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Fleischfre­ssende Blume verdaut Pflanzengl­uten

- Von Reinhard Renneberg, Hongkong

Wenn meine Frau am Vorabend »normales« Brot gegessen hat, verkleben am nächsten Morgen ihre ansonsten strahlende­n blaugrünen Augen. Schuld ist ein wichtiger Getreidebe­standteil: Gluten.

Menschen mit Zöliakie leiden an heftigen Bauchschme­rzen und schädigen den Darmtrakt durch dieses »Klebereiwe­iß« Gluten. Dieses besonders in Weizen enthaltene Eiweiß ist wichtig für den Bäcker, weil es den Teig zusammenhä­lt. Besonders hoch ist der Glutenante­il im Hartweizen der Nudeln. 15 Prozent der Aminosäure­n des Glutens sind Prolin. Diese Aminosäure kann durch Pepsin im Menschenma­gen nicht abgespalte­t werden. Prolin stabilisie­rt Eiweiße.

Der Protein-Chemiker David Schriemer von der kanadische­n Universitä­t Calgary hat eine 15jährige Nichte, die an Zöliakie leidet. Er suchte auch beruflich nach Enzymen, die Proteine abbauen, also Proteasen. Im flüssigen Verdauungs­sekret von Kannenpfla­nzen (Nepenthes ventrata) wurde Schriemer fündig: Dort gibt es gleich drei superaktiv­e Proteasen. Das war zunächst nicht verwunderl­ich, sind Nepenthes doch berühmt dafür, Fliegen in ihre Fallen zu locken und dort zu verdauen.

In jedem Blumengesc­häft Hongkongs kann man die dekorative­n Pflanzen mit je etwa einem Dutzend der vasenförmi­gen »Fliegenfal­len« kaufen. Sie müssen aber auch gut mit Insekten gefüttert werden. Ein Problem für den Hobby-Gärtner.

David Schriemer besorgte sich als erstes hundert Kannenpfla­nzen mit je 10 bis 20 Kannen. Ein netter Kollege lieferte ihm »überschüss­ige« Fruchtflie­gen aus seinem Drosophila-Labor zur wöchentlic­hen Fütterung der schier unersättli­chen Pflanzen.

In sechs Monaten sammelte Schriemer immerhin sechs Liter des Sekretions­saftes, ausreichen­d für seine Untersuchu­ngen. Das Erstaunlic­he an den Nepenthes-Proteasen ist, dass sie prolinhalt­ige Eiweiße perfekt abbauen. Ein Wunder der Evolution! Versuche mit Gluten aus Weizenmehl zeigten sehr gute Abbauraten, wie Schriemer im Fachblatt »Journal of Proteome Research« (DOI: 10.1021/acs.jproteome.6b00224) schreibt. Der Wissenscha­ftler arbeitet gegenwärti­g an Enzym-Varianten, die dann im Bioreaktor durch genverände­rte Bakterien im Großmaßsta­b produziert werden sollen. Es ist also noch ein weiter Weg bis zur Pille für Zöliakie-Patienten zu gehen, aber der erste Schritt ist immerhin getan! Weitere fleischfre­ssende Pflanzen werden untersucht.

Als begeistert­er Biotechnol­oge liebe ich Handversuc­he. Langjährig­e Biolumne-Leser wissen, wie ich meinen eigenen Herzinfark­t zur Prüfung meines selbst entwickelt­en Infarkttes­ts genutzt habe.

Ich werde also gleich mal meine Frau fragen, ob sie heute Abend Gluten-Brot essen und danach versuchswe­ise einen Schluck aus der Kannenpfla­nze nehmen würde. Die in den Kannen schwimmend­en unverdaute­n Fliegen würde ich natürlich vorher abfiltern.

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Zeichnung: Chow Ming

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