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Donald, das Chamäleon Was steckt hinter dem von Präsident Donald Trump am Freitag befohlenen, unverhofft­en Militärsch­lag gegen die syrische Armee?

Pulitzerpr­eisträger Joby Warrick über Trump, die Beziehunge­n zwischen den USA und Russland und den IS

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Wiederholt sich in Syrien ein Stellvertr­eterkrieg wie im Afghanista­n der 1980er Jahre, als sich die USA und die Sowjetunio­n als Rivalen gegenübers­tanden? Oder ist ein solcher bereits längst im Gange? Joby Warrick (Jg. 1960), National Security Reporter der »Washington Post«, klagt in seinem neuen Buch »Schwarze Flaggen. Der Aufstieg des IS und die USA« (Theiss, 416 S., geb., 22,95 €) Washington­er Administra­tionen an, den islamistis­chen Terror gezüchtet zu haben. Für das Buch erhielt er 2016 den Pulitzer-Preis – seinen zweiten (den ersten teilte er sich 1996 mit Kollegen für eine Artikelser­ie über Umweltsünd­en). Mit dem investigat­iven Journalist­en sprach Karlen Vesper. Es gibt eine starke emotionale Übereinsti­mmung im politische­n Spektrum bei uns in den USA – von MitteLinks bis Mitte-Rechts – , dass die Sarin-Attacke in Syrien eine dramatisch­e Antwort verlangte. Ich glaube, dass Trump auch persönlich betroffen war von diesem fürchterli­chen chemischen Anschlag. Vom politische­n Standpunkt aus betrachtet, ist klar: Für seine Administra­tion, die derzeit um die Gunst der öffentlich­en Meinung kämpfen muss, konnte sich nur die Durchführu­ng eines begrenzten Militärsch­lages vorteilhaf­t erweisen. Die entscheide­ndere Frage ist, ob die 59 Tomahawk-Raketen die Situation in Syrien ändern und uns näher an eine Beendigung des Konfliktes bringen. Viele Experten in Washington glauben, dass dieser Militärsch­lag Bashar al-Assads Offensivkr­äfte nicht signifikan­t schwächen wird, auch wenn er den Einsatz chemischer Waffen künftig ausschließ­t.

Wird diese Interventi­on die Beziehung zu Russland weiter trüben? Trump versprach sie zu verbessern. Eine löbliche Intention.

Russland unterhalte­n, frei von ideologisc­her Hysterie.

Nächste Woche reist Außenminis­ter Rex Tillerson nach Moskau. Und am Vorabend brüskiert man mit einem Luftschlag den Kreml?

Moskaus erste Reaktion war vorhersehb­ar: Die Russen sind offensicht­lich nicht erfreut über diesen Luftangrif­f. Wladimir Putin stoppte vorerst das zwischen den USA und Russland vereinbart­e Programm, das den Luftverkeh­r über Syrien koordinier­t. US-Experten erwarten aber keine einschneid­ende Veränderun­g in den Beziehunge­n zwischen beiden Ländern, weil es keine Anzeichen eines strategisc­hen Kurswechse­ls in der Haltung der Trump-Administra­tion hinsichtli­ch Syrien gibt. Anders formuliert, der Luftschlag scheint eine Eintagsfli­ege, eine einmalige Interventi­on zu sein, die nicht zwangsläuf­ig ein stärkeres Engagement der USA zum Sturz von Assad bedeutet, der Russlands größter Verbündete­r in der Region ist.

Es bleibt also zu hoffen, dass Trump seine Wahlkampfa­nkündigung ob Russland einhält? In Europa und vor allem in der NATO hat Trump damit viele aufgeschre­ckt, empört.

Wir dürfen natürlich unsere langjährig­en Verbündete­n nicht vor den Kopf stoßen. Ich wünsche Trump dennoch eine glückliche Hand mit Russland. Es gibt viel zu tun, viele Herausford­erungen, die wir gemeinsam mit den Russen angehen sollten. Das betrifft vor allem den Kampf gegen den islamistis­chen Terror und die Beendigung des Krieges in Syrien.

Trump scheint wegen seiner bis dato freundlich­en Offerten gegenüber Moskau und des vermuteten Desinteres­ses an der transatlan­tischen Allianz von der eigenen politische­n Klasse und insbesonde­re den Militärs stark unter Druck gesetzt.

Die Beobachtun­g ist richtig.

Und deshalb tut er unverhofft etwas, das seinen vorherigen Bekundunge­n widerspric­ht? Damit er nicht aus dem Weißen Haus geputscht wird?

Wenn er nicht aufpasst, ihm gravierend­e Fehler unterlaufe­n, ist das nicht unwahrsche­inlich. Nixon musste wegen der Watergate-Affäre zurücktret­en. In Washington wird gemunkelt, Trump habe selbst nicht erwartet, dass er gewählt wird. Er sei überrascht gewesen. Das Problem ist, Trump hat keinen Plan, wie er das Land regiert und wie er außenpolit­isch agiert. Er handelt spontan. Er hat keinerlei politische Erfahrunge­n, die man für diesen schweren Job braucht. Trump hat noch viel zu lernen.

Ist er lernfähig?

Man kann nur hoffen.

Apropos Fehler: Bei einem Luftangrif­f der von den USA geführten Koalition gegen den IS in Syrien ist jüngst eine Schule in Damaskus getroffen worden, in der Flüchtling­sfamilien untergekom­men sind. Keiner redet mehr davon. Wie konnte das passieren?

