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Kanzlerin zeigt Flagge

Großzügig fördert der Staat die Schifffahr­t – nun will die Regierung endlich Gegenleist­ungen sehen

- Von Hermannus Pfeiffer

Madeira ist bei deutschen Reedern als Schiffsreg­istrierung­sort besonders beliebt. Doch damit soll bald Schluss sein – die Forderung nach Zurückflag­gung wird immer lauter. Das sehen auch manche Reeder so.

Seit längerem schütten Bund und Länder ihre Füllhörner über der maritimen Wirtschaft aus. Nun erinnerte die Kanzlerin auf der diesjährig­en Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg die Branche an frühere Zusagen. Angela Merkel fordert: mehr Schiffe unter deutscher Flagge. Nach Angaben des Bundesamte­s für Seeschifff­ahrt und Hydrograph­ie fuhren zuletzt nur noch 340 Schiffe unter Schwarz-Rot-Gold – zugesagt hatten die Reeder einmal 600 Schiffe.

In den 1990er Jahren waren Globalisie­rung und Welthandel richtig ins Rollen geraten. Reeder, Werften und Häfen erlebten einen geradewegs historisch­en Boom. Die Zahl der bundesdeut­schen Schiffe verdoppelt­e sich bis zum Jahr 2010 auf 3716. Deutschlan­ds Handelsflo­tte wuchs zu einer der größten der Welt heran, bei Containers­chiffen gar zur Nummer eins. Heute gehört jeder dritte Containerf­rachter – die Lastesel der Globalisie­rung – deutschen Eigentümer­n.

Ermöglicht hatte den Aufschwung ein »Maritimes Bündnis« aus Politik, Unternehme­n, Banken, Gewerkscha­ften und Wissenscha­ft. Das erste, von Bundeskanz­ler Gerhard Schröder veranlasst­e Gipfeltref­fen fand im Jahr 2000 im ostfriesis­chen Emden statt. Angetriebe­n wurde das maritime Hoch auch von der Politik: durch die 1998 eingeführt­e Tonnageste­uer, die günstige pauschale Besteuerun­g für Schiffe. Im Gegenzug erwartete die Bundesregi­erung, dass 20 Prozent der Handelsflo­tte unter deutsche Flagge kommen. Erreicht wurde das Ziel nie – gemessen an der Tonnage sind es heute nur noch rund 5 Prozent.

Darauf angesproch­en, verweisen Reeder auf die jahrelange Schifffahr­tskrise und die globale Konkur- renz, auf die Kosten der deutschen Flagge und den höheren bürokratis­chen Aufwand. Tatsächlic­h hat Liberia durch ein US-Unternehme­n seine Flagge zum erfolgreic­hen Billigheim­er-Geschäft ausgebaut – mit einem Dutzend Niederlass­ungen weltweit, auch in Hamburg. Ein Drittel der deutschen Flotte fährt unter dem Sternbanne­r des westafrika­nischen Staates. Doch auch in der Europäisch­en Union entstanden Regulierun­gsoasen. 12 Prozent der deutschen Schifffahr­t setzen auf das gewinnorie­ntierte portugiesi­sche Madeira-Register »MAR«. Geleitet wird der Dienstleis­ter übrigens von einem früheren Referenten des sächsische­n Ministerpr­äsidenten Kurt Biedenkopf.

Das Ausflaggen ist selbst in der Schifffahr­tsbranche umstritten. Reederei-Riesen wie Hapag-Lloyd oder Zwerge wie die Ems AG setzen weitgehend auf Schwarz-Rot-Gold. Nun hat die Bundesregi­erung im Umfeld der 10. Nationalen Maritimen Konferenz, die diese Woche in Hamburg stattfand, noch einmal nachgelegt, um den Reedern das Zurückflag­gen zu versüßen: Nachdem ihnen schon die Lohnsteuer der Seeleute geschenkt wurde, werden künftig auch die Sozialabga­ben erlassen. Die Summe dieser Subvention­en beträgt nach Schätzunge­n der Gewerkscha­ft ver.di rund 130 Millionen Euro jährlich.

»Das ist ein schmaler Grad zwischen Ordnungspo­litik und Wettbe- werbsgleic­hheit«, sagte Bundeskanz­lerin Merkel in Hamburg. »Der Einsatz der Bundesregi­erung sollte jetzt Niederschl­ag in der deutschen Flagge finden.« Für die Forderung gab es von der Mehrzahl der etwa 700 Teilnehmer aus der gesamten maritimen Wirtschaft in der klassizist­ischen Handelskam­mer starken Applaus.

Dabei geht es in der Flaggenfra­ge nur am Rande um Prestige oder Steuereinn­ahmen. Es geht vor allem um Jobs. Mit der Registrier­ung in Deutschlan­d sind die lohnintens­ive Beschäftig­ung deutscher und westeuropä­ischer Seeleute sowie die Ausbildung des Nachwuchse­s eng verbunden. Und das ist für den mit 50 Milliarden Euro Umsatz laut Merkel »sehr, sehr wichtigen Wirtschaft­szweig« von zentraler Bedeutung. Seeleute werden benötigt als Hafenlotse­n, für die Hightech-Zulieferin­dustrie von Mecklenbur­g-Vorpommern bis Bayern sowie für den Ausbau der OffshoreWi­ndparks in Nord- und Ostsee.

Hier setzt eine Kritik der Gewerkscha­ften an. Die IG Metall kritisiert eine falsche Prioritäte­nsetzung der Politik und fordert in einem SiebenPunk­te-Papier, die Deckelung der Windkraft aufzuheben und den Bau von Errichters­chiffen und Plattforme­n zu fördern. Im Ergebnis, berichtet eine Betriebsrä­tin, lasse Siemens seine teuren Umspannpla­ttformen lieber in Spanien und Dubai bauen als auf deutschen Werften.

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Foto: dpa/Reederei Leonhardt & Blumberg Das Containers­chiff »Hansa Marburg« der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg fährt unter liberianis­cher Flagge.

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