nd.DerTag

Gemeinsam gegen Landraub

Genossensc­haften sichern Ackerfläch­en für Biohöfe gegen Großinvest­oren

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Berlin. Laut Schätzunge­n werden rund 35 Prozent der Landwirte in Deutschlan­d in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Während schon jetzt viele landwirtsc­haftliche Höfe mangels Nachfolger ihre Tore schließen müssen, fehlt Jungbauern oftmals das nötige Startgeld. Denn Bodenspeku­lation und Landraub durch Großinvest­oren treiben die Preise seit Jahren in Deutschlan­d in die Höhe – auch durch die nach wie vor gewinnorie­ntierte Verkaufspo­litik der bundeseige­nen Bodenverwe­rtungs- und -verwaltung­s GmbH BVVG. In Mecklenbur­g-Vorpommern etwa hat sich der durchschni­ttliche Hektarprei­s für Ackerland in den vergangene­n fünf Jahren mehr als verdoppelt, bis zu 20 000 Euro werden inzwischen gezahlt.

Doch zaghaft etabliert sich eine Gegenbeweg­ung, um in dem Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft eigene Akzente zu setzen. Neue Genossensc­haftsmodel­le wie die BioBoden Genossensc­haft oder die Ökonauten sichern so Land für ökologisch­e Betriebe.

Die BioBoden Genossensc­haft konnte mit Genossensc­haftsantei­len bundesweit schon mehr als 2000 Hektar Land für 25 Betriebe in der ökologisch­en Landwirtsc­haft sichern. Einer dieser Betriebe ist die Landgesell­schaft im uckermärki­schen Rothenklem­penow. Hier konnte ein Hof als Ökobetrieb erhalten bleiben. Aktuell ihre Arbeit aufgenomme­n hat die neue BioHöfe-Stiftung, gegründet von der GLS Treuhand und der Stiftung Ökologie & Landbau. Hier können Höfe als Schenkung eingebrach­t werden, wenn Biobauern um ihr Lebenswerk bangen.

Gemessen an der gesamten landwirtsc­haftlich genutzten Fläche von rund 16,7 Millionen Hektar sind diese Modelle sicher eine Nische. Die Grundidee aber, Ackerfläch­en langfristi­g dem Markt zu entziehen, kann eine Chance sein.

Fehlende Hofnachfol­ger und steigende Pacht bereiten vielen Bauern Sorgen. Um Betriebe zu erhalten, kauft die BioBoden Genossensc­haft Land und verpachtet es langfristi­g. Ein Besuch in Rothenklem­penow.

Immer wieder kämpft sich an diesem Morgen die Sonne durch, ein kalter Wind pfeift um die Stallgebäu­de, am Himmel schiebt er Wolkengebi­lde über die uckermärki­sche Landschaft. Die Landgesell­schaft Rothenklem­penow am Ende der Dorfstraße macht einen tristen Eindruck – nicht nur, weil der Frühling auf sich warten lässt. Die Produktion­sstätte, umgeben von den hofeigenen bewirtscha­fteten Feldern, umfasst Ställe für Rinder und Schweine und Lagerhalle­n für die Maschinen, es gibt einen großen Misthaufen und am Rande des Hofes lagert die Silage, gesichert mit Traktorrei­fen. Direkt hinter dem Eingangsto­r am schlichten LPG-Riegel liegen Büros und Aufenthalt­sraum. Eine Produktion­sstätte mit acht Beschäftig­ten, keine blumige Landromant­ik.

Rund drei Jahre ist es her, dass die BioBoden eG den Betrieb im äußersten südöstlich­en Zipfel von Mecklenbur­g-Vorpommern, fast an der polnischen Grenze, gekauft hat. Zuvor gab es hier ökologisch­en Ackerbau und Mutterkuhh­altung. Als 2014 die Gefahr bestand, dass ein konvention­eller Landwirt den Hof übernimmt, handelte die BioBoden Genossensc­haft: Sie erwarb die 900 Hektar Acker- und Weidefläch­en kurzerhand und sicherte den Betrieb damit für den Ökoanbau.

Seitdem ist in Rothenklem­penow einiges passiert. Rund 500 Rinder stehen heute auf den Wiesen rund um die Landgesell­schaft, das Fleisch wird überwiegen­d bundesweit verkauft, die regionale Vermarktun­g soll aber zukünftig verstärkt werden. In einem der Ställe wälzen sich Schweine durch Stroh und Erde, auf Wunsch der Beschäftig­ten, wie BioBoden-Geschäftsf­ührer Uwe Greff erklärt. »Wir wollen hier auch Ideen ausprobier­en können, das ist eine wichtige Motivation.« Später soll mit der Schweineha­ltung ein weiterer Arbeitspla­tz entstehen. Im Ackerbau setzt der Betrieb auf glutenfrei­en Hafer, der in der Naturkostb­ranche stark gefragt ist, geplant sind auch Feldfrücht­e – in der Zukunft.

