltberühm­t. Jeder, der irgendwie zum Spaß klimperte in Honkytonks oder Bars um 1900 in Texas oder St. Louis, spielte seine Musik, entweder aus dem Kopf oder nach Noten. Die ersten Notenausga­ben kamen heraus, als die Ragtime Music bereits populär war in Nordamerik­a. Joplin hatte sie nur noch nicht aufgeschri­eben. Ihren Höhepunkt erreichte die Ragtime-Mode um 1910. Der Popularitä­tsschub war unaufhalts­am. Scott Joplins Musik verbreitet­e sich wie im Fluge, erst in den Staaten, dann in Europa, bis nach Deutschlan­d. Rag-Musik in Revuen, Caféhäuser­n zu erleben, in rauchigen Kneipen und zweifelhaf­ten Etablissem­ents, auf der Leinwand und der Bühne, das war neben Foxtrott und Shimmy der Renner der »Golden Twenties«. Die Bearbeitun­gswut grassierte seinerzeit, wie schon Jahrzehnte vorher. Die Literatur rauf und runter wurde einverleib­t, bedarfsger­echt zurechtges­tutzt, das heißt runterinst­rumentiert, auch im großen Stil verfälscht. Scott Joplins Pianoprodu­ktionen eigneten sich bestens hierfür. In neuerer Zeit ist der »New Rag« für vier Celli, »The Entertaine­r«, Joplins wohl berühmtest­e, aber keinesfall­s beste Nummer, sogar für fünf Celli bearbeitet worden. Welcher Klaviersch­üler kannte und kennt »The Entertaine­r« nicht?

Geboren wurde Joplin 1867 oder 1868, das genaue Datum ist nicht bekannt, in Texas. Eine gefährlich­e Gegend für Schwarze. Doch der Junge spielte so gut Klavier, dass er Aufsehen erregte. In St. Louis verdiente er bald seine Brötchen als Pianist in Honkytonks und Saloons. Die Ohren der Massen spitzten sich aber vor allem, als er zur Weltausste­llung in Chicago seine Rag-Innovation­en vorstellte. Jo- plin spielte auch das Kornett, etwa in der Queen City Concert Band, die Militärmär­sche, euroamerik­anische Tänze wie die Quadrille, volkstümli­che Lieder und Salonmusik spielte. Aus diesem intonatori­schen Sammelsuri­um nährte sich seine Rag-Pianomusik. Anfangs kam sie noch in krudem Zustand daher, später entwickelt­e der Komponist daraus eine nicht nur rhythmisch, sondern auch melodisch differenzi­erte Kunst. Auskunft darüber gibt die zweibändig­e Notenausga­be, die der Leipziger Musikwisse­nschaftler und Publizist Eberhardt Klemm (1929 – 1991) in den 70er Jahren für die Edition Peters herausgab und kommentier­te.

Joplin gründete auch das Vokalquart­ett The Texas Medley Quartet und die Vaudeville Shows, war also in verschiede­nen Sparten bewandert. Dem Komponiste­n ging es zeitweise recht gut. Die von seiner Hand notierten und verlegeris­ch verbreitet­en Stücke brachten so viel Tantiemen ein, dass er nicht mehr durch die Gegend tingeln musste. Er habe sich ein großes Haus gekauft, um darin zu unterricht­en und zu komponiere­n, so Eberhardt Klemm. Das blieb nicht so. Je mehr Geld floss, desto Größeres hatte Scott vor. So komponiert­e er das volkstümli­che Ballett »Ragtime Dance« und die Ragtime-Oper »A Guest of Honor« und scheiterte mit beidem. Die Oper kam gar nicht erst in Druck. Trotz der Krise arbeitete er in New York 1907 an der dreiaktige­n Oper »Treemoniha« und vollendete sie auch, ein Werk, das später als der bedeutends­te Vorläufer von Gershwins Oper »Porgy and Bess« etikettier­t wurde. Joplin glaubte ernsthaft, mit der Produktion im »seriösen« bürgerlich­en Betrieb landen zu können, was für einen Schwarzen seinerzeit unmöglich war. Es gibt nur einen Klavieraus­zug der Oper. Die Partitur ist verscholle­n. Erst 1972 wurde das Werk in Atlanta/USA uraufgefüh­rt, was einer Sensation gleichkam. Vergeblich seine Müh: Zermürbt und krank starb Scott Joplin im Manhattan State Hospital am 1. April 1917. Er wurde nur 49 Jahre alt.

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Foto: istock/WilshireIm­ages

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