Gestörtes Verhältnis
DAX-Vorstandsvorsitzende erhalten bis zu 190-mal so viel wie ihre Angestellten
Die am Dienstag veröffentlichten Berechnungen vom »Handelsblatt« dürften die Diskussion über Managergehälter neu entfachen. Demnach sind vielen Bossen die Maßstäbe völlig entglitten. Die Große Koalition streitet derzeit über die von der SPD geforderte Begrenzung von Managergehältern. Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider kritisierte gegenüber dem »Vorwärts«, dass ein Vorstand früher »das Zwanzigfache des normalen Arbeitnehmers verdient« habe. »Heute sind wir im Schnitt der Dax-Unternehmen beim Fünfzigfachen, teilweise beim Hundertfachen. Das ist eindeutig zu viel.« Dabei geht es noch extremer. Das »Handelsblatt« veröffentlichte am Dienstag eigene Berechnungen für 2016, wonach das Jahresgehalt des Vorstandschef des Baustoffkonzerns HeidelbergCement, Bernd Scheifele, »beim 190-Fachen der Durchschnittsvergütung eines Beschäftigten« liegt. In keinem anderen DAX-Konzern ist das Missverhältnis so groß wie bei den Heidelbergern.
Wobei Scheifele keineswegs der Spitzenverdiener ist. Seine fragwürdige Pole-Position verdankt er seinen Arbeitern und Angestellten, die mit 44 300 Euro pro Jahr und Kopf »unterdurchschnittlich« verdienen, wie das »Handelblatt« schreibt. SAP-Chef Bill McDermott, erhält zwar deutlich mehr als Scheifele, allerdings zählen auch seine Beschäftigten mit einem Jahressalär von im Schnitt 121 000 Euro zu den Besserverdienern. Ihr Chef bekam deshalb im vergangenen Jahr »nur«118-mal so viel.
Bei Volkswagen und Adidas erhalten die Vorstandschefs 170-mal so viele wie ihre Angestellten, bei der vormals staatlichen Deutschen Post 152-mal so viel. Wobei der tatsächliche Gehaltsunterschied noch größer sein dürfte, da die Vergütung der Chefs über mehrere Wege erfolgt. So gibt es Erfolgsbeteiligungen, langfristige Anreize und zudem Alterssicherungsbeiträge. Doch auch die jetzt vorgelegten Zahlen machen den Handlungsbedarf deutlich.
Die SPD will mit ihrem Gesetzentwurf erreichen, dass künftig die Aktionärs-Hauptversammlung das Verhältnis zwischen den Gehältern des Vorstands und denen der Beschäftigten bestimmen soll. Der Chef der mächtigen Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, Michael Vassiliadis, bezeichnete den Entwurf gegenüber »Spiegel Online« bereits als »Unsinn«. Am Ende würden die Unternehmerfamilien und Investmentfonds »die Entscheidungen im Alleingang treffen«. In einer ge- meinsamen Erklärung fordern nun sechs Arbeitnehmervertreter in DAXAufsichtsräten eine Begrenzung der Vorstandsgehälter. »Die Vergütungen der Vorstände haben sich zu weit von der allgemeinen Einkommensentwicklung entfernt«, schreiben die Gewerkschafter, unter ihnen auch VW- Aufsichtsrat Bernd Osterkorn und Michael Brecht von Daimler. Die Unterzeichner fordern, »dass der Aufsichtsrat dazu verpflichtet wird, verbindliche, unternehmensspezifische Obergrenzen für die Gesamtvergütung von Vorständen festzulegen«. Zudem »soll das Verhältnis von Vorstandsvergütung und durchschnittlichem Entgelt der Beschäftigten maßgeblich sein«. Die LINKE plädiert für eine klare Deckelung: »Das 20-Fache des Gehaltes der Angestellten mit dem niedrigsten Gehalt ist mehr als genug für Manager. Der Mindestlohn ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Ein Höchstlohn ist eine Frage des Respekts«, betonte die Parteivorsitzende Katja Kipping gegenüber »nd«.
Während man diskutiert, wie man das Prinzip der Angemessenheit am oberen Ende der Einkommensskala wieder zur Anwendung bringt, zeigt das nun veröffentliche NiedriglohnMonitoring des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts, was am unteren Ende der Skala los ist. Demnach gelten in vier Branchen immer noch Ausnahmen vom Mindestlohn. So in der Fleischindustrie und in der Land- und Forstwirtschaft. Ohnehin, so die WSIAutoren, liege der deutsche Mindestlohn im europäischen Vergleich »weiter am unteren Rand«. Während die Lohnuntergrenze in der Bundesrepublik bei 8,84 Euro liegt, kommt man in den Niederlanden auf 9,36 Euro und in Frankreich auf 9,67 Euro.
In vielen Branchen gelten allerdings höhere Mindestlöhne. Wobei es teilweise noch Ost- und Westtarife gibt. Etwa in der Zeitarbeit, wo der Mindestlohn in den neuen Ländern bei punktgenau 8,84 Euro liegt, während er im Westen 9,00 Euro beträgt. Besonders groß ist die Differenz bei den Gebäudereinigern: Im Westen müssen Arbeitgeber mindestens 13,25 Euro zahlen, im Osten nur 11,53 Euro.
Während der Boss von HeidelbergCement am Schreibtisch sitzt und sich über sein Jahresgehalt von 8,4 Millionen Euro freut, putzt draußen ein junger Mann aus Cottbus die Bürofenster, der in einem Jahr weniger erhält, als der Vorstandvorsitzende an einem Tag.