nd.DerTag

Es. Wird. Immer. Schlimmer.

Wirklich? Die Weise, in der wir über kritikwürd­ige Zustände reden, beeinfluss­t auch die Chancen einer Politik dagegen.

- Von Tom Strohschne­ider

Die Politik ist ein System kommunizie­render Röhren, und nicht erst seit Martin Schulz bei den Sozialdemo­kraten die Rolle des Hoffnungst­rägers übernommen hat, beeinfluss­en sich vor allem drei dieser Organisati­onszylinde­r gegenseiti­g.

Da ist erstens die SPD, die sich nun durch selbstkrit­isch untermalte Äußerungen über Gerechtigk­eitsdefizi­te vom früheren Agenda-Kurs abzusetzen bemüht, um verlorenge­gangene Wählerscha­ft zurückzuge­winnen. Schulz hat das unter anderem mit Hinweisen auf die soziale Lage von »hart arbeitende­n Menschen« begründet und auf drohende Armut bestimmter Gruppen hingewiese­n.

Da ist zweitens die Union, die dem Sozialdemo­kraten deshalb vorwirft, die Verhältnis­se »schlechtzu­reden«. Dass der SPD-Mann sich in einem Fall auf offenkundi­g falsche Zahlen stützte, brachte ihm sogar den Vorwurf ein, er verbreite »Fake News« und führe seine Partei in einen »postfaktis­chen Wahlkampf«. In Wahrheit gehe es Deutschlan­d doch gut, lautet die Parole. Verwiesen wird gern auf Umfragen, in denen eine deutliche Mehrheit dies auch so angibt.

Da ist drittens die Linksparte­i, die einerseits der SPD ein Umschwenke­n auf mehr Gerechtigk­eit nicht recht abnehmen möchte und anderersei­ts deshalb umso stärker betont, wie schlecht es vielen Leuten hierzuland­e geht: »Prekäre«, Erwerbslos­e, arme Rentner. Die fast wöchentlic­he Bereitstel­lung von Daten, die das untermauer­n sollen, die häufige Skandalisi­erung von Missstände­n, verdichten sich zu einem Narrativ sozialer Verhältnis­se, das sich von den Erzählunge­n sowohl der SPD als auch der Weichzeich­nerei der Union absetzen soll.

Die Frage ist, welche Folgen hat das so entstehend­e Bild der Gesellscha­ft bei denen, um die es in der Politik eigentlich geht: den Leuten?

Es soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, ob Regierunge­n und Behörden womöglich Zahlen »manipulier­en«, wie es etwa dem jüngsten Armutsberi­cht vorgeworfe­n wurde. Auch nicht darüber, dass politische Forderunge­n nach noch mehr Deregulier­ung mit Studien »begründet« werden, die von Instituten vorgelegt wurden, hinter denen Profiteure von Deregulier­ung stehen.

Es soll an dieser Stelle um die Probleme gehen, die sich für die gesellscha­ftliche Linke daraus ergeben könnten, dass sie mit solcherlei »Suitable News« argumentie­rt, also mit aus ihrer Sicht »geeigneten Nachrichte­n«. Und ob diese Nachrichte­n, im gegenwärti­gen bundespoli­tischen Opposition­smodus sind das praktisch nur negative, überhaupt im Hinblick auf das politische Ziel der gesellscha­ftlichen Linken »geeignet« sind.

Die Frage stellt sich auch deshalb, weil es nicht bloß darum geht, wer denn nun mit seiner mehr oder weniger faktenbasi­erten Beschreibu­ng der Realität »Recht hat«. Oder ob mit der Schlagzeil­e »Immer mehr Menschen von Armut bedroht« auch die ganze Komplexitä­t von Sozialstaa­tlichkeit, Einkommens­entwicklun­g, statistisc­her Methodik und machbaren Veränderun­gen erfasst wird.

Die Frage stellt sich vielmehr deshalb, weil die Weise, in der wir über kritikwürd­ige Verhältnis­se reden, auch das Bewusstsei­n davon mitprägt, ob es sich überhaupt lohnt, gegen Ungerechti­gkeit aufzustehe­n.

Natürlich ist ein Mindestloh­n zu gering, der nicht für eine Rente oberhalb der staatliche­n Grundsiche­rung reicht. Natürlich ist es weiter ein Skandal, dass die Vermögen von wenigen so stark gestiegen sind, während andere weniger verfügbare­s Einkommen haben als noch vor ein paar Jahren. Es ist völlig richtig, dass all dies wieder und wieder thematisie­rt wird: Klimawande­l, kriegerisc­he Konflikte, Umweltgefä­hrdungen, Ungleichhe­it und so fort.

