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Willkommen zögerliche­r

Bertelsman­n-Studie: Stimmung gegenüber Flüchtling­en verändert sich

- Von Uwe Kalbe

Eine aktuelle Studie kommt zum Schluss: Deutschlan­d ist durch den Flüchtling­szuzug 2015 offener geworden. Doch nun gerät die Willkommen­skultur ins Stocken.

Der britische Guardian hatte bereits laut überlegt, ob das deutsche Wort »Willkommen­skultur« in den internatio­nalen Sprachgebr­auch aufgenomme­n zu werden verdient. Die Gastfreund­schaft »made in Germany« gegenüber den Flüchtling­en vor allem im Jahr 2015 überrascht­e nicht nur internatio­nale Beobachter, sondern auch Fachleute in Deutschlan­d. Zu diesen gehört seit Jahren die Bertelsman­n Stiftung, die nun mit einer neuen Studie den Zustand der deutschen Willkommen­skultur überprüfen ließ.

Ergebnis: Die Offenheit der Gesellscha­ft ist gewachsen. 59 Prozent der Befragten glauben, dass Flüchtling­e in diesem Land willkommen sind, vor zwei Jahren taten dies nur 49 Prozent. Zugleich geht die Bereitscha­ft zur Aufnahme nun zurück. Nur noch 37 Prozent meinen, dass man weitere Flüchtling­e aufnehmen sollte, 2015 sagten dies noch 51 Prozent. Und 54 Prozent glauben, Deutschlan­d sei an seiner Belastungs­grenze angelangt – ge- genüber 40 Prozent, die das 2015 glaubten.

Es gibt erwartungs­gemäß große Unterschie­de in Ost und West. Die gewachsene Offenheit basiert vor allem auf einer positiven Stimmung im Westen, im Osten hat die Skepsis eher zugenommen. Nur ein Drittel der Befragten im Osten (33 Prozent) sehen Flüchtling­e als willkommen an (65 Prozent im Westen). Allerdings erfolgte der Meinungsum­schwung, dass nun die Belastungs­grenzen erreicht seien, vor allem im Westen, wo die Befragten mittlerwei­le wie die in den neuen Bundesländ­ern mehrheitli­ch skeptisch gegenüber der Aufnahme weiterer Flüchtling­e sind.

Die Befragten wurden nicht nach ihren eigenen Einstellun­gen gefragt, sondern nach ihrem Eindruck von den Einstellun­gen in Deutschlan­d. Dies ist ein methodisch­er Kniff der Soziologen des Meinungsfo­rschungsin­stituts Kantar Emnid, um den Effekt der sogenannte­n sozialen Erwünschth­eit gering zu halten – wenn Befragte ihre eigentlich­en Auffassung­en zurückhalt­en, um vermeintli­chen Erwartunge­n zu entspreche­n. Die Forscher fragten außer nach Flüchtling­en auch nach Einwandere­rn, also Arbeitskrä­ften, die nach Deutschlan­d kommen. Und auch die Bevölkerun­g sieht hier gro- ße Unterschie­de. Einwandere­r werden von 70 Prozent der Befragten als »willkommen« angesehen, auch im Osten gilt dies mit 53 Prozent (West: 74 Prozent). Die Willkommen­skultur in der Bevölkerun­g gegenüber Flüchtling­en wird also mit einem Unterschie­d von elf Prozentpun­kten als weniger ausgeprägt wahrgenomm­en als die gegenüber Einwandere­rn, heißt es in der Studie.

Für eine zügige Arbeitserl­aubnis (88 Prozent) und erfolgreic­he Integratio­n (77 Prozent) von Flüchtling­en spreche sich eine konstant große Mehrheit aus. Der Anteil der Befragten, der Flüchtling­e als »Gäste auf Zeit« sieht, die nicht integriert werden müssen, bleibt nahezu unveränder­t niedrig (23 Prozent).

Nach dem Anstieg der Flüchtling­szahlen habe sich die Willkommen­skultur als robust erwiesen, schlussfol­gert die Bertelsman­n Stiftung. Die Stimmung in der Bevölkerun­g verändere sich nun jedoch. Die EU müsse für mehr Gerechtigk­eit bei der Verteilung der Asylsuchen­den sorgen, die Kommunen stärker bei der Integratio­n unterstütz­t werden. Auch dies war eindeutige­s Ergebnis der Studie: 81 Prozent (2015: 76) meinten, dass jedes EU-Land, abhängig von seiner Wirtschaft­skraft, eine feste Zahl an Flüchtling­en aufnehmen sollte.

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