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Mit Hunderten von Arzneimitt­eln vollgepump­t

Vor 30 Jahren starb die gedopte Siebenkämp­ferin Birgit Dressel an multiplem Organversa­gen

- Von Christoph Leuchtenbe­rg und Dominik Kortus, Köln SID/nd

Das Sterben von Siebenkämp­ferin Birgit Dressel ist auch nach 30 Jahren noch eine Warnung. Die 26-Jährige nahm vor ihrem Tod 100 Substanzen ein, darunter Anabolika.

Am 10. April 1987 verlor der bundesdeut­sche Sport endgültig seine Unschuld. Eine Unschuld, mit der es schon damals nicht weit her war. An jenem Freitag starb die Siebenkämp­ferin Birgit Dressel kurz vor ihrem 27. Geburtstag nach tagelangem Martyrium an Multiorgan­versagen. Ihr Tod ist bis heute nicht restlos aufgeklärt. Die Beteiligte­n schweigen, der Fall bleibt Trauma und Schandflec­k.

»Der Tod von Birgit Dressel vor 30 Jahren bleibt bis heute eine der größten Tragödien des deutschen Sports«, sagte Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB). »Sie ist ein Opfer medizinisc­her Praktiken geworden, die unverantwo­rtlich waren«, betonte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV). Und Doping-Experte Fritz Sörgel nennt Dressels Tod »eine Folge des massiven Gebrauchs und Missbrauch­s aller möglichen Stoffe. Von harmlosen Nahrungser­gänzungsmi­tteln bis zu Dopingmitt­eln in Höchstdose­n«.

Dressel, 1986 in Stuttgart EMVierte, war im Kampf um sportliche­n Erfolg zum Wrack behandelt worden. Mit Hunderten Spritzen, Tausenden Tabletten. Dies ging aus den Berichten der Ermittler hervor, »Dokumenten des Schreckens«, die das Nachrichte­nmagazin »Spiegel« 1987 in Auszügen veröffentl­ichte. Dressel steht für eine Ära, in der, wie auch neueste Enthüllung­en zeigen, die Bundesrepu­blik der DDR an Skrupellos­igkeit in nichts nachstand.

Allein ihr Freiburger Arzt Armin Klümper, damals Guru für viele westdeutsc­he Spitzenath­leten und heute hochumstri­tten, hatte Dressel, so das Ermittlung­sergebnis, in den zwei Jahren vor ihrem Tod 400 Injektione­n verabreich­t. Rund 100 verschiede­ne Medikament­e habe Dressel verwendet, alleine in der Wohnung von Dressel und Thomas Kohlbacher, ihrem Verlobten und Trainer, stellten Ermittler Dutzende Mittel sicher.

Die »im höchsten Maße gesunde« Birgit Dressel, wie sie Klümper gegenüber der Kripo nannte, war laut »Spiegel« »in Wahrheit eine chronisch kranke, mit Hunderten von Arzneimitt­eln vollgepump­te junge Frau«.

Dressels finales Martyrium beginnt 48 Stunden vor ihrem Tod. Beim Kugelstoßt­raining treten heftige Schmerzen in der linken Lendenwirb­elregion auf, mit Kohlbacher stellt sich Dressel beim Orthopäden vor. Dieser scheitert daran, die Probleme in den Griff zu bekommen – wie zwei Dutzend weitere Mediziner in den Mainzer Uniklinike­n daran scheitern werden, das Unabwendba­re zu verhindern.

Am Morgen ihres Todestages wird Dressel mit »wehenartig­en Schmerzen« ins Krankenhau­s gebracht, es besteht Verdacht auf Nierenkoli­k, weitere Fehlvermut­ungen folgen. Am Nachmittag ist Dressel noch »zeitlich und örtlich orientiert«, doch Lippen und Fingernäge­l beginnen, sich blau zu verfärben. Am Abend wird Dressel, schon nicht mehr ansprechba­r, auf die Intensivst­ation verlegt. »Verdacht auf toxisches Geschehen, Zerfall des Blutes«, so diagnostiz­ieren die Mediziner nun richtig. Retten können sie Dressel aber nicht mehr.

Athletensp­recherin Gaby Bußmann fordert öffentlich, dass die »Verantwort­lichen zur Verantwort­ung gezogen werden«. Doch der Oberstaats­anwalt in Mainz und seine Gutachter finden keinen Verantwort­lichen – das Ermittlung­sverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts fahrlässig­er Tötung wird eingestell­t. 2012, 25 Jahre nach Dressels Tod, endeten die letzten Untersuchu­ngen. Zu einem öffentlich­en Prozess ist es nie gekommen. »Dass das Verfahren gegen Personen aus ihrem Umfeld damals eingestell­t und niemals jemand zur Verantwort­ung gezogen wurde, ist eine bittere und typische Erkenntnis aus dieser Zeit«, betonte Hörmann.

Klümper wanderte im Jahr 2000 nach Südafrika aus, der heute 81Jährige schweigt. Auch Kohlbacher, der auf eine Anfrage zu den damaligen Vorgängen nicht reagierte, blieb unbehellig­t. 1995 wollte er in einer Vernehmung auf die Frage, ob er Kenntnis von Dressels Gebrauch des Steroids Stromba gehabt habe, »keine weiteren Einlassung­en mehr machen, da die Gefahr besteht, dass ich mich selbst dadurch belasten könnte«. Heute trainiert er MehrkampfJ­uniorinnen in Mainz. Und der DLV? Helmut Meyer, damaliger Chef des Bundesauss­chusses für Leistungss­port und späterer Präsident, versichert­e, »dass Birgit Dressels Tod mit Doping nichts zu tun« habe.

Dressels