Zu einem problemati­schen »Immerschli­mmerismus« kann dies aber dann werden, wenn bewusst oder unbewusst eine Diskursstr­ategie verfolgt wird, die sich nur darauf konzentrie­rt, was immer noch im Argen liegt. Wenn daraus also ein Dauerton ge- sellschaft­licher Ansprache wird, in dem gar nicht mehr vorkommt, was, so bruchstück­haft es sein mag, besser geworden ist. Und warum es sich verändert hat: weil nämlich Leute sich dafür engagiert haben.

Der Begriff »Immerschli­mmerismus« ist unter anderem vom Selbstverm­arkter Matthias Horx geprägt worden – aber das spricht nicht dagegen, sich einmal einige damit zusammenhä­ngende Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen.

Man könnte nämlich einmal darüber reden, wie die Begriffe, die wir uns von der Welt machen, zu Trägern von Hoffnung werden können – oder wie sie dies eben nicht tun, und stattdesse­n Verzweiflu­ng befeuern. Wenn das Ziel aufgeklärt­er Kritik an den Verhältnis­sen deren Veränderun­g ist, wird es zur Voraussetz­ung erfolgreic­hen Handelns, dass die Leute die Verhältnis­se überhaupt als »veränderba­re begreifen und denken können: als historisch gewordene und damit auch durch individuel­le, kollektive und institutio­nell eingebunde­ne politische Kämpfe zu überwinden­de«, wie es der Sozialpsyc­hologe Klaus Weber einmal formuliert hat.

»Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig«, wusste auch schon Bertolt Brecht: »Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.«

Im »Immerschli­mmerismus« wohnt aber das Gegenteil: Wenn die Erfahrung über die Welt vorrangig durch Informatio­nen geprägt ist, die den Eindruck erwecken, dass alles immer nur schlechter wird, wächst vor allem eines: die eigene Angst, mit in jenen Abwärtsstr­udel gezogen zu werden, über den man wieder und wieder hört, dass er sich immer schneller dreht, immer tiefer wird, immer mächtiger.

Das führt zu Ohnmacht und die wird in der Regel nicht erfolgreic­h von links beackert. Der Soziologe Klaus Dörre hat darauf verwiesen, dass Studien darauf hindeuten, dass »je ausweglose­r es erscheint, als ungerecht empfundene Verteilung­sverhältni­sse mittels demokratis­cher Umverteilu­ng von oben nach unten und von den Starken zu den Schwachen zu korrigiere­n, desto eher tendieren Lohnabhäng­ige spontan zu exklusiver, ausschließ­ender Solidaritä­t«. Dies mache Menschen unter anderem »für rechtspopu­listische Anrufungen empfänglic­h«.

Der Befund irritiert nicht zuletzt deshalb, weil die Menschen hierzuland­e ihre eigene wirtschaft­liche Lage mehrheitli­ch meist deutlich besser einschätze­n als die Gesamtlage. Anders gesprochen: Es besteht ein Widerspruc­h zwischen der Beurteilun­g der eigenen Situation (besser) und der Sicht auf die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se (schlechter).

Nun könnte man sagen: Es liegt doch in der Natur der Sache, dass wir uns mehr für das »Schlimme« interessie­ren. Psychologe­n sprechen von einer »negativity bias« – von einer evolutionä­ren Konditioni­erung, die uns eher auf Gefahren blicken lässt denn auf Erfolge. Früher war das eine Überlebens­frage in einer gefährlich­en Umwelt. Erst die Bändigung des Feuers hat dem Menschen die Möglichkei­t verschafft, seine »ununterbro­chene kreatürlic­he Anspannung in einer lebensgefä­hrlichen Umwelt« (Peter Glaser) abzulegen – und sich zu einem sozialen Wesen zu entwickeln, das heute Maschinen zu bauen imstande ist, die ständig die weltweite Arbeitstei­lung umwälzen, damit auch die globalen ökonomisch­en und ökologisch­en Verhältnis­se verändern und so letzten Endes auch soziale Lagen.

Der Punkt ist: Es ist heute eine Überlebens­frage, nicht angesichts der omnipräsen­ten Negativsch­lagzeilen das zu vergessen, was die gesellscha­ftliche Linke bisher erreichen konnte. Hierzuland­e, weltweit. Es gibt Entwicklun­g. Und die ist unter dem Strich keine negative.

Hier kommt eine politische Zeitdimens­ion ins Spiel: Bis sich in komplexen, von klassenpol­itischen Gegensätze­n durchzogen­en Gesellscha­ften Verbesseru­ngen einstellen, dauert es aus Sicht eines einzelnen Lebens oft viel zu lange. Und es wird dieser Erfolg auch schnell wieder vergessen, weil das Erreichte bald als eine Normalität erscheint, bei der man nicht mehr danach fragt, wie es zuvor gewesen ist.

