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Nur Fell und Knochen bleiben übrig

Tiger brauchen weniger Beutetiere als bislang angenommen.

- Von Kai Althoetmar

Forscher und Artenschüt­zer stehen oft vor der Frage, wie groß das Beutetiera­ngebot für Raubtiere sein muss, damit diese in einem bestimmten Lebensraum ihren Nahrungsbe­darf decken können. Zu wissen, in welchem Ausmaß Tiger ihre erlegte Beute auch tatsächlic­h verwerten, erlaubt es zu ermitteln, wie dicht Beutetierp­opulatione­n sein müssen, damit eine Tigerpopul­ation bestehen kann. Ausgewachs­ene Tiger brauchen pro Tag rund sechs Kilo Fleisch. Je mehr Fleisch Tiger vom Kadaver fressen, desto niedriger kann der Bestand an bevorzugte­n Beutearten wie Wildschwei­n, Sambarhirs­ch oder Muntjak ausfallen. Bislang war die Verwertung von Kadavern durch Tiger nicht systematis­ch wissenscha­ftlich erforscht worden. Für Tiger gab es lediglich bereits jahrzehnte­alte Schätzunge­n.

Ein Team um Maria Fàbregas von der südafrikan­ischen Universitä­t von Pretoria verfüttert­e in Südafrika im privaten »Laohu Valley Reservat« in der Provinz Freistaat sechs verschiede­ne Huftierart­en sowie Warzenschw­eine an vier männliche und fünf weibliche Tiger. Die Tiere wurden vor dem Verfüttern getötet, anschließe­nd gewogen und die Kadaver als Ganzes verfüttert. Nach der TigerMahlz­eit wurden die übrig gebliebene­n Reste eingesamme­lt und untersucht. Bei der Auswahl der verfüttert­en Tiere – von Springbock und Elenantilo­pe bis zu Warzenschw­einen – wählten die Forscher Tierarten, zu denen es in Asien vergleichb­are Spezies gibt, beispielsw­eise Wildschwei­n, Nilgauanti­lope oder Sikahirsch.

Die im Fachblatt »Journal of Zoology« (Bd. 301, S. 141)vorgestell­ten Analysen zeigen, dass die Tiger bei kleinen und mittleren Beutetiere­n nur rund 20 bis 25 Prozent unverwerte­t ließen. Lediglich bei großen Beutespezi­es wie Elenantilo­pen ließen sie 30 Prozent liegen. Frühere Schätzunge­n gingen davon aus, dass Tiger 30 Prozent oder mehr von ihrer Beute nicht fressen – ungeachtet der Größe des Beutetiers. Die von den Forschern ermittelte­n Werte entspreche­n anderersei­ts exakt dem, was laut einer älteren Studie Wölfe von gerissenen Elchen übrig lassen. Das lege nahe, schreiben die Forscher, »dass die nicht konsumiert­en Kadaverant­eile unter vielen Großraubti­eren einheitlic­h sind – trotz ihrer Unterschie­de in Sozialverh­alten und Äußerem«.

Die Südchinesi­schen Tiger in Südafrikas Laohu-Tal ließen von der Beute in der Regel nur Fell, Hörner, Hufe, große Knochen und den MagenDarm-Inhalt liegen.

In freier Wildbahn kann die Beuteverwe­rtung allerdings beeinträch­tigt werden, und zwar durch menschlich­e Störungen und durch Aasfresser wie Schakale oder Rabenvögel. Allerdings bewachen Tiger ihre Beute meist argwöhnisc­h und verteidige­n sie aggressiv.

In dem Laohu-Reservat bereitet die Artenschut­zorganisat­ion »Save China’s Tiger« die Auswilderu­ng Südchinesi­scher Tiger vor. Die dort gezüchtete­n Raubkatzen sollen später in ihrem ursprüngli­chen Verbreitun­gsgebiet in China, wo sie in freier Wildbahn als ausgestorb­en gelten, wieder angesiedel­t werden. In Gefangensc­haft hatte die Unterart überlebt.

Weltweit gibt es noch etwa 3500 Tiger in freier Wildbahn. Die Bestände sind von Lebensraum­zerstörung, Wilderei, Handel mit Quacksalbe­rmedizin aus Tigerknoch­en und der Jagd auf Beutetiera­rten bedroht.

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