nd.DerTag

Beschämend

- Velten Schäfer über den Zynismus der deutschen Beileidsku­ltur

Stecken russische Geheimdien­ste hinter der Bombe in der St. Petersburg­er U-Bahn? Versucht Putin, »von der jüngsten Protestwel­le im Land abzulenken«? War die Bluttat ein »Startschus­s« für seinen Wahlkampf, wie »einer auf Facebook« schreibt?

Die Leichen sind noch nicht gezählt, da zitiert die »Süddeutsch­e« schon zynische Verschwöru­ngstrolle – und reibt sich schier darob die Hände, dass für »eine Führung, die weitgehend­e Kontrolle in allen Belangen für sich beanspruch­t«, nun »einiges zusammenko­mmt«.

Solche Einlassung­en fügen sich in einen Tenor. »Putin schwört Rache« schlagzeil­te die FAZ im November 2015: Moskau hatte nach dem Anschlag auf einen Urlaubsfli­eger mit 224 Toten Reaktionen angekündig­t. Fast zeitgleich diskutiert­e das Blatt die Pariser Anschläge mit 130 Opfern als unabweisba­ren Grund für militärisc­he »Solidaritä­t« mit Frankreich. Und inzwischen ist Flug 7k 9268 vergessen: In den »vergangene­n Jahren« sei nur der Westen von Terror betroffen gewesen, weiß die »Süddeutsch­e« am Tag nach Petersburg.

In der Hauptstadt gibt es die Sitte, das Brandenbur­ger Tor nach Anschlägen in den Farben der betroffene­n Nation anzustrahl­en. Es bedurfte eines Anschlags in Russland, um zu erfahren, dass dies nur für »Partnerstä­dte« gilt – und für »Ausnahmen«. Eine solche wurde ausgerechn­et für jene Stadt, die von Berlin aus einst in den Hungertod belagert wurde, auch am Folgetag und trotz Protesten am Ende nicht gemacht. All das ist einfach beschämend.

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