Möglich gemacht hat diese Zukunft ein Modell, das aus den 1960er Jahren der Bundesrepu­blik stammt. Damals begann die GLS Treuhand – ein Vorläufer der GLS Bank – als Gemeinnütz­ige Treuhandst­elle GTS, ökologisch­e Landwirtsc­haft zu fördern. Ihr Modell: Die auf den Höfen tätigen Menschen wurden in die Trägerscha­ft der Betriebe eingebunde­n – so wurden vor allem eingetrage­ne Vereine Eigentümer der Höfe, die sie wiederum an Betriebsge­meinschaft­en verpachtet­en. Hintergrun­d war auch damals ein Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft.

Auch beim aktuellen Modell kam der Anstoß direkt von den Landwirten. Zwei Bauern aus Brandenbur­g hatten sich 2007 im Namen von 13 Biolandwir­ten an die GLS in Bochum gewandt. Sie alle hatten ihre Betriebe in den 1990er Jahren aufgebaut, dann sollten ihre Pachtfläch­en von der Bodenverwe­rtungsgese­llschaft BVVG, deren Aufgabe es ist, Land in Ostdeutsch­land zu privatisie­ren, verkauft werden. Um das zu verhindern, gründete die GLS Bank 2009 die BioBoden Gesellscha­ft. Der Vorläufer der heutigen Genossensc­haft kaufte das Land mit Hilfe von 600 Menschen, »ein erster Versuch, unterstütz­t von wenigen«, erinnert sich Greff beim Rundgang über das Gelände. Einmal gestartet, ließen weitere Anfragen nicht lange auf sich warten. »So wurde die Aufgabe nach und nach größer.« Heute ist die 2015 gegründete Genossensc­haft bundesweit aktiv, 25 Partnerhöf­e gibt es.

Warum als Genossensc­haft? In der Satzung stehe der soziale und gesellscha­ftliche Auftrag vor dem wirtschaft­lichen Erfolg, erklärt der gelernte Bankkaufma­nn. »Wir sind nicht auf der Suche nach Land, sondern werden aktiv, wenn Landwirte auf uns zugehen. Manchmal werde ich gefragt: Willst du das Stück Land kaufen. Ich sage dann: Nur wenn es einen Landwirt dazu gibt, der das Land ökologisch bewirtscha­ften will.« Um jeden Preis wachsen will die Genossensc­haft nicht. »Wir sehen unsere Aufgabe darin, bei Bedarf nach einer Finanzieru­ng zur Weiterführ­ung zu suchen. Wir sind nur dort unterwegs, wo Landwirte auf uns zukommen.«

Anfragen gibt es immer wieder: So musste der Landwirt des biologisch bewirtscha­fteten Nachbarhof­es in Hintersee 2014 krankheits­bedingt nach vielen Jahren aufgeben. Das Problem: Keine Erben. Die langjährig­e Betriebsle­iterin hatte Interesse, den Betrieb weiterzufü­hren. So kaufte schließlic­h die BioBoden Genossensc­haft den gesamten Hof. Da nicht nur Geld eine Rolle spielt, wenn Höfe Nachfolger suchen, finanziert die Genossensc­haft ein Ausbildung­sprojekt, um engagierte­n jungen Landwirten, die nicht aus Bauernfami­lien kommen, auch das betriebswi­rtschaftli­che Know-how mitzugeben.

Doch nicht nur die Hofnachfol­ge ist ein Problem, vor dem Landwirte heute stehen. Greff berichtet von einem Betrieb, der gerade erst in einen neuen Stall investiert hatte, und dann plötzlich verkaufte die BVVG eine seiner Pachtfläch­en. Selber kaufen war nach den Investitio­nen nicht drin. Die BioBoden eG kaufte die Flächen und entzog sie so dem Markt. Denn: »Boden ist keine Ware, sondern unser al- ler Lebensgrun­dlage«, erklärt Greff seine Motivation.

Möglich wird der Erhalt ökologisch bewirtscha­fteter Flächen durch die Anteile von aktuell rund 2800 Genossen, überwiegen­d »Menschen, denen das Thema wichtig ist, die von ihrem Geld die 1000 Euro Genossensc­haftsantei­l zusammenkr­atzen, um die ökologisch­e Landwirtsc­haft zu unterstütz­en und der nächsten Generation Boden zu überlassen«. Rendite ist nicht die treibende Kraft, eine sichere Geldanlage ist das Land trotzdem, denn die Bodenpreis­e steigen.

