Tod und Überleben
Der Lebensraum für die Großkatzen wird knapp
Der Lebensraum für Jaguare in Brasilien wird knapp.
Der Jaguar ist ein beeindruckendes Tier und die einzige Großkatze auf dem amerikanischen Kontinent. Doch wie lange noch?
Nach Tiger und Löwe ist der Jaguar die größte Raubkatze. Einst in fast ganz Brasilien verbreitet, droht sie nun in drei ihrer fünf Ökosysteme auszusterben: Atlantischer Regenwald (Mata Atlântica), Cerrado und Caatinga. Nicht mal in den Schutzgebieten sind die gefleckten Großkatzen sicher. Schuld sind vor allem Abholzung, Agrobusiness und großflächige Monokulturen sowie illegale Jagd, Bergbau und Autounfälle. Lediglich in den Biomen Amazonien und Pantanal ist das Überleben der brasilianischen Jaguare bis auf Weiteres gesichert.
Nur ein Tatzenabdruck
»Pumas sehen wir hier noch häufig, doch ein Jaguar hat sich hier seit Jahren nicht mehr blicken lassen«, beklagt Marcelo Ferreira, Wart des rund 1000 Quadratkilometer großen, zwischen Rio de Janeiro und São Paulo gelegenen Nationalparks Serra da Bocaina. Zuletzt vor vier Jahren, 2013, fand einer der Parkangestellten lediglich den Tatzenabdruck eines Jaguars im Schutzgebiet. Ein daraufhin angereistes internationales Forscherteam rund um den Großkatzenforscher George Schaller blieb allerdings erfolglos. Der wahrscheinlich letzte Jaguar des Nationalparks tappte nicht in die Fotofallen der Forscher.
Die Situation des 1971 gegründeten Parque Nacional da Serra da Bocaina ist symptomatisch für viele Schutzgebiete und Jaguar-Habitate in der Region des Atlantischen Regenwaldes. Dieses subtropische Waldökosystem, Mata Atlântica genannt, zog sich einst von Nordargentinien, Paraguay und Südbrasilien entlang der Atlantikküste bis nach Nordostbrasilien und gilt als einer der zehn artenreichsten Hotspots unseres Planeten. Nichtsdestoweniger sind nur sieben Prozent dieses einst 1,7 Millionen Quadratkilometer großen natürlichen Jaguar-Habitats in Brasilien erhalten, verteilt auf Dutzende von Waldresten und Schutzgebieten wie den Parque Nacional da Serra da Bocaina. Heute, 46 Jahre nach dessen Gründung, muss der Jaguar in diesem Nationalpark, der einst aufgrund seiner Fläche wenigstens 20 dieser Raubkatzen beherbergte, als vermutlich ausgestorben gelten.
Auch im berühmten 1825 Quadratkilometer großen Nationalpark von Iguaçu im südlichen Bundesstaat Paraná ist Lateinamerikas größte Raubkatze alles andere als sicher. Von der im Jahr 2000 auf rund 150 Tiere geschätzten Jaguar-Population haben bis heute nur etwa sechs bis höchstens 18 überlebt. 90 Prozent der Raubkatzen wurden von Trophäenjägern illegal erlegt oder gefangen, ist sich der Chefbiologe und Koordinator des Raubtierprojekts von Iguaçu Apolônio Rodrigues sicher.
Keine lebensfähige Größe
Der Cerrado ist eine mit Galeriewäldern durchzogene Savannenregion, die sich einst auf etwa zwei Millionen Quadratkilometern erstreckte. Isolierte Cerrado-Gebiete finden sich auch in der Amazonasregion, vor allem im Bundesstaat Roraima. Mehr als die Hälfte dieser brasilianischen Savanne wurden aber in den vergangenen 50 Jahren abgeholzt und in Monokulturen, vornehmlich Soja-, Zuckerrohrund Eukalyptusplantagen sowie, in Rinderweiden umgewandelt. Brasiliens Waldgesetz erlaubt bis heute, dass Landbesitzer rund zwei Drittel des Cerrado abholzen dürfen, während der Rest oft illegal gefällt oder »unabsichtlich« abgefackelt wird.
Nur ein minimaler Teil des Cerrado steht in Nationalparks, Waldreservaten oder Indianerterritorien unter Schutz. Eines der wichtigsten Reservate in der südlichen Cerrado-Region ist der Nationalpark Serra da Canastra in Minas Gerais. Er besteht seit 1972, doch ein Jaguar wurde hier schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen. Mit der wachstumsorientierten Pro-Naturtourismus-Politik der brasilianischen Regierungen wurde der Nationalpark seit Anfang 2000 zunehmend dem lärmenden Offroad-Massentourismus geopfert. Zudem ist das ursprünglich auf 2000 Quadratkilometer geplante, aber dann auf lediglich 715 Quadratkilometer reduzierte Reservat schlicht zu klein, um eine überlebensfähige Jaguarpopulation zu beherbergen. Es braucht ebenso ein relativ intaktes Umfeld und weite Pufferzonen. Doch die mehrmals pro Jahr mit Pestiziden eingenebelten Soja- sowie Eukalyptusplantagen haben sich auch hier längst bis direkt an seine Grenzen ausgeweitet. Da ist schlicht kein Platz mehr für den Cerrado-Jaguar. Hinzu kommen Bergbau, illegale Jagd sowie Straßenbau und Autounfälle.
