Yücel erhält Besuch von Diplomaten
Bundesregierung setzt sich weiter für Freilassung des Journalisten ein
Istanbul. Der seit Wochen in der Türkei inhaftierte Journalist Deniz Yücel hat am Dienstag Besuch von einem deutschen Diplomaten erhalten. Yücel gehe es den Umständen entsprechen gut, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), in Istanbul. Belastend sei für den »Welt«-Korrespondenten allerdings weiterhin die Einzelhaft im Gefängnis von Silivri. Die Bundesregierung setze sich weiter für die Freilassung Yücels ein.
Die konsularische Betreuung war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits vor einigen Wochen vom türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim zugesagt worden. Nach langen Bemühungen sei der Besuch des deutschen Generalkonsuls Georg Birgelen am Dienstag möglich geworden, erklärte Roth. Zuvor hatte bereits ein Anwalt des Generalkonsulats Yücel sprechen können.
Auch andere regierungskritische Journalisten, darunter mehrere Mitarbeiter der Tageszeitung »Cumhuriyet«, sind in der Haftanstalt Silivri gefangen.
Die Grünen haben einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Sie werben um Verbündete und appellieren an die übrigen Parteien im Bundestag, sich ihren Entwurf zu eigen zu machen.
Deutschland hat ein Problem: Es ist ein Einwanderungsland. Das heißt, es wandern im Saldo mehr Menschen ein als aus, wie Thomas Groß von der Universität Osnabrück erklärt. Groß war Berater der Grünen bei ihrer Erarbeitung eines Einwanderungsgesetzes; er und die Grünen sind sich einig, dass es sich bei der Einwanderung nicht um ein Problem handelt, vor dem man sich schützen muss, sondern um eines, das man regeln muss. Denn Deutschland beklagt gleichzeitig einen wachsenden Fachkräftemangel, den es aus eigener Kraft nicht decken kann.
Weil Deutschland ein Einwanderungsland sei, brauche es ein Einwanderungsgesetz, sagt Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Auch in Parteien wie der SPD und der LINKEN gibt es Überlegungen und Papiere dazu. Die Unionsparteien lehnen ein Gesetz bisher ab; inzwischen schwindet der Widerstand aber, weil ein Einwanderungsgesetz als gute Möglichkeit gilt, Einwanderung zu begrenzen und weil die panischen Rufe der Wirtschaft langsam Wirkung bei den Konservativen zeigen.
Die Unterschiede zwischen den Parteien fangen schon mit der Sicht auf die Probleme an, die ein solches Gesetz regeln sollte. Absichtsvoll wird in Debatten durcheinandergeworfen, was rechtlich unterschieden gehört: Politische oder Bürgerkriegsflüchtlinge haben ein Recht auf Asyl oder wenigstens humanitären Schutz, Menschen, die aus wirtschaftlicher Not fliehen, wird dieses Recht nicht zugestanden. Auch in den Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer sind die Fälle nicht leicht zu unterscheiden, auch deshalb, weil die Menschen wissen, dass sie als Wirtschaftsflüchtlinge keine Chance haben.
Einwanderungsskeptiker machten hieraus eine gesetzesgestützte Misstrauensphilosophie. Denn zwar gibt es Menschen, denen das Recht auf Zuwanderung zugestanden wird, weil man sie braucht. Man konfrontiert sie aber mit einer misstrauischen Bürokratie, weil man befürchtet, dass es sich doch um Wirtschaftsflüchtlinge handeln könnte. Oder dass Deutsche oder EU-Ausländer mehr Anrecht auf einen Job hätten. Oder weil man glaubt, die Zuwanderer könnten sich nicht entscheiden wollen zwischen Deutschland und ihrem Herkunftsland, weshalb nach einer längeren Ausreise eine Wiedereinreise unterbunden wird.
