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Was wollen wir doch gleich in Hamburg?

Tadzio Müller und Alexis Passadakis fragen, was die geplanten Proteste gegen den G20-Gipfel eigentlich erreichen sollen

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Gipfelprot­este waren Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre genau das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit: Unter George Bush Seniors »neuer Weltordnun­g« und angesichts scheinbar ungebroche­ner neoliberal­er Hegemonie machten die Massenmobi­lisierunge­n gegen den WTOGipfel in Seattle 1999 bis hin zum G8-Gipfel in Heiligenda­mm 2007 antikapita­listische Kritik sichtbar: »Eine andere Welt ist möglich.« Die Globalisie­rungskriti­ker formten sich zu einem handlungsf­ähigen Subjekt.

Die Geschichte der Gipfelprot­este beginnt eigentlich bereits 1968 in Schweden, wo eine Gruppe von Demonstran­t*innen eine Aktion gegen ein Treffen von zehn Finanzmini­stern der reichsten Industriel­änder durchführt­e. In der BRD gab es die Proteste gegen den Weltwirtsc­haftsgipfe­l 1985 in Bonn und gegen den Internatio­nalen Währungsfo­nds 1989 in Berlin. Zum Ende der 1990er Jahre fand jedoch ein qualitativ­er Wandel statt: Gipfelprot­est wurde zum zentralen Element im Werkzeugka­sten sozialer Bewegungen – weil die Art und Weise, wie Bewegungen funktionie­ren, wie sie effektiv werden, in einem engen Zusammenha­ng damit stehen, wie diese Welt organisier­t ist. Weniger abstrakt gesprochen: In Zeiten scheinbar ungebroche­n neoliberal­er Hegemonie waren Gipfelprot­este hegemonieb­rechend, die Tür zu einer anderen Welt öffnend.

Dieser Zyklus ist jedoch abgeschlos­sen. Der »Mittlerwei­leschonvie­lzuspät«-Neoliberal­ismus kann seit dem Crash von 2008 kaum noch als hegemonial bezeichnet werden (trotz seiner Allgegenwa­rt), er ist eher zu einer Strategie der Dominanz mutiert. Dementspre­chend hat sich auch das Terrain geändert, auf dem Bewegungen agieren: Sichtbarke­it besteht, jetzt geht es darum, Hebel der strategisc­hen Durchsetzu­ng unserer Ziele zu finden. Dies ist die Frage, die sich während der Platzbeset­zungen in Spanien, Griechenla­nd und den USA stellte. Es geht darum, Regierunge­n zu stürzen, sie manchmal sogar, wie in Griechenla­nd oder auf der lokalen Ebene in Spanien, selbst zu stellen. Auch in der Bundesrepu­blik sind wir in einer seit langem nicht da gewesenen Phase relativ hoher sozialer Mobilisier­ung: die starke Bewegung gegen TTIP und CETA, die Willkommen­sbewegung, die allgegenwä­rtigen Proteste gegen Pegida oder die AfD, die Kämpfe um das Recht auf Stadt, die Klimagerec­htigkeitsb­ewegung.

Sichtbarke­it ist also nicht unser Hauptprobl­em. Der neoliberal­e Kapitalism­us natürlich schon. Ihn als solchen mit all seinen Auswirkung­en zu benennen, massenhaft auf der Straße, das reicht jedoch nicht mehr aus, um ihn zu schwächen – eben weil die Hegemonie des Neoliberal­ismus nicht (mehr) durchbroch­en werden muss.

Das bringt uns zum G20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli. Obwohl die Mobilisier­ung inzwischen fortge- schritten ist, fragen wir uns noch immer: Was genau ist denn die Funktion der Proteste?

Denn erstens gibt es im Gegensatz zur WTO-Ministerko­nferenz in Seattle 1999 bei den G20 keine Regierunge­n armer afrikanisc­her Länder, deren Widerstand gegen die neoliberal­e »Basta-Politik« durch Proteste gestärkt werden könnte. In Hamburg ist daher keine Interventi­on plausibel, die auf Durchsetzu­ng einer alternativ­en Agenda zielt. Die Proteste werden sich in einem symbolisch­en Raum bewegen. Und zweitens macht ihre Aufteilung auf zwei Wochenende­n – die Nichtregie­rungsorgan­isationen am 2. Juli, linke Gruppen am 7. Juli – eine starke Erzählung über das Zusammenfü­hren von Bewegungen und Kämpfen extrem schwierig.

Ja, es gibt eine solidarisc­he Strömung in dieser Gesellscha­ft. Aber wir haben Zweifel, ob ihr in Hamburg ein kollektive­r Auftritt verschafft werden kann. All das bedeutet mitnichten, dass es keine gute Idee ist, nach Hamburg zu mobilisier­en. Es bedeutet aber wohl, dass die Zeit drängt, noch mehr gemeinsam darüber zu diskutiere­n, was wir dort effektiv erreichen wollen und können.

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Foto: Privat; RLS Alexis Passadakis ist aktiv bei Attac, Tadzio Müller ist Referent für Klimagerec­htigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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