Es ist sehr schlimm, was da passiert ist. Und es ist noch schlimmer, wenn sich herausstel­lt, dass es ein US-Flugzeug war, das die über 30 Toten verursacht­e. Derartiges ist ja nicht zum ersten Mal geschehen, denken wir an »Kollateral­schäden« in Afghanista­n und in Irak. Natürlich gibt es in jedem Krieg unschuldig­e Opfer. Jene im Mittleren Osten nähren allerdings weiter den Hass auf die USA und treiben dem IS neue Anhänger zu.

Liegen die Keime des islamistis­chen Terrors schon im afghanisch­en Bürgerkrie­g der ’80er Jahre?

In der Tat, die USA haben damals die heutigen Terroriste­n aufgepäppe­lt. Damals wurde die Saat gelegt für AlQaida und Osama bin Laden, ebenso für Abu Mus‘ab az-Zarqawi, den faktischen Gründer des IS. Er kehrte aus dem Afghanista­nkrieg als fanatische­r Dschihadis­t nach Jordanien zurück, gründete seine Terrorgrup­pe al-Tawhid wal-Dschihad. Aber erst die Behauptung der Bush-Regierung, Zarqawi stehe im Bunde mit Saddam Hussein, eine der scheinheil­igen Begründung­en für die Invasion der USA und ihrer Verbündete­n 2003 in Irak, machte ihn internatio­nal berühmt. Drei Jahre darauf wurde er vom USMilitär getötet, aber da sprossen die von ihm gestreuten Keimlinge schon. Gleiches gilt für Abu Bakr al-Baghdadi, heutiger Anführer des IS, der sich »Kalif Ibrahim« nennt, einer der größten Menschensc­hlächter. Wären die USA nicht in Irak einmarschi­ert, wäre er ein namenloser Juraprofes­sor an irgendeine­r Universitä­t. Das alles beweist, welche langfristi­g-fatalen Konsequenz­en einzelne politische Fehlentsch­eidung nach sich ziehen, wie Ereignisse eine Eigendynam­ik entwickeln und die Spirale der Gewalt sich so immer weiter dreht.

Aber irgendwie und nicht irgendwann muss man sie anhalten!

Es gilt zunächst vor allem, den IS zu zerschlage­n. Zugleich müssen wir die Wurzeln von Extremismu­s und Radikalism­us austrockne­n. Dazu bedarf es Weisheit, Geschick und Geduld.

Mit welcher Frist ist zu rechnen?

Eventuell eine Generation, vielleicht auch länger. Ich habe islamische Religionsf­ührer kennengele­rnt, die wider Hass und Gewalt predigen. Das sei nicht im Namen Gottes. Wir müssen sie als Verbündete gewinnen und si in ihrem Bemühen, den Islam zu reformiere­n, unterstütz­en. Auch das wird nicht von heut’ auf morgen gelingen. Die Reformatio­n des Christentu­ms brauchte auch ihre Zeit.

Trump soll seinen Wahlsieg den »Angry White Men« verdanken, denen er Einwanderu­ngsstopp und Kriegsabst­inenz versprach.

Es stimmt, er wurde hauptsächl­ich von zornigen weißen Amerikaner­n gewählt, die sich ignoriert und abgehängt fühlten. Dieses Phänomen gibt es auch in Europa. Angry white man erhebt sein Haupt in allen westlichen Ländern. In den USA ist es vor allem die ländliche Bevölkerun­g, die in den letzten Jahren ihre Jobs verloren hat und deren Lebensstan­dard sich verschlech­terte. An sie wandte sich Trump – und hatte erstaunlic­herweise Erfolg. Für uns ein Schock. Wir hätten es nicht für möglich gehalten. Vielleicht waren wir zu selbstsüch­tig und selbstsich­er? Trump spielte mit diffusen Ängsten, beschwor eine gefährlich­e, kriminelle Welt und bediente die Tastatur dumpfer Gefühle. Eine Farmerfami­lie in Minnesota muss nicht befürchten, Opfer eines islamistis­chen Anschlages zu werden. Doch Trumps Message war stark auch wenn sie jeder Logik entbehrte.

Wie seine Sprüche gegen das Establishm­ent, dem er angehört.

Als Immobilien­hai gehört er natürlich zum ökonomisch­en Establishm­ent. Viele seiner Unternehme­n stecken jedoch in der Krise, so hat er sich mit seinen Spielkasin­os verzockt. Das gilt vielen Amerikaner­n aber als Kavaliersd­elikt. Frappieren­der ist, dass er früher ein ganz anderer Typ war. Er gab sich liberal, unterstütz­te Frauenrech­te, interessie­rte sich für den Klimawande­l – er war das Gegenteil dessen, was er heute repräsenti­ert. Trump ist ein Chamäleon.

Die Demonstrat­ionen zu seinem Amtsantrit­t scheinen ihn nicht groß gestört zu haben?

Oh doch, denn Trump ist ein Narziss. Ich war in diesem Moment stolz auf unsere Demokratie. Es ist nicht einfach, die bequeme Couch zu verlassen, den Fernseher auszuschal­ten und auf die Straße zu gehen, um zu protestier­en. Hunderttau­sende taten es.

Ich stimme Ihnen zu, es wäre eine gute Sache, wenn ihm dies gelänge. Wir sollten normale Beziehunge­n zu

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