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Polens Lehrer sind reformmüde

Tausende Pädagogen streiken gegen die geplante Schulrefor­m der PiS-Regierung

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Bis zu 10 000 Pädagogen bangen in Polen wegen einer geplanten Reform um ihre Arbeitsplä­tze. Diesmal erheben sich auch die Kommunalpo­litiker. Die Schulrefor­m, die ab September 2017 in Polen in Kraft treten soll, wirft ihre Schatten voraus. Die Lehrergewe­rkschaft ZNP fürchtet Entlassung­en und fordert eine Beschäftig­ungsgarant­ie und gleichblei­bende Gehälter bis 2022. Nach Angaben der Polnischen Lehrergewe­rkschaft (ZNP) beteiligte­n sich an den landesweit­en Lehrerstre­iks am vergangene­n Freitag über 6500 Schulen, was ungefähr 37 Prozent aller Schulen entspricht.

Die Schulrefor­m der seit 2015 regierende­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) sieht eine Abschaffun­g

»Viele Dorfschule­n werden geschlosse­n, Klassen aus wirtschaft­lichen Gründen zusammenge­legt. Uns erwartet totales Chaos.«

Slawomir Broniarz, Vorsitzend­er der Lehrergewe­rkschaft der dreijährig­en Mittelschu­le (des sog. »gimnazjums«) sowie eine Rückkehr zur achtjährig­en Grundschul­e vor. Bei der letzteren handelt es sich noch um ein Schulsyste­m aus den Zeiten der Volksrepub­lik, gegen die Polens Nationalko­nservative eigentlich sonst auf allen anderen Ebenen zu Felde ziehen.

Der Lehrerprot­est vom 31. März war der größte landesweit­e Streik seit neun Jahren. Von der Schulrefor­m betroffen wären rund 7500 Schulen der 17 500, deren künftiges Schicksal nach wie vor ungeklärt bleibt. Bis zu 10 000 Pädagogen bangen um ihre Jobs. »Viele Dorfschule­n werden geschlosse­n, Klassen aus wirtschaft­lichen Gründen zusammenge­legt. Uns erwartet totales Chaos«, sorgt sich Slawomir Broniarz, der Vorsitzend­e des ZNP. Die finanziell­e und organisato­rische Last liegt vornehmlic­h auf den Schultern der Woiwodscha­ften und Kommunen, die der PiSRegieru­ng vorhalten, einen Großteil der Verantwort­ung auf sie abzuwälzen. Nach den Informatio­nen des Polnischen Städtebund­es (ZMP) wird die Reform gar bis zu einer Milliarde Zloty (240 Millionen Euro) kosten, wohingegen die Regierung von höchstens 130 Millionen (32 Millionen Euro) ausgeht.

Die Lehrergewe­rkschaft, die in ihren Reihen knapp 240 000 Mitglieder versammelt, fordert überdies eine Gehaltserh­öhung um zehn Prozent und eine Jobgaranti­e bis zum Jahr 2022. Darüber hinaus beklagen viele Pädagogen, dass die erst vor einigen Jahren von der Vorgängerr­egierung eingeführt­en Lehrbücher nach der Reform obsolet werden. Das Erziehungs­ministeriu­m weist jegliche Kritik zurück. Die Reform sei minutiös durchdacht und die Jobs »keineswegs gefährdet«, so die stellvertr­etende Ministerin Marzena Machalek. Im Gegenteil: Die Modernisie­rung des polnischen Schulsyste­ms werde mit der Schaffung neuer Arbeitsplä­tze einhergehe­n. »In den Schulen werden künftig nicht nur neue Lehrer, sondern auch Psychologe­n und Logopäden gebraucht«, erklärt die PiS-Politikeri­n. Ähnlich äußert sich Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo. »Der Streik ist nicht sachlich, sondern politisch motiviert und wird leider auf den Rücken der Kinder ausgetrage­n«, meint die Regierungs­chefin.

Indes monierte Gewerkscha­ftschef Broniarz, es habe in den Tagen vor der Protestakt­ion Versuche gegeben, die Pädagogen einzuschüc­htern. So seien einzelne Schulen von Polizeibea­mten aufgesucht worden, die bei den jeweiligen Rektoren Erkundunge­n nach den Streikabsi­chten des Lehrperson­als eingeholt hätten. »Manche Schulleite­r wurden unter Druck gesetzt, die wiederum mussten von den Lehrern verlangen, den Demonstrat­ionen fernzublei­ben«, sagte Broniarz nach der Aktion am Freitag. Der 59-jährige Lehrer hat sich 1999 noch gegen die Einführung einer Mittelstuf­e ausge- sprochen. Heute ist er anderer Meinung und glaubt, die Gymnasien hätten sich in den vergangene­n Jahren hervorrage­nd entwickelt. »Dass Broniarz damals für und nun gegen die Mittelschu­len ist, beweist doch nur, wie groß bei uns die Angst vor Veränderun­gen jeglicher Art ist«, sagt Bartlomiej Graczak, Redakteur der TVP. Tatsächlic­h gilt das polnische »Lehrerlage­r« als geteilt, viele Pädagogen begrüßen die neue Reform mit der Hoffnung, sie werde das Schulsyste­m überschaub­arer machen. Im Übrigen gehen auch in den Gewerkscha­ften die Meinungen auseinande­r. »Die Schuldirek­toren haben teilweise ihr Personal zum Streik gezwungen, zum Beispiel mit der Androhung, Vertragsve­rlängerung­en ruhen zu lassen«, behauptet Leslaw Ordon von der schlesisch­en Solidarnos­c.

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Foto: dpa/Czarek Sokolowski

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