Von Ismail Küpeli
Eine Wahlempfehlung zum Referendum: Frauen in Izmir bilden das Wort »Hayir« (»Nein«). Projektion in Berlin, wo über 140 000 türkische Staatsbürger wahlberechtigt sind Gegen die Ausweitung der Befugnisse des türkischen Präsidenten: Kundgebung in Berlin grundlage für Oppositionsparteien generell wegfällt und dies auch die MHP in Gefahr bringt.
Die größte Oppositionspartei des Landes, die kemalistische CHP, mobilisiert recht geschlossen gegen die Verfassungsänderung. Während in anderen Konflikten die Haltung der CHP als unklar und schwach scheint, ist dies beim aktuellen Wahlkampf nicht zu beobachten. In den Monaten nach dem Putschversuch im Juli 2016 hatte die Parteiführung lange gezögert, die AKP-Regierung offen anzugreifen, nicht zuletzt, um nicht in die Nähe der Putschisten gestellt zu werden. Jetzt kritisiert die CHP offen die Einführung des Präsidialsystems als das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Etablierung einer autoritären Herrschaft. Wahrscheinlich hat die CHP wie auch schon die MHP-Minderheit verstanden, dass in der »neuen Türkei« nach dem 16. April für sie kein Platz mehr ist.
Die HDP hat wiederum für ihre offene Feindschaft zum Präsidialsystem einen hohen Preis bezahlt. Die beiden Parteivorsitzenden, elf weitere Parlamentsabgeordnete, Dutzende BürgermeisterInnen und Tausende Parteimitglieder sind inhaftiert und sollen wegen »Terrorismus« angeklagt werden. Der Wahlslogan der HDP bei den Parlamentswahlen von Juni 2015 scheint sich auf eine zynische Weise zu bestätigen. Erst mit der Ausschaltung der HDP scheint der Staatsumbau möglich zu werden. Trotz der Repressionen mobilisiert die HDP zum Referendum und setzt darauf, dass die kurdische Bevölkerung die Folgen des Krieges der Regierung anlastet und deswegen mit Nein abstimmt.
Wenig überraschend ist es, dass auch die linken sozialen Bewegungen für ein »Hayir« (deutsch: Nein) mobilisieren. Neben der mächtigen Frauenbewegung, die seit Jahren die sichtbarsten und größten Proteste auf der Straße organisiert, beteiligen sich diesmal auch die Gewerkschaften an den Kampagnen gegen die Regierung. Dies war nicht immer so. Insbesondere die großen Gewerkschaftsverbände haben etwa zu wenig und zu uneindeutig gegen den Krieg in den kurdischen Gebieten Stellung bezogen.
Die sozialen Bewegungen erleben seit der Niederschlagung der GeziProteste im Herbst 2013 eine Welle staatlicher Repressionen und eine immer stärkere Einengung der Räume für die zivile und friedliche Opposition. Die Einführung des Präsidialsystems wäre der Abschluss dieses autoritären Weges der AKP-Regierung und würde den sozialen Bewegungen die Luft zum Atmen nehmen.
Indes teilen nicht alle Oppositionelle die Hoffnung auf eine Verhinderung des antidemokratischen Systems. Im Wissen darüber, dass Erdogan und die AKP auch bei einer Niederlage am 16. April weiter den autokratischen Weg gehen werden, verlassen viele AktivistInnen, Oppositionelle und kritische JournalistInnen das Land. Einer der Orte, die sie ansteuern, ist Deutschland.
Die CHP kritisiert die Einführung des Präsidialsystems als das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Etablierung einer autoritären Herrschaft. Wahrscheinlich hat die CHP verstanden, dass in der ›neuen Türkei‹ nach dem 16. April für sie kein Platz mehr ist.