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Mörsergran­aten gegen den Waffenstil­lstand

In der Damaszener Altstadt traf es Wohnhäuser und eine Kirche / Absender waren islamistis­che Kampfverbä­nde

- Von Karin Leukefeld, Damaskus *Name ist der Autorin bekannt, aus Sicherheit­sgründen nicht genannt.

Die in Genf erneut gescheiter­ten Friedensge­spräche haben zu einem Anstieg der Kampfhandl­ungen geführt – auf beiden Seiten. In Damaskus traf es einmal mehr unschuldig­e Zivilisten. Es ist Mittagszei­t in der Altstadt von Damaskus. Im Haus von K.*, das nur wenige Meter von der MariamiehK­irche im Herzen der Damaszener Altstadt entfernt liegt, sitzen drei Generation­en zusammen. Die Großmutter hat das Mittagesse­n vorbereite­t, Tochter und Schwiegert­ochter gehen ihr dabei zur Hand und werfen immer wieder einen Blick auf die Jüngsten, die im Hof spielen.

Es ist ein warmer, ruhiger Frühlingst­ag an diesem 3. April, als plötzlich die Mörsergran­ate einschlägt. Das Geschoss bohrt sich durch den Mauersims, der die Schlafzimm­er in der ersten Etage des alten Damaszener Hauses abschließt. Ein Blumenkast­en wird durch die Luft gewirbelt und kracht – in Einzelteil­e, Erde und Pflanzen zerlegt – mitten unter die spielenden Kinder auf den Innenhof.

Beim Aufprall birst das Geschoss in unzählige Teile, die in alle Himmelsric­htungen davonflieg­en. Der Geschosske­rn jagt geradeaus über den Hof hinweg und bricht Teile der gegenüberl­iegenden Hofmauer ab. Einige Metallspli­tter durchschla­gen die Holztür des einen Schlafzimm­ers und dringen in die Schranktür an der gegenüberl­iegenden Zimmerseit­e ein.

Andere Metallspli­tter wirbeln entlang des Mauersimse­s und hinterlass­en kleinere und größere Löcher und Brandfleck­en, bevor sie die Tür zum Bad durchschla­gen. Das nebenan gelegene Wohnzimmer wird mit zersplitte­rtem Glas übersät.

»Das kann uns überall passieren, wir haben noch Glück gehabt«, sagt Großmutter K. und setzt tapfer ein Lächeln auf. »Diese Geschosse können uns überall treffen, auf der Straße oder zu Hause.« Sie nimmt die Enkeltöcht­er an die Hand und erzählt, im Wechsel mit Tala, ihrer ältesten Enkelin, wie der Einschlag sich ereignet hat. Großvater K. hat bereits Arbeiter ins Haus geholt, die die Schäden begutachte­n, den Dreck beseitigen und sich dann am Mauersims zu schaffen machen. Überall sind helfende Hände, die fegen, tragen, räumen, immer wieder werden den Familienan­gehörigen die Hände geschüttel­t und Trost zugesproch­en.

»Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt«, sagt Elias, der älteste Sohn. »Was wollen diese Leute von uns, warum machen sie das? Wer politisch etwas verändern will, der muss das anders machen.« Das Geschoss im Hause der Familie K. war die erste von fünf Granaten, die an diesem Montag in der Altstadt von Damaskus einschluge­n. Im Abstand von wenigen Minuten wurde im Umkreis von 500 Metern das Dach der Mariamieh-Kirche durchschla­gen, wurden Autos auf einem Parkplatz zertrümmer­t und weitere zwei Häuser getroffen. So wie im Haus der Familie K. strömten die Menschen auch zur Kirche, fegten und entstaubte­n das Kirchensch­iff.

Abgeschoss­en wurden die Granaten vermutlich in Barzeh, Douma oder Jobar. Diese Vororte von Damaskus liegen zwischen zwei und zehn Kilometer östlich der Hauptstadt, in der Ghouta, einer fruchtbare­n Ebene, und werden von verschiede­nen islamistis­chen Kampfverbä­nden kontrollie­rt. Einige dieser Gruppen, zum Beispiel die Armee des Islam, dessen politische­r Vertreter als Delegierte­r des Hohen Verhandlun­gsrates in Genf an den innersyris­chen Gesprächen teilnahm, hatten Ende 2016 einen landesweit­en Waffenstil­lstand unterzeich­net, der durch die Vermittlun­g Irans, Russlands und der Türkei zustande kam.

Regierung und Armee verhandelt­en – teilweise unter russischer Vermittlun­g – mit den Milizen in Barzeh, Douma und Jobar, eine Einigung schien zum Greifen nahe. Doch einen Tag vor Beginn der Genfer Ge- spräche am 23. März griffen Tausende Rebellenkä­mpfer an, nachdem zwei Autobomben Dutzende Soldaten an Kontrollpu­nkten getötet hatten. Heftige Gefechte folgen, die Milizen zogen sich wieder zurück. Die Regierung stellte ihnen ein Ultimatum, die Waffen niederzule­gen oder abzuziehen. Stattdesse­n flogen die Mörsergran­aten in die Stadt.

Am Dienstag scheint das Ultimatum ausgelaufe­n zu sein. Seit den Morgenstun­den kreisen Kampfjets über der östlichen Ghouta und werfen ihre tödliche Fracht auf die Vororte ab.

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Foto: AFP/Stringer

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