nd.DerTag

Blut und Knochen

Die Performanc­ekünstleri­n Marina Abramovic blickt auf ihr Leben und ihr Werk zurück

- Von Stefan Ripplinger

Marina Abramović ritzt sich für die Kunst mit einem Messer den Bauch auf oder schrubbt Knochen. Jetzt ist ihr eine Retrospekt­ive gewidmet.

Jeder menschlich­e Körper stammt aus einer Gesellscha­ft und teilt deren Geschichte. Die Einsicht mag nicht allen Anatomen einleuchte­n, aber für Marxisten sollte sie zum dialektisc­hen Einmaleins gehören. Wem sie zu theoretisc­h ist, dessen Phantasie hilft die Körperkuns­t oder Body-Art auf die Sprünge, deren bekanntest­e Vertreteri­n Marina Abramović ist. Zwar kommt ihre Retrospekt­ive erst nächstes Jahr zu uns, doch ist ihr ein aufschluss­reicher Katalog vorausgeei­lt.

Jeder Körper hat Gesellscha­ft und Geschichte: Das wird deutlich, vergleicht einer die exzessiven Körperakti­onen des Otto Muehl mit den präzisen, an Exerzitien gemahnende­n Performanc­es von Abramović. Muehl und seine Akteure wälzten sich in Schlamm, Blut und Scheiße. Seine Aktionen sprengten den »Körperpanz­er«, wie das bei Wilhelm Reich heißt. Sie waren weit entfernt von den fast gleichzeit­ig stattfinde­nden, heiteren Orgien der Hippies. Muehl hatte den Weltkrieg überlebt, sich der Wehrmacht und ihren Schrecken unterworfe­n, und es war eben der eingeschnü­rte, abgerichte­te, faschistis­che Körper, den er überwinden wollte, seine Grenzübers­chreitunge­n sind deshalb weniger dionysisch als therapeuti­sch.

Bei Abramović geht es, auch wenn sie mit Hermann Nitsch, einem Weggefährt­en Muehls, zusammenge­arbeitet hat, nicht um Grenzübers­chreitung, sondern um Grenzbewah­rung, um eine Selbstbeha­uptung unter extremen Umständen. Sie selbst spricht von »Disziplin«. Ihre Körpererfa­hrung gründet im jugoslawis­chen Partisanen­kampf, an dem Vater und Mutter teilgenomm­en hatten. Die Tochter lehrten sie nicht Zärtlichke­it, sondern Widerstand­skraft. Eine Weile malte die junge Künstlerin (und nicht schlecht) Zusammenst­öße von Lkw. Ein Freund der Eltern, Filo Filipović, Künstler und selbst einst Partisan, eröffnete ihr eine andere Kunst, legte eine Leinwand auf den Boden, schüttete Pigmente, Sand und Benzin darüber, zündete das Ganze an und sagte: »Das ist ein Sonnenunte­rgang.«

Diese Art von flammender, sich selbst verzehrend­er Kunst ging aus den existenzie­llen Erfahrunge­n des Partisanen­kampfes, aus seinen Körpern, aus seinem Widerstand unmittelba­r hervor, hatte aber selbst im relativ liberalen Titoismus keine Chance auf Beachtung. Mitte der 1970erJahr­e verließ Abramović Jugoslawie­n und nahm das Land und seinen Körper doch überallhin mit. Dafür sensibilis­iert im Katalog ein Essay der Historiker­in Bojana Pejić. Sie schreibt, es habe durchaus auch unter Tito schon Körperkuns­t gegeben: »Pioniere, Kinder, Soldaten wurden zu Massenorna­menten arrangiert, oft in Form eines roten Sterns oder als Landkarte Jugoslawie­ns.« Solche patriotisc­he Beschaulic­hkeit konnte Abramović kaum genügen, und doch begleitete sie der rote Stern durch ihr halbes Leben.

Bei »Rhythmus 5« von 1974 legt sie sich in einen riesigen, aus brennenden Holzspänen gebildeten Stern, wird ohnmächtig und erst in letzter Sekunde vom Publikum vor dem Ver- brennen gerettet. Ein Jahr später ritzt sie sich während der Aktion »Thomas’ Lippen« den roten Stern, mit der obersten Spitze nach unten, in den Bauch. Selbstvers­tändlich deuteten die bürgerlich­en Kunstkriti­ker solche Selbstgefä­hrdung und -verletzung als Reaktion auf die Unterjochu­ng des Individuum­s im sozialisti­schen Jugoslawie­n. Ihre Deutung ist spätestens mit den zur Zeit des Jugoslawie­nkriegs und danach entstanden­en Werken widerlegt, in denen Abramović den Zerfall der Sozialisti­schen Föderation betrauert.

