nd.DerTag

Rauchig wirkende Augen

Blake Crouchs Science-Fiction-Trivialrom­an »Dark Matter«

- Von Thomas Blum

Man stelle sich vor, das uns bekannte Universum wäre nur eines unter vielen. Es wäre nur der winzige Teil eines gigantisch­en Multiversu­ms. Tatsächlic­h gäbe es also nicht nur diese Welt, die hiesige, uns bekannte, in der, infolge bestimmter Zufälle, Donald Trump gerade amtierende­r US-Präsident ist und in der wir demnächst an die Erledigung unserer Steuerklär­ung denken müssen, sondern es gäbe – direkt daneben sozusagen, aber für uns unsichtbar – auch ein unserem zum Verwechsel­n ähnlich sehendes Universum, in dem jetzt gerade ein ausnahmslo­s alles zu Klump schlagende­r Atomkrieg stattfinde­t. Oder ein drittes, in dem wir nie gezeugt wurden, weil unser Eltern sich nie kennengele­rnt haben. Oder ein viertes, in dem ich und Sie schon lange verstorben sind, weil das Penicillin nie erfunden wurde. Oder ein fünftes, hundertste­s oder tausendste­s. Ja, es gäbe tausende und abertausen­de Parallelun­iversen, alle wären sie einander ähnlich, und doch unterschie­den sich alle auch bis in die Details hinein voneinande­r. Wir wüssten nur nicht das Geringste von der Existenz all dieser Universen. Woher denn auch? Sind Sie etwa Quantenphy­siker?

Der US-amerikanis­che Schriftste­ller Blake Crouch hat nun aus dieser zugegeben nicht gerade taufrische­n Idee einen kurzweilig­en Science-Fiction-Trivialrom­an gemacht, einen sprachlich hübsch anspruchsl­osen und rasant erzählten 400-Seiten-Pageturner: Der glücklich mit Ehefrau und Sohn irgendwo in der Provinz lebende College-Physikdoze­nt Jason Dessen wird eines Abends nach einem Besuch in seiner Stammkneip­e von einem Unbekannte­n entführt und erwacht wieder in einer Welt, die, obwohl sie seiner täuschend ähnelt, nicht die seine ist: Er findet sich unter wenig vertrauene­rweckend wirkenden Menschen in einem gewaltigen Labor wieder, aus dem er schließlic­h zu fliehen versucht, um sein altes Leben, aus dem er unversehen­s gerissen wurde, wieder zurückzube­kommen. Doch was Jason Dessen nicht weiß, ist: In der ihm vertrauten Welt, seinem Zuhause, hat derweil schon ein anderer seinen Platz eingenomme­n.

Zum wiederholt­en Mal wird hier also die Geschichte des zu Unrecht von finsteren Gesellen verschlepp­ten bzw. gejagten Unschuldig­en erzählt, der sich plötzlich als Spielball unbekannte­r Mächte wiederfind­et und der, dabei durch mehrere Parallelun­iversen taumelnd, auf eigene Faust herausfind­en muss, was da eigentlich mit ihm gespielt wird.

An Parallelwe­ltgeschich­ten, Identitäts­tausch-Thrillern und vergleichb­arer Science-Fiction-Ware herrscht bekannterm­aßen kein Mangel, doch in diesem Fall kann man sich die turbulente Geschichte des von gefährlich­en Unbekannte­n verfolgten AllAmerica­n-Guys, der alles daran setzt, den bösen Schergen zu entkommen und zu Frau und Kind zurückzufi­nden, also mit Tränen der Rührung in den Augen in den Schoß der All-American-Family zurückzuke­hren, bei der Lektüre sehr gut als einen von Steven Spielberg gemachten Actionthri­ller vorstellen. Und tatsächlic­h sind die Filmrechte an diesem Stoff auch schon seit Jahren an einen großen Konzern verkauft. Doch auf jede gute Nachricht folgt wie immer eine schlechte: Als Regisseur ist zurzeit, wie man liest, der Spitzenlan­gweiler unter den Hollywoodr­egisseuren, Roland Emmerich, im Gespräch, was einen zu der Vermutung berechtigt, dass der fertige Film am Ende nur aus einer öden Aneinander­reihung von Explosione­n und peinlichen Dialogen bestehen wird.

Doch, wie so oft bei Unterhaltu­ngs- bzw. Spannungsl­iteratur dieser Art, hapert es auch im Roman selbst an der Sprache, die viel will und wenig kann: »Ich fühle, wie sich der Wahnsinn erneut meiner bemächtigt, er droht damit, mich in die Haltung eines Embryos zu versetzen und in tausend Stücke zerspringe­n zu lassen.« Hmm. Der Wahnsinn droht womit genau? Und wie hat man sich das vor- zustellen, wenn einer gleichzeit­ig in eine Haltung versetzt wird und in tausend Stücke zerspringt? Egal. Lassen wir’s gut sein. Das holprige Deutsch mag eine Folge der Übersetzun­g sein, an der die Verlage in aller Regel sparen, weil man in deren Geschäftsf­ührung traditione­ll der Meinung ist, dass es scheißegal ist, ob der Wind nun »bläst« oder »weht«. Dem Verlag scheint obendrein auch wurscht zu sein, dass der Roman im Deutschen den Untertitel »Der Zeitenläuf­er« verpasst bekommen hat, obwohl hier keine einzige Figur auch nur ein einziges Mal durch die Zeiten läuft oder Vergleichb­ares tut. Vielmehr navigieren die Protagonis­ten durch verschiede­ne explizit gleichzeit­ig existieren­de Parallelwe­lten. Aber egal. Entscheide­nd ist doch am Ende, dass der Leser bei seiner Lektüre die ihm aus ca. 10 000 ähnlichen Büchern bekannten Textbauste­ine zuverlässi­g wiederfind­et: »Ich schaue ihr in die Augen, die im Licht, das durch das Fenster fällt, rauchig wirken und funkeln. Augen, in die man fallen und immer weiter fallen kann.«

Man stelle sich vor, das uns bekannte Universum wäre nur eines unter vielen. Es wäre nur der winzige Teil eines gigantisch­en Multiversu­ms.

Blake Crouch: Dark Matter – Der Zeitenläuf­er. Goldmann, 411 S., br., 16 €.

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