Zugleich gibt es durchaus reale Folgeprobleme der Migration, die von Parteien gern ignoriert oder gar missbraucht werden. Dass Migranten für Lohndumping missbraucht werden, ist zum Beispiel ein solches Problem. Welches soziale Kosten verursacht, weil der Staat die soziale Sicherung übernimmt, die die Wirtschaft ihren Arbeitskräften verweigert. In Parteien wie CDU und CSU führt dies ständig zur hysterischen Warnung, es gelte eine Zuwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern. Auch um die einheimische Bevölkerung nicht gegen Zuwanderer aufzubringen...
Die Grünen hätten ein solches Argument früher verlacht. Inzwischen suchen sie Verbündete auf allen Seiten des Parlaments, und eine Koali- tion mit den Unionsparteien ist eine inzwischen denkbare Machtoption. Die Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme haben die Grünen deshalb in ihrem Gesetz ausgeschlossen. Ihre Lösung liegt in der »Talentkarte«. Die bekommen Arbeitsmigranten für ein Jahr ausgehändigt, um sich in Deutschland eine Arbeit zu suchen. Voraussetzung eins: Sie müssen sich von Anfang an ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Voraussetzung zwei: Sie müssen bestimmte Kriterien erfüllen, die an den Interessen der Wirtschaft, der Wissenschaft oder anderer Bedarfsträger ausgerichtet sind. Eine Kommission externer Fachleute, »zivilgesellschaftlicher Akteure«, wie Katrin Göring-Eckardt betont, soll diese flexibel jedes Jahr neu nach den aktuellen Bedürfnissen ausarbeiten und der Bundesregierung vorlegen.
Auch internationale Entwicklungen können hier Berücksichtigung finden. Und damit unterentwickelten Ländern nicht das letzte Fachpersonal weggeschnappt wird, sollen auch Vorgaben internationaler Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation berücksichtigt werden, wenn diese das Recht auf Entwicklung von Herkunftsstaaten gefährdet sehen.
Dabei kommt das Punktesystem zur Wirkung, das die Grünen seit Jahren favorisieren und das auch in anderen Einwanderungsländern angewandt wird. Einwanderungswillige sammeln Punkte, die sie für Deutschland interessant machen. »Aus diesem Pool der Bewerberinnen und Bewerber werden diejenigen mit der höchsten Punktzahl aufgenommen, bis die festgelegte Aufnahmezahl erreicht wird«, heißt es im Gesetzentwurf. Nach einem Jahr haben sie eine unbefristete Beschäftigung und erhalten eine Niederlassungserlaubnis. Oder sie müssen Deutschland wieder verlassen.
Die Grünen räumen rigoros den Schilderwall ab, der sich Einwanderungswilligen bisher entgegenstellt. Ausländische Abschlüsse sollen effektiver und schneller anerkannt werden, als das bislang der Fall ist. Bewilligte Zuwanderer sollen gleich ihre Familien mitbringen dürfen, wenn sie sie ernähren können. Deutschkenntnisse sind nicht länger Voraussetzungen für eine Einreise, sondern können in Deutschland erworben werden. Hierfür sollen entsprechende Angebote erfolgen. Überdies soll auch Einwanderung zu Ausbildungs- und Studienzwecken erleichtert werden. Einbürgerungen schon nach fünf Jahren sollen möglich werden, der Doppelpass wird hingenommen und hier geborene Kinder erhalten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Und auch Flüchtlinge erhalten ihre Chance – wenn sie den Punktekriterien entsprechen, soll ein »Spurwechsel« möglich sein, wie der Innenexperte Volker Beck erläutert. Sollten sie scheitern, dürfen sie sogar ins Asylverfahren zurückkehren. Sehr viel Liberalität atmet der Entwurf. Außer für jene Einwanderer, die nicht schon mit einer festen Jobzusage nach Deutschland kommen. Sie müssen sich ihren Lebensunterhalt trotzdem selbst verdienen – notfalls könne sich ein Universitätsprofessor als Tellerwäscher über die Runden helfen, entwirft Beck ein scheinbar bizarres Bild. Es könnte ein sehr reales werden.
Tatsächlich zogen im Jahr 2015 nur rund 82 000 Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland. Das waren gerade einmal vier Prozent aller Zuziehenden. Aus dem Gesetzentwurf