Operation erfolgreich, Patient tot?
Volksbegehren Tegel hat genug gültige Stimmen – Senat und Land Brandenburg wollen trotzdem, dass Schluss ist
Nach dem Erfolg des Volksbegehrens für den Weiterbetrieb Tegels sieht der Senat keinen Grund zur Kursänderung. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag sei die Schließung Tegels zugunsten von Gewerbeflächen und dringend benötigtem Wohnraum festgeschrieben, sagte Senatssprecherin Claudia Sünder am Dienstag. »Was den Senat betrifft, hat sich an der rechtlichen Grundlage noch nichts geändert.«
Zuvor wurde bekannt, dass das Volksbegehren für den Weiterbetrieb Tegels erfolgreich war. Bei der von einer Bürgerinitiative initiierten Sammlung kamen 204 263 gültige Unterschriften zusammen – rund 30 000 mehr als erforderlich. Das sagte Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach am Dienstagmorgen. Nun folgt ein Volksentscheid, bei dem die Bürger an der Wahlurne abstimmen können. Als möglicher Termin gilt der Tag der Bundestagswahl am 24. September.
Nach der bisherigen Beschlusslage schließt Tegel spätestens sechs Monate, nachdem der neue Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld in Betrieb geht. Nach mehreren Terminverschiebungen soll im Sommer bekannt gegeben werden, wann der Flughafen eröffnet. Die Initiatoren des Volksbegehrens, darunter die FDP, argumentieren, wegen der stark gestiegenen Passagierzahlen werde Tegel auch nach der BER-Eröffnung weiter gebraucht.
Sowohl die rot-rot-grüne Koalition in Berlin als auch Rot-Rot in Brandenburg wollen an den Schließungsplänen für Tegel jedoch nicht rütteln. Sie verweisen auf rechtliche Festlegungen wie das BER-Planfeststellungsverfahren oder auf den Lärmschutz für die Menschen im nördlichen Berlin. Auch gibt es fortgeschrittene Pläne für einen Forschungs- und Industriepark sowie Wohnungen auf dem bisherigen Flughafengelände.
Nach dem Erfolg des Volksbegehrens hat die FDP den rot-rot-grünen Senat zum Umdenken aufgefordert. »Die Bürger dieser Stadt haben mehr politischen Verstand als ihr Senat«, sagte FDP-Generalsekretär Sebastian Czaja am Dienstag. Sie hätten erkannt, welche Bedeutung der Weiterbetrieb des Flughafens für Berlin habe. Nur mit der Tegel-Offenhaltung könnten die Kapazitäten- und Verkehrsprobleme gelöst werden. »Eine fortdauernde Blockade der Offenhaltung Tegels durch den Senat wäre ein Irrtum mit fatalen Folgen für die Weltmetropole Berlin«, sagte Czaja.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank-Christian Hansel, begrüßte das Ergebnis des Volksbegehrens: »Das ist eine großartige und überaus erfreuliche Leistung. Der Senat ist jetzt aufgefordert, den Volksentscheid nicht mit irgendwelchen Tricks zu sabotieren, sondern den Berlinern demokratisch sauber die Möglichkeit zu geben, über die Zukunft des Cityflughafens zu entscheiden.«
Der Verein »Mehr Demokratie« forderte den Senat auf, einen möglichen erfolgreichen Volksentscheid für die Offenhaltung des Flughafens Tegel ernst zu nehmen. »Bei einem Erfolg einer Abstimmung im Herbst gäbe es eine politische und moralische Pflicht, die Verhandlungen aufzunehmen und auch ernsthaft zu verhandeln«, sagte Oliver Wiedmann vom Berliner Landesvorstand des Vereins.
Doch auch das Land Brandenburg sieht keine Auswirkungen des erfolgreichen Begehrens. »Der Umgang mit dem Volksbegehren ist eine reine berlininterne Angelegenheit«, sagte Re- gierungssprecher Florian Engels. Laut Planfeststellungsbeschluss gibt es die Pflicht, Tegel nach der Öffnung des neuen Hauptstadtflughafens zu schließen. Der BER soll Berlins einziger Flughafen sein, ein »Single-Airport«. Die Flughafengesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg hätten sich stets für das Konzept des Single-Airports BER in Schönefeld ausgesprochen, sagte Engels. »Daran hat sich nichts geändert.«
Mit Volksbegehren und Volksentscheiden können die Berliner direkt Gesetze oder Aufträge an den Senat auf den Weg bringen. Der Volksentscheid ist die dritte und letzte Stufe des Verfahrens. Er muss eigentlich innerhalb von vier Monaten nach Veröffentlichung des Ergebnisses des Volksbegehrens stattfinden – außer, das Abgeordnetenhaus nimmt dessen Inhalt unverändert an. Die Frist kann der Senat auf bis zu acht Monate verlängern, wenn es möglich ist, den Volksentscheid mit einer Wahl auf einen Termin zu legen. Im Falle Tegels wird daher der 24. September, der Tag der Bundestagswahl, angestrebt.
Beim Volksentscheid können alle Berliner Wahlberechtigten mit Ja oder Nein den ursprünglich formulierten Gesetzentwurf oder die Aufforderung an den Senat annehmen oder ablehnen. Der Entwurf gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen dafür ist, mindestens jedoch ein Viertel der Wahlberechtigten. Fünfmal war in Berlin bisher ein Volksbegehren, also die zweite Stufe des Verfahrens, erfolgreich.