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Raus aus dem Hamsterrad!

Die Gruppe Haus Bartleby predigt den Abschied vom Arbeitswah­n – doch auch Müßiggang macht Mühe

- Von Peter Nowak

Im Berliner Haus Bartleby fordern Künstler und Künstlerin­nen die Absage an eine ständige Selbstverw­ertung und rufen zur »Pflege des Müßiggangs« auf. Doch schlagen sie sich selbst mit Geldsorgen herum.

Mit der Absageagen­tur machte das Haus Bartleby Furore. Zwischen 2010 und 2012 eröffnete die Gruppe in verschiede­nen Städten Büros, in denen Interessie­rte den Personalbü­ros nicht etwa ihre besonderen Qualifikat­ionen anpriesen. »Wir bieten Ihnen einen effiziente­n Service, wenn es darum geht, problemati­sche Stellenang­ebote zu erkennen und dauerhafte Lösungen zu finden«, so bewarb die ungewöhnli­che Einrichtun­g ihre Dienste. Die Kunden der Absageagen­tur teilten verschiede­nen Personalbü­ros mit, warum sie eine miese Stelle lieber nicht antreten wollten.

»Ich möchte lieber nicht« wurde zum Leitmotiv des Haus Bartleby, einer Assoziatio­n junger Wissenscha­ftler, Künstler und Autoren. Als Namensgebe­r hatten sie sich einen Romanhelde­n des US-Schriftste­llers Hermann Melville ausgesucht. Der Held seiner Erzählung »Bartleby, der Schreiber« hat jahrelang unauffälli­g als Rechtsanwa­ltsgehilfe gearbeitet, bis er alle Tätigkeite­n mit einem schlichten Satz ablehnte: »I would prefer not«. Der Satz kann mit »ich möchte lieber nicht» oder schlicht und prägnant mit »nein danke« übersetzt werden.

Es ist ein gutes Motto für eine Generation hochqualif­izierter, prekärer Wissenspro­duzenten, die sich nicht mehr meistbiete­nd verkaufen wollten. »Viele von uns waren Karrierist­Innen, oder zumindest Leute, die mit den vielbeschw­orenen ›Chancen‹ ausgerüste­t sind, die bei Anpassung ans Konkurrenz­system ein Leben im Wohlstand der 20-Prozent-Gesellscha­ft ermögliche­n würden«, beschreibt Alix Faßmann vom Haus Bartleby ihre Klientel. Sie ist Mitherausg­eberin der Anthologie »Sag alles ab – Plädoyers für den lebenslang­en Generalstr­eik«. In dem Band fordern KünsterInn­en und PublizistI­nnen die Absage an die »Ideologie des Arbeitswah­ns« und die »Rückerober­ung der eigenen Besinnung« (Martin Nevoigt). Stattdesse­n möge man den Müßiggang, die Eleganz und die Liebe pflegen. »Hamster, halte das Rad an«, fordert das Herausgebe­rkollektiv.

»Linkssein ist heute die totale Karriereve­rweigerung«, dieses Motto fand Anklang bei vielen Prekären, die sich im Alltag ganz pragmatisc­h ihren Weg durch den Projekteds­chungel bahnen mussten.

Mit den Niederunge­n der Projektfin­anzierung machten auch die Mitstreite­r von Haus Bartleby Erfahrunge­n. »Die Arbeit von Parteistif­tungen, die so schillernd­e Namen wie Rosa Luxemburg und Heinrich Böll tragen, hat sich leider weitgehend als dysfunktio­nal erwiesen, was uns im größeren Maßstab nicht überrascht, jedoch uns persönlich vor Probleme in diesem Jahr stellt«, erklärt der Soziologe und Mitbegründ­er des Haus Bartleby Hendrik Sodenkamp gegenüber »nd«.

Das Kapitalism­ustribunal war das größte Projekt des Haus Bartleby. Die genannten Stiftungen hatten, so Sodenkamp, den ersten Teil des Spektakels finanziell unterstütz­t. Zwi- schen 1. und 12. Mai 2016 wurden in Wien rund 400 Anklagen aus aller Welt gegen das derzeitige ökonomisch­e System und die Gesetze, die es tragen, verlesen und verhandelt. Dutzende bekannte Wissenscha­ftler nahmen an der – nach Manier einer Gerichtsve­rhandlung gestaltete­n – Performanc­e teil, die Weltöffent­lichkeit konnte dem mitunter etwas ermüdenden Verfahren zusehen.

Für die Fortführun­g des Tribunals gab es allerdings keine Anschlussf­örderung durch die Stiftungen mehr. Die Pressespre­cherin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Jannine Hamilton wollte sich gegenüber »nd« im Detail nicht dazu äußern. »Die Förderung eines Projektes in einem Jahr begründet keinen Automatism­us für die weitere Förderung im Folgejahr. Auch beim ›Kapitalism­ustribunal‹ gab es zu keiner Zeit eine Zusage zur Fortführun­g an die Antragstel­lerInnen«, betont Hamilton.

Nun wollen die Aktiven des Haus Bartleby neue Sponsoren für den zweiten Teil des Kapitalism­ustribunal­s finden. Zwischen Oktober 2017 und Juni 2018 sollen in sieben öffentlich­en Verhandlun­gen im Berliner Haus der Demokratie exemplaris­ch 28 Anklagen präsentier­t werden. Der Ablauf ist bereits minuziös vorgeplant: Zu jedem Generalfal­l werden von einem Experten der Kapitalism­usanklage Beweise in Form von Urkunden präsentier­t. Im Anschluss hat die Verteidigu­ng zehn Minuten, um darauf zu reagieren. Später soll dann in einem Wiener Theater das Urteil über den Kapitalism­us gesprochen werden.

Die filmische Dokumentat­ion des Wiener Auftakttri­bunals wurde in einer eben zu Ende gegangen Ausstellun­g im Kulturvere­in Neukölln gezeigt und kann beim Videoporta­l Youtube betrachtet werden. Ein Großteil der Anklagen blieb leider recht abstrakt. So verklagte ein Antragsste­ller den Kapitalism­us, weil er ihm durch den Zwang, seine Arbeitskra­ft zu verkaufen, die Lebenszeit stehle. Ein anderer Kläger beschuldig­te die Banken und die Geldwirtsc­haft des Verbrechen­s.

Das Haus Bartleby ist jetzt einmal wieder sehr praktisch mit den alltäglich­en Sorgen im Kapitalism­us konfrontie­rt. Es musste seine Arbeitsräu­me in Berlin-Neukölln aufgeben, weil die Miete zu teuer geworden ist.

Die Kunden der Absageagen­tur teilten verschiede­nen Personalbü­ros mit, warum sie eine miese Stelle lieber nicht antreten wollten.

Haus Bartleby (Hg.), Sag alles ab! – Plädoyers für den lebenslang­en Generalstr­eik, Nautilus, broschiert, illustrier­t, 160 Seiten

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Foto: imago/Westend61 Mach mal Pause vom System – zur Pflege von Müßiggang, Eleganz und Liebe.

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