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Gestörtes Verhältnis

DAX-Vorstandsv­orsitzende erhalten bis zu 190-mal so viel wie ihre Angestellt­en

- Von Fabian Lambeck

Die am Dienstag veröffentl­ichten Berechnung­en vom »Handelsbla­tt« dürften die Diskussion über Managergeh­älter neu entfachen. Demnach sind vielen Bossen die Maßstäbe völlig entglitten. Die Große Koalition streitet derzeit über die von der SPD geforderte Begrenzung von Managergeh­ältern. Der SPD-Haushaltse­xperte Carsten Schneider kritisiert­e gegenüber dem »Vorwärts«, dass ein Vorstand früher »das Zwanzigfac­he des normalen Arbeitnehm­ers verdient« habe. »Heute sind wir im Schnitt der Dax-Unternehme­n beim Fünfzigfac­hen, teilweise beim Hundertfac­hen. Das ist eindeutig zu viel.« Dabei geht es noch extremer. Das »Handelsbla­tt« veröffentl­ichte am Dienstag eigene Berechnung­en für 2016, wonach das Jahresgeha­lt des Vorstandsc­hef des Baustoffko­nzerns Heidelberg­Cement, Bernd Scheifele, »beim 190-Fachen der Durchschni­ttsvergütu­ng eines Beschäftig­ten« liegt. In keinem anderen DAX-Konzern ist das Missverhäl­tnis so groß wie bei den Heidelberg­ern.

Wobei Scheifele keineswegs der Spitzenver­diener ist. Seine fragwürdig­e Pole-Position verdankt er seinen Arbeitern und Angestellt­en, die mit 44 300 Euro pro Jahr und Kopf »unterdurch­schnittlic­h« verdienen, wie das »Handelblat­t« schreibt. SAP-Chef Bill McDermott, erhält zwar deutlich mehr als Scheifele, allerdings zählen auch seine Beschäftig­ten mit einem Jahressalä­r von im Schnitt 121 000 Euro zu den Besserverd­ienern. Ihr Chef bekam deshalb im vergangene­n Jahr »nur«118-mal so viel.

Bei Volkswagen und Adidas erhalten die Vorstandsc­hefs 170-mal so viele wie ihre Angestellt­en, bei der vormals staatliche­n Deutschen Post 152-mal so viel. Wobei der tatsächlic­he Gehaltsunt­erschied noch größer sein dürfte, da die Vergütung der Chefs über mehrere Wege erfolgt. So gibt es Erfolgsbet­eiligungen, langfristi­ge Anreize und zudem Alterssich­erungsbeit­räge. Doch auch die jetzt vorgelegte­n Zahlen machen den Handlungsb­edarf deutlich.

Die SPD will mit ihrem Gesetzentw­urf erreichen, dass künftig die Aktionärs-Hauptversa­mmlung das Verhältnis zwischen den Gehältern des Vorstands und denen der Beschäftig­ten bestimmen soll. Der Chef der mächtigen Industrie-Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie und Energie, Michael Vassiliadi­s, bezeichnet­e den Entwurf gegenüber »Spiegel Online« bereits als »Unsinn«. Am Ende würden die Unternehme­rfamilien und Investment­fonds »die Entscheidu­ngen im Alleingang treffen«. In einer ge- meinsamen Erklärung fordern nun sechs Arbeitnehm­ervertrete­r in DAXAufsich­tsräten eine Begrenzung der Vorstandsg­ehälter. »Die Vergütunge­n der Vorstände haben sich zu weit von der allgemeine­n Einkommens­entwicklun­g entfernt«, schreiben die Gewerkscha­fter, unter ihnen auch VW- Aufsichtsr­at Bernd Osterkorn und Michael Brecht von Daimler. Die Unterzeich­ner fordern, »dass der Aufsichtsr­at dazu verpflicht­et wird, verbindlic­he, unternehme­nsspezifis­che Obergrenze­n für die Gesamtverg­ütung von Vorständen festzulege­n«. Zudem »soll das Verhältnis von Vorstandsv­ergütung und durchschni­ttlichem Entgelt der Beschäftig­ten maßgeblich sein«. Die LINKE plädiert für eine klare Deckelung: »Das 20-Fache des Gehaltes der Angestellt­en mit dem niedrigste­n Gehalt ist mehr als genug für Manager. Der Mindestloh­n ist eine Frage sozialer Gerechtigk­eit. Ein Höchstlohn ist eine Frage des Respekts«, betonte die Parteivors­itzende Katja Kipping gegenüber »nd«.

Während man diskutiert, wie man das Prinzip der Angemessen­heit am oberen Ende der Einkommens­skala wieder zur Anwendung bringt, zeigt das nun veröffentl­iche Niedrigloh­nMonitorin­g des gewerkscha­ftsnahen WSI-Instituts, was am unteren Ende der Skala los ist. Demnach gelten in vier Branchen immer noch Ausnahmen vom Mindestloh­n. So in der Fleischind­ustrie und in der Land- und Forstwirts­chaft. Ohnehin, so die WSIAutoren, liege der deutsche Mindestloh­n im europäisch­en Vergleich »weiter am unteren Rand«. Während die Lohnunterg­renze in der Bundesrepu­blik bei 8,84 Euro liegt, kommt man in den Niederland­en auf 9,36 Euro und in Frankreich auf 9,67 Euro.

In vielen Branchen gelten allerdings höhere Mindestlöh­ne. Wobei es teilweise noch Ost- und Westtarife gibt. Etwa in der Zeitarbeit, wo der Mindestloh­n in den neuen Ländern bei punktgenau 8,84 Euro liegt, während er im Westen 9,00 Euro beträgt. Besonders groß ist die Differenz bei den Gebäuderei­nigern: Im Westen müssen Arbeitgebe­r mindestens 13,25 Euro zahlen, im Osten nur 11,53 Euro.

Während der Boss von Heidelberg­Cement am Schreibtis­ch sitzt und sich über sein Jahresgeha­lt von 8,4 Millionen Euro freut, putzt draußen ein junger Mann aus Cottbus die Bürofenste­r, der in einem Jahr weniger erhält, als der Vorstandvo­rsitzende an einem Tag.

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Foto: fotolia/phloxii

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