OSZE befürchtet Unregelmäßigkeiten bei Abstimmung
Im kurdischen Teil der Türkei wird die Bewegungsfreiheit der Wahlbeobachter wahrscheinlich eingeschränkt.
Wird es am 16. April in der Türkei eine faire Abstimmung geben? Die türkische Staatsführung empfindet bereits diese besorgt geäußerte Frage als Provokation. Jedenfalls geben sich die Abgesandten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in deutschen Fernseh-Talkshows stets äußerst entrüstet, wenn sie darauf angesprochen werden. In Ankara hat man die Brisanz des Problems aber sehr wohl erkannt und versucht, möglichst offensiv damit umzugehen.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte bereits im Vorjahr, als erste Mitteilungen über das geplante Referendum die Runde machten, ihr gesteigertes Interesse signalisiert, die Abstimmung an möglichst vielen Orten aus der Nähe beobachten zu wollen. Erdogan hat sich bei dem Thema für sich selbst offenbar Kreidefressen verordnet. Jedenfalls zeigt er sich bemüht, in sehr viel aufgeräumterem Ton als sonst von ihm gewohnt die von vielerlei Seiten geäußerten Besorgnisse für gegenstandslos zu erklären. Wie selbstverständlich lud er deshalb selbst europäische Gremien zur Wahlbeobachtung ein; so auch das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), wie dieses mitteilte.
ODIHR ist die zentrale Menschenrechtsinstitution der OSZE. Sie hat von allen Unterzeichnerstaaten, also auch der Türkei, den Auftrag, die OSZE-Staaten dabei zu unterstützen, »die volle Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten, sich an den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu halten, die Prinzipien der Demokratie zu fördern und in dieser Hinsicht demokratische Institutionen aufzubauen, zu stärken und zu schützen, und Toleranz in der gesamten Gesellschaft zu fördern«.
Nicht alles davon wird Erdogan für zulässig halten. Vor allem nicht, dass die Organisation mit Sitz in Warschau »die Wahlbeobachtung sowie die technische Unterstützung bei der Vorbereitung von Wahlen« zu einer ihrer Kernaufgaben erklärt hat. Darunter wird zum Beispiel verstanden, dass man verifizieren möchte, wie frei und geheim die Wahl für den Wähler und wie transparent für den auswärtigen Beobachter erfolgt.
ODIHR hat allerdings bereits zum Ausdruck gebracht, dass es trotz allen Interesses nicht in der Lage sein wird, das ganze Land abzudecken. Hiermit ist nicht allein die Zahl der Orte gemeint, denn natürlich kann die OSZE in einem 80-Millionen-Einwohner-Land wie der Türkei nicht jedes Wahllokal im Blick behalten. Es geht um die prinzipielle Zugänglichkeit. Die Großzügigkeit des türkischen Staates gegenüber den ausländischen Beobachtern wird sehr schnell dort enden, wo er unter Verweis auf den seit Juli geltenden Ausnahmezustand, tatsächliche oder vermeintliche Terrorgefahr den Zugang verwehrt. Das ist besonders für den kurdischen Südosten zu befürchten. Dort tritt der Staat am repressivsten auf; dort sind die meisten Gegenstimmen zu erwarten; und dort ist der Leiterin der ODIHR-Mission, Tana de Zulueta, türkischerseits bereits angedeutet worden, dass die Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt sein könnte.
De Zulueta, eine in Kolumbien geborene ehemalige italienische Parlamentsabgeordnete der Grünen, hat bereits 2014 in der Ukraine Erfahrungen in der Wahlbeobachtung gesammelt. Sie pochte bereits darauf, dass ihr Team sich nicht erst am Wahltag in der Türkei umsehen möchte. Zur Beurteilung, ob eine Abstimmung fair genannt werden könne, gehöre beispielsweise ebenso, so ODIHR, ob sich vor dem Referendum die Befürworter beider Seiten in der Öffentlichkeit und den Medien frei präsentieren könnten.
Die Tatsache, dass dies von ODIHR so angesprochen wurde, ist Hinweis genug darauf, dass man dies erheblich bezweifelt. Die OSZE-Vertreter müssen strikte Neutralität wahren und können deshalb zumindest jetzt nicht sagen, was jeder mediale Beobachter bereits sehen und wissen kann: Gegner der Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems werden nicht nur durch die erfolgte Gleichschaltung der Medien daran gehindert, ihre Argumente in der Öffentlichkeit darzulegen. Ihnen droht die Verhaftung – unter welchem Vorwand auch immer.