Die Gesamtfläche aller CerradoSchutzgebiete betrage lediglich 33 000 Quadratkilometer, beklagt der brasilianische Raubkatzenforscher Edsel Amorim Moraes Jr. vom Institut Biotrópicos in Minas Gerais. Dies sei klar unzureichend für das Überleben des Jaguars, zumal die Reservate auch für sich zu klein seien, um isolierte Populationen langfristig zu erhalten.
Verlust für die Ökosysteme
Düster sieht ebenso die Zukunft des Caatinga-Jaguars aus. Die Caatinga ist eine mit Kakteen gespickte Tropenwaldregion mit langen saisonalen Trockenzeiten im brasilianischen Nordosten. Biologen werten die Situation dieses nur in Brasilien vorkommenden Ökosystems und seiner Raubkatzenpopulation als »kritisch« aufgrund von zwei Hauptfaktoren: Weit verbreitete illegale Jagd und Abholzung. »Die Caatinga hat bereits 50 Prozent ihres natürlichen Territoriums verloren«, so die 2015 veröffentlichte Bestandsaufnahme der Wildlife Conservation Society Brasilien und der staatlichen Universität von Rio Grande do Norte. Lediglich weniger als acht Prozent seiner ursprünglichen Ausdehnung von etwa 800 000 Quadratkilometern sind in insgesamt 36 Reservaten geschützt.
Schätzungen von 2013 gehen von 250 in der gesamten Caatinga-Region existierenden Jaguaren aus: Zu wenige, um langfristig zu überleben. Eine genetische Studie des Jaguar Genome Project der katholischen Universität PUC von Rio Grande do Sul kam zu dem Schluss, dass eine überlebensfähige Jaguar-Population aus wenigstens 650 Tieren besteht. Populationen mit weniger Individuen seien damit über kurz oder lang allein durch mangelnde genetische Vielfalt zum Aussterben verurteilt, selbst wenn andere Faktoren wie Abholzung oder Jagd ausgeschlossen sind.
Doch ihr Aussterben wiederum könnte schädliche Rückwirkungen auf die Ökosysteme selbst haben. Ohne den Jaguar, der seine Beutetiere, vornehmlich Pflanzenfresser wie Spießhirsche oder Wasserschweine, in Grenzen hält, wird sich die Artenzusammensetzung der betroffenen Gebiete über kurz oder lang verändern. Allen voran der Hotspot Mata Atlântica werde nicht mehr derselbe sein wie einst, warnen die Forscher.
Überleben gesichert?
Lediglich in den Ökosystemen Pantanal und Amazonien scheint das Überleben des Jaguars wenigstens bis zum nächsten Jahrhundert gesichert. Doch auch hier gibt es einen langfristigen Abwärtstrend. Etwa 85 Prozent des brasilianischen Pantanal von einst insgesamt 150 000 Quadratkilometern seien noch intakt und beherbergen noch rund 1000 Jaguare. Doch nur 4,6 Prozent dieses größten BinnenlandFeuchtgebiets der Erde stehen tatsächlich unter Naturschutz, so die Zahlen des für Brasiliens Naturschutzgebiete zuständigen Chico-MendesInstituts. Der größte Teil des Pantanals ist in Privatbesitz und wird seit mehr als hundert Jahren zur extensiven Rinderzucht genutzt. Doch eine neue Generation von Fazendeiros setzt seit einigen Jahren vermehrt auf Abholzung und künstliche Weiden denn auf extensive Nutzung des natürlichen Bioms. Voranschreitender Habitatverlust sei deshalb eine der Bedrohungen des Pantanal-Jaguars, so der 2012 veröffentlichte Bericht »The status of the Jaguar in the Pantanal«. Hinzu kommen illegale Abschüsse durch Fazendeiros, die weiterhin existierende illegale Trophäenjagd, Gold- und Diamantensuche im Norden sowie Eisen-, Mangan- und Kalksteinabbau im Süden des Pantanals.
In Amazonien sind gleichfalls Abholzung und Waldfragmentierung die Hauptbedrohung des Jaguars. Von einst rund 4,2 Millionen Quadratkilometern des brasilianischen Amazonasgebiets gelten heute noch etwa 82 Prozent als intakt. 49 Prozent sind in Form von Waldreservaten, Nationalparks oder Indianerterritorien geschützt. Genaue Zahlen zur Population der Jaguare im brasilianischen Amazonasgebiet gibt es allerdings nicht. Die Zahl wird auf 10 000 bis etwa 40 000 geschätzt. Nichtsdestoweniger wird auch hier der Raum für den Jaguar Jahr um Jahr kleiner.
Aktuell wollen Abgeordnete und Senatoren des brasilianischen Bundesstaates Amazonas mehrere Waldreservate zur Förderung des Agrobusiness drastisch verkleinern. Der Schutz von insgesamt 1,7 Millionen Hektar Regenwald im südlichen Amazonasgebiet soll aufgehoben und zur faktischen Abholzung freigegeben werden. Gleichzeitig sprach sich Umweltminister José Sarney Filho für die rasche Asphaltierung der Überlandstraße BR-319 aus, die die bislang noch weitestgehend intakte Regenwaldregion entlang des Rio Madeira auf 877 Kilometern von Porto Velho bis Manaus wie ein Messer durchschneidet. Der renommierte Amazonasforscher Philip Fearnside indes hält die BR-319 für eines der katastrophalsten Straßenbauprojekte für das Amazonasgebiet. Die Asphaltierung werde zu einer Walddegradierung im großen Stil führen.