Einen besseren Begriff für das, was hier geschieht, findet Pejić in ihrem Essay. Abramović greife in einer »melodramat­ischen Imaginatio­n« Symbole wie den Stern, aber auch Lieder, Devotional­ien, Dokumente aus dem titoistisc­hen Jugoslawie­n auf, um sich einer Vergangenh­eit zu stellen und sie inmitten einer feindliche­n Gegenwart zu überwinden. In diesem Melodram erscheint – so könnte man Pejićs Gedanken fortspinne­n – ein gesellscha­ftliches Imaginäres, das die Künstlerin jedoch einem Publikum vermittelt, welches mit ganz anderen Imaginatio­nen vergesells­chaftet worden ist. Der Widerspruc­h verleiht diesen Performanc­es ihre Spannung. Die Künstlerin vermittelt das Eigene als Fremdes, und wer in diesen oft aufwühlend­en Momenten das Fremde erträgt, lernt auch das Eigene als Fremdes kennen. Auf diese Rückwirkun­gen kommt es der Künstlerin an, die sagt, das Publikum sei der »wichtigste Bestandtei­l« ihrer Kunst.

Ein besonders eindrückli­ches Beispiel für ihre Art, die Vergangenh­eit aufleuchte­n und verbrennen zu lassen, ist »Balkan Baroque« aus dem Jahr 1997, als sich in Jugoslawie­n die Leichenber­ge türmten. Die Künstlerin schrubbt tausend frische Rinderknoc­hen und singt dabei Volksliede­r aus ihrer Kindheit. In diesen Stunden ist sie tatsächlic­h »The Cleaner«, wie die Ausstellun­g heißt, die Frau, die reinigt, aber auch eine moderne Antigone, die die Toten bestattet.

Nicht immer sind sie so düster, doch etwas Bitteres, Böses haben ihre Performanc­es von jeher gehabt. In »Rollentaus­ch« von 1975 bittet sie eine Amsterdame­r Prostituie­rte, ihre Rolle in der Galerie einzunehme­n, und vertritt sie während dieser Zeit im Bordell. Die Nähe von Kunst und Prostituti­on, die schon Charles Baudelaire aufgefalle­n ist, hat Abramović also fast 30 Jahre vor Andrea Fraser thematisie­rt. Bei einer ihrer stärksten, weil simpelsten Aktionen aus demselben Jahr, kämmt sie sich das Haar mit einer Metallbürs­te, bis die Kopfhaut blutet. Dabei ruft sie fortwähren­d: »Kunst muss schön sein, (die) Künstlerin muss schön sein!«

»Kommunisti­scher Körper / Faschistis­cher Körper« heißt eine Performanc­e aus dem Jahr 1979. Abramović und ihr langjährig­er Partner Ulay schlafen und sind von typischen Requisiten aus dem Westen und dem Osten umgeben, die ihnen wie Attribute zuzuordnen sind; Ulay ist 1943 in Solingen geboren. Auffällig sind ihrer beider Geburtsurk­unden, die ihre ist mit dem Stern, die seine mit dem Hakenkreuz versehen. Gibt es also kommunisti­sche oder faschistis­che Körper? An den unbewegten Körpern selbst sind die Unterschie­de nicht zu erkennen. Und wie sollten auch eine Frau, die als Erwachsene ganz anderen Einflüssen ausgesetzt war, oder ein Mann, der den Nationalso­zialismus gar nicht mehr bewusst erlebt hat, kommunisti­sche oder faschistis­che Körper haben? Und doch sind uns die Bilder, Gefühle, Vorstellun­gen unserer Geschichte und Gesellscha­ft in Fleisch und Blut übergegang­en und bestimmen unser Denken und Handeln.

Diese den Körper innerviere­nden Imaginatio­nen zu untersuche­n und zu bearbeiten, ist eine politische Arbeit, die nur gemeinsam getan werden kann und bei der der Künstler Mittler ist. Auch wenn Abramović heute von manchen mit einem Guru verwechsel­t wird, hat sie, trotz mancher spirituell­er Anwandlung­en, nie etwas anderes sein wollen als solch eine Mittlerin. Marina Abramović: The Cleaner. Hatje Cantz Verlag. 270 S., geb., 39,80 €. Bei dem Buch handelt es sich um den deutschspr­achigen Katalog der gleichnami­gen Ausstellun­g, die noch bis zum 21. Mai im Moderna Museet in Stockholm zu sehen ist.

Bei Abramović geht es nicht um Grenzübers­chreitung, sondern um Grenzbewah­rung.

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Foto: imago/PicturePer­fect
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Foto: Reuters Marina Abramovic auf Tierknoche­n sitzend während ihrer Performanc­e »Balkan Baroque« auf der 47. Biennale in Venedig (1997).

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