nd.DerTag

Entsetzen über Giftgasang­riff in Syrien

Faktenlage dünn / Westliche Länder weisen Damaskus Schuld zu / Russland bestreitet Verantwort­ung

- Von Roland Etzel

Nach einem Luftangrif­f in Nordwestsy­rien hat es Berichten zufolge über 50 Todesopfer gegeben – vor allem deshalb, weil Giftgas eingesetzt worden sein soll.

Die gegen die syrische Regierungs­armee operierend­en Milizen beherrsche­n momentan nur noch eine Provinz nahezu komplett. Das ist Idlib im Nordwesten an der Grenze zur Türkei. Dort soll am Dienstag ein Luftangrif­f fast 60 zivile Todesopfer gefordert haben, auch Kinder, und das alles durch freigesetz­tes Giftgas.

Wie häufig in Syrien ist die Nachrichte­nlage unübersich­tlich. Verbreitet wurde die Mitteilung von der Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte, die den bewaffnete­n Rebellen nahesteht. Sie meldete sich aus Beirut und berief sich auf Augenzeuge­n. Diese hätten Verletzte gesehen mit ty- pischen Symptomen von GiftgasOpf­ern wie Atemnot, Ohnmachtsa­nfällen, Übelkeit und Schaum vor dem Mund.

Ähnliches berichtet ein AFPReporte­r. Er habe in einer Klinik in Chan Scheichun, einer 50 000Einwohn­er-Stadt nahe Idlib, vier Tote mit Schaum vor dem Mund gesehen, darunter ein Mädchen und eine Frau. Aufnahmen aus der Klinik zeigten Rettungskr­äfte der syrischen Weißhelme, die Verletzte mit Wasser abwuschen. Die Weißhelme sind eine private und vom Westen unterstütz­te Zivilschut­zorganisat­ion von Freiwillig­en in Syrien, die den Opposition­smilizen nahesteht und nur in von diesen kontrollie­rten Teilen des Landes aktiv ist.

Welches Giftgas zu den Verletzung­en geführt haben soll, wurde bis Dienstagna­chmittag von keiner der genannten Seiten verifizier­t. Der Fernsehsen­der »Orient News«, der einem exilierten syrischen Geschäftsm­ann ge- hört und von den Vereinigte­n Arabischen Emiraten aus sendet, sprach von Sarin, einem nach den internatio­nalen Konvention­en geächteten Giftstoff. Spiegel online schreibt ebenfalls, Ärzte sprächen davon, dass »möglicherw­eise« der chemische Kampfstoff Sarin eingesetzt worden sei. Andere Vermutunge­n gehen in Richtung Chlor. Letzteres ist nicht internatio­nal geächtet, weil es vor allem für zivile Zwecke genutzt wird.

Die Provinz war bereits häufig Ziel russischer und syrischer Kampfjets. Aber auch die US-geführte Koalition, die in Syrien Dschihadis­ten bekämpft, hat dort schon Angriffe geflogen. Damaskus bestätigte indirekt einen Angriff, bestritt aber, dass Giftgas zum Einsatz gekommen sei. Es handle sich um eine »Falschansc­huldigung« der Opposition, zitierte AFP Sicherheit­skreise. Dagegen wiesen die russischen Streitkräf­te deutlich jegliche Verantwort­ung für einen Giftgas-An- griff zurück. In der betroffene­n Region um die Stadt Chan Scheichun habe die russische Luftwaffe keinerlei Angriffe geflogen.

Ungeachtet der dünnen Faktenlage werden Russland und Syrien von westlichen Ländern verantwort­lich gemacht. Frankreich­s Außenminis­ter Jean-Marc Ayrault beantragte wegen des »besonders schwerwieg­enden Chemiewaff­enangriffs« eine Dringlichk­eitssitzun­g des UN-Sicherheit­srats.

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