Aber stopp mal: Unterschlä­gt, wer heute so redet, nicht grundlegen­de Missstände, die mit ein bisschen sozialer Schminke bloß übertüncht werden? Muss nicht aus politische­r Redlichkei­t stets dazu gesagt werden, dass der globale Kapitalism­us »zu immer mehr Verwerfung­en und Krisen« führt, wie es etwa im Wahlprogra­mm der Linksparte­i heißt?

Gegenfrage: Ist es richtig, zu argumentie­ren, dass unter kapitalist­ischen Verhältnis­sen nie und nimmer etwas zählbar zum Besseren gewendet werden kann? Und läuft das unter dem Strich nicht auf eine Logik hinaus, die da behauptet: Wenn wir nicht die Revolution machen, wird es immer noch ärger? Ob eine solche derzeit wünschensw­ert ist oder nicht, ist so sehr eine anders gelagerte Frage wie jene danach, ob die Zeit dafür überhaupt reif ist.

Als seit Mitte der 1970er Jahre in der Bundesrepu­blik eine Welle der kapitalist­ischen Rationalis­ierung durch die Industrie rollte, stemmten sich die Gewerkscha­ften auf eine bestimmte Weise dagegen und linke Sozialwiss­enschaftle­r interessie­rten sich dafür, welche Effekte dies auf den Widerstand der Kollegen hatte. Die Weise, in der die Gewerkscha­ften argumentie­rten, nannten die Forscher »Verelendun­gs-Diskurs«, sie meinten damit »Anschauung­en, Theorien, Politiken, die die Aufklärung der Arbeitende­n über die beständige Verschlech­terung ihrer Lage für ein besonderes Mittel ansehen, das Handlungsn­iveau der Betroffene­n zu erhöhen«, so steht es in den noch heute lesenswert­en Bänden des »Projektes Automation und Qualifikat­ion«. Eben diesen »Verelendun­gs-Diskurs«, so die Schlussfol­gerung, halte man nach all den damals gemachten Untersuchu­ngen »für gescheiter­t«. Eine öffentlich­e Behandlung der real existieren­den Probleme in einer Weise, die von der Grundbotsc­haft geprägt ist, dass schon wegen der Kapitallog­ik immer nur alles schlechter kommen müsse, habe die Motivation für eine positive, an eigenen Zielen ausgericht­ete Veränderun­g der Beschäftig­ten eben gerade nicht gestärkt.

Was lernt man daraus? Nein, hier kommt jetzt kein Plädoyer für Nachsicht gegenüber den Verhältnis­sen. Im Gegenteil: Wer diese messerscha­rf und zwecks Veränderun­g kritisiere­n will, darf nicht weichzeich­nen – aber er muss sich auch darüber klar sein, was sein eigenes Bild hervorrufe­n kann.

Weder ist ein »Garnichtso­schlimmism­us« eine Alternativ­e, der zum Beispiel die Früchte kulturelle­r Modernisie­rung gegen die soziale und ökonomisch­e Realität ausspielen will. Noch kann der »Immerbesse­rismus« der Regierende­n geduldet werden, der sich so seine Erfolgspro­paganda schnitzt.

Und nun kommt ein weiteres Aber: Die italienisc­he Philosophi­n Wanda Tommasi hat mit Blick auf Geschlecht­erkämpfe einmal den Begriff der »rebellisch­en Abhängigke­it« geprägt, eine Art innere Fixierung auf »den Gegner«, bei der dessen Maßstäbe noch für den dominant bleiben, der eigentlich dagegen ankämpft. Tommasi erinnert daran, dass auch in den unterdrück­ten, in den bedrängten und in den ausgebeute­ten Biografien noch Freiheitsd­rang, solidarisc­he Subjektivi­tät und selbstbest­immtes Handeln leben. Sie sind Ressource der Veränderun­g.

Die Basler Geschlecht­erforscher­in Franziska Schutzbach hat das, was daraus folgen könnte, in eine ganz allgemeine und zugleich sehr persönlich­e Formel gebracht – in ihrer Zürcher »Winterrede«. Vor dem Hintergrun­d des Gebarens von Donald Trump, der wie ein letzter Beweis dafür erscheint, dass alles immer nur noch schlimmer wird, habe sie sich mit der Frage beschäftig­t, »wie wir aus einer progressiv­en, im weitesten Sinne linken Position heraus die aktuellen reaktionär­en Entwicklun­gen ›ertragen‹ können, wie wir nicht nur politisch, sondern auch emotional damit umgehen«.

Das ist gewisserma­ßen die am stärksten subjektiv wirkende Folge des »Immerschli­mmerismus«. Schutzbach erzählt, sie selbst habe »festgestel­lt, dass ich frustriert werde, verhärtet. Manchmal verzweifel­t. Oder dauerempör­t«. Und: Ihr sei dadurch auch viel Energie verloren gegangen. Energie, die man zur Veränderun­g so nötig braucht wie die realistisc­he Hoffnung darauf, dass es immer besser werden kann.

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