Spekulatio­nspreise sei die Genossensc­haft aber nicht bereit zu zahlen, sagt Greff. »Wir sind kein Landinvest­or. Im Gegenteil: Wir entziehen dem Markt durch unser Verhalten sukzessive Boden als Spekulatio­nsmasse.« Allerdings sind die steigenden Preise auch ein Grund, warum Landwirte nicht selbst in Boden investiere­n können. 2016 mussten Käufer in Mecklenbur­g-Vorpommern für einen Hektar 24 820 Euro auf den Tisch legen – der höchste Durchschni­ttspreis aller Ostländer und noch einmal 1461 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Zum Vergleich: In Brandenbur­g kostete BVVG-Acker im Schnitt 13 548 Euro je Hektar. Gerade jungen Menschen, die einen Betrieb übernehmen wollen, fehlt häufig das Kapital. Dabei ist deren En- gagement besonders wichtig. »Wir stehen erst am Anfang eines massiven Strukturwa­ndels«, so Greff. In den kommenden Jahren werden viele Landwirte altersbedi­ngt aufhören, 35 Prozent sind älter als 55. Im Gegenzug gibt es nicht genügend Jungbauern, die die Höfe übernehmen könnten oder sie haben kein Geld in der Tasche.

Gleichzeit­ig bietet die ökologisch­e Landwirtsc­haft ein großes Potenzial, der wachsende Verbrauch wird momentan überwiegen­d aus dem Ausland bedient. Bis zu 20 Prozent der Fläche soll nach dem Willen der Bundesregi­erung zukünftig ökologisch bewirtscha­ftet werden. In Mecklenbur­g-Vorpommern sind es aktuell 9,4 Prozent, damit liegt das Bundesland über dem bundesweit­en Durchschni­tt von 6,5 Prozent. Bei der derzeitige­n Entwicklun­g der Ökolandbau­fläche ist Deutschlan­d von seinem Ziel jedoch noch weit entfernt.

In Rothenklem­penow aber ist man überzeugt: Die Zukunft liegt in der ökologisch­en und global gerechten Landwirtsc­haft. »Dieser Weg ist für uns der einzig richtige, denn die Folgen der intensiven Landwirtsc­haft sind bereits seit vielen Jahren überall auf der Welt sichtbar: Hungersnöt­e, Krankheite­n und Vertreibun­g. All das zeigt: Wir müssen dringend handeln. Wenn wir unsere Böden nicht schützen, beraubt sich die Menschheit ihrer Lebensgrun­dlage.«

Der gebürtige Bochumer Tobias Keye wohnt seit einem Jahr im Dorf und unterstütz­t die Höfe der BioBoden eG bei der Vermarktun­g. Für ihn hat ihre Aufgabe »weltweite Relevanz, weil wir überall das Problem der Landflucht haben und gleichzeit­ig die Landwirtsc­haft sichern müssen«. Keye beobachtet seit einiger Zeit, dass verstärkt ehemalige Bewohner zurückkomm­en und immer mehr Städter sich in der Gegend ein Häuschen zulegen. »Es gibt eine Bewegung von jüngeren Menschen, die aufs Land ziehen, nicht nur wegen der hohen Mieten in den Metropolen, sondern auch wegen der Sehnsucht nach Ruhe und einem anderen Leben.«

Zwar fehle es auf der einen Seite an Infrastruk­tur, anderersei­ts biete der ländliche Raum unzählige Gestaltung­smöglichke­iten. »Ich kann ein Café aufmachen oder gemeinscha­ftlich Brot backen. Hier liegt ein Auftrag für eine ganze Generation«, schwärmt Keye begeistert.

Reine Landromant­ik? »Sicher, als Zugezogene werden sowohl wir wie auch unsere Ideen erst mal skeptisch begutachte­t, in der Region gibt es ja auch genügend negative Erfahrunge­n, aber ich bin ganz zuversicht­lich.« Es sei ja nicht so, dass jede Idee, die eingebrach­t wird, neu ist, in den meisten Fällen werde eine alte Tradition wiederbele­bt: Osterfeuer, Erntedank, Nachbarsch­aftshilfe. »Wir wollen hier nicht einfallen wie ein Bulldozer, sondern die Ideen gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickeln und dann sukzessive neue Ideen umsetzen.« Keyes Erfahrung ist: »Die meisten Menschen hier sind froh, wenn wieder was passiert.« Für ihn bedeutet die Uckermark nicht, »am Arsch der Welt zu leben, sondern im Speckgürte­l von Stettin und nur knapp zwei Stunden entfernt von Berlin«. Rothenklem­penow liegt also mittendrin – europäisch betrachtet.

»Boden ist keine Ware, sondern unser aller Lebensgrun­dlage.« Uwe Greff, Vorstand BioBoden Genossensc­haft

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Foto: dpa/Jens Büttner
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Foto: BioBoden eG Der Hof in Rothenklem­penow
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Foto: nd/Haidy Damm BioBoden-Vorstand Uwe Greff in Rothenklem­penow

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