»Der neue Saal ist ein großes Geschenk«
Dresdens erneuerter Kulturpalast steht kurz vor der Eröffnung – ein Gespräch mit dem Dirigenten Michael Sanderling
Herr Sanderling, in drei Wochen werden Sie das Festkonzert der Dresdner Philharmonie zur Eröffnung des erneuerten Kulturpalasts Dresden leiten. Welche neuen künstlerischen Möglichkeiten ergeben sich für das Orchester mit dem neuen Konzertsaal? Die Dresdner Philharmonie bekommt mit dem neuen Konzertsaal wieder eine feste Heimstätte. Für die Stadt ist der neue Saal ein ganz großes Geschenk – es wird der erste reine Konzertsaal in der Geschichte sein, der für die Dresdner Philharmonie und alle gastierenden Orchester beste akustische Bedingungen bietet. Unser Repertoire können wir nun wesentlich umfangreicher gestalten, nachdem wir in den Interims-Spielstätten der letzten Jahre nicht in orchestraler Maximum-Besetzung spielen konnten. Nun können wir die Saison 2017/2018 mit der 8. Sinfonie von Gustav Mahler, einem der größtbesetzten Werke überhaupt, eröffnen. Apropos Mahlers Achte: der Konzertsaal wird auch eine Konzertorgel haben, erbaut vom Orgelbau Eule aus Bautzen. Was bedeutet das für das Programm der Dresdner Philharmonie? Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, von Anfang an eine Konzertorgel einzuplanen. In einen solchen Saal gehört eine Orgel! Aus finanziellen Gründen wurde die Orgel zurückgestellt, aber dem Förderverein der Dresdner Philharmonie ist es in Privatinitiative gelungen, dazu mehr als eine Million Euro zu sammeln. Die Orgel wird nun gebaut und danach der Stadt quasi »geschenkt«. Auch in diesem Punkt ist der Konzertsaal geglückt. Mit dieser neuen Orgel können wir Werke wie die Orgelsinfonie von Camille Saint-Saens oder die berühmten Konzerte von Poulenc oder Händel in einem akustisch hervorragend geeigneten Konzertsaal spielen. Vor allem können wir jedes Werk, in das eine Orgel als Orchesterinstrument integriert ist – eben zum Beispiel Mahlers Achte – auf ganz neue Art ertönen lassen. In letzter Zeit gab es Auseinandersetzungen im Dresdner Stadtrat, weil die Baukosten des Kulturpa- Sigurd Schulze. lastes mit 81,5 Millionen Euro geplant waren, aber nun auf 100 Millionen Euro steigen werden. Ich denke, der Umbau ist in einem Rahmen geblieben, den man verantworten kann. Die Bauherren der Stadt können im Vergleich der Kosten zu nahezu jedem anderen neu erbauten Saal stolz sein. Eine Kostenexplosion wie bei der Elbphilharmonie Hamburg oder bei der Kölner Oper konnte vermieden werden. Die Summe der Baukosten ist hoch, doch durch den Zweck und die Qualität des Ergebnisses vollauf gerechtfertigt. Da mussten andere Städte sehr viel tiefer in die Tasche greifen. Die Staatskapelle Dresden hat in der Elbphilharmonie Hamburg wenige Tage nach der Eröffnung gespielt. Wird das in Dresden auch so sein? Ich bin mir sicher, dass die Staatskapelle hier spielen wird. Und sie wird beste Bedingungen vorfinden. Wir haben die Staatskapelle von Anfang an eingeladen, im Kulturpalast zu spielen. Die Staatskapelle hält sich auf Anfrage noch bedeckt. Aber es wäre wohl auch ein Sonderkonzert möglich? Ja, jederzeit! Sie sind seit 2011 Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, der Kulturpalast war und ist der Sitz der Dresdner Philharmonie. Er wurde 2012 aus technischen Gründen ge- schlossen. Das Orchester musste in der Zwischenzeit an einem provisorischen Ort proben und in unterschiedlichen Sälen spielen. Wie haben Sie und das Orchester dieses Interregnum bewältigt? Wir waren uns von Anfang an der besonderen Situation bewusst und haben sie in Kauf genommen, weil wir wussten, dass am Ende der anstrengenden Interimszeit ein neuer, exzellenter Konzertsaal steht. Die fünf Jahre »unterwegs« waren sehr beschwerlich. Sie waren für die Qualität des Orchesters eine große Herausforderung und auch eine Gefahr. Es war ja keine der Interims-Spielstätten wirklich als Konzertsaal geeignet und wir mussten uns fragen: Werden gute Orchestermusiker wegen der Belastung weggehen? Werden neue, gute Leute deswegen nicht kommen? All das hat sich nicht bewahrheitet. Oder: Verliert das Orchester während dieser Zeit womöglich ein Maß für die – in guten Sälen – notwendige qualitätvolle Klangbildung? Aber es ist uns letztlich gelungen, von all diesen Schwierigkeiten zu profitieren. Jetzt sind wir das erste Mal im neuen Saal und erkennen, dass wir die Bewährungsprobe bestanden haben. Am Jahresende 2016 hat der Dresdner Stadtrat den Etat der Dresdner Philharmonie überraschend um 250 000 Euro gekürzt. Sie haben entschieden protestiert, verbunden mit dem Entschluss, Ihren Vertrag nicht über 2019 hinaus zu verlän- gern. Konnte der Konflikt bereinigt werden? Der Stadtratsbeschluss ist nicht aufgehoben, aber man hat uns Abmilderung im Haushaltsvollzug zugesagt. Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen begreifen, wie sehr ein Geflecht von Planungen und Verpflichtungen durch einen unbedachten Beschluss gestört wird. Ich wollte sofort aufhören, doch aus Verantwortung gegenüber dem Orchester und unserem Publikum entschied ich mich, die Dresdner Philharmonie vertragsgemäß bis 2019 zu leiten. Nach den ersten Tönen im neuen Saal freue ich mich auf die verbleibende Zeit sehr. Im Juni 2019 werde ich mein letztes Konzert als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie dirigieren. Der Kulturpalast wurde 1969 von der DDR erbaut und konnte nun als Denkmal im Zentrum der Stadt erhalten werden – keine Selbstverständlichkeit, wie wir wissen. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Tradition und Zukunft? Ich bin dankbar und begeistert von der Idee, mit dem Umbau eine wunderbare Symbiose von alt und neu zu schaffen. Es war eine gute Entscheidung, Konzertsaal, Herkuleskeule und Städtische Bibliotheken in der Hülle des denkmalgeschützten Gebäudes einzurichten. Es wird ein neues kulturelles Zentrum in Dresdens Innenstadt entstehen. Nicht »nur« ein Musentempel, sondern ein kultureller Lebensraum wird geschaffen – und mehr Lebensqualität für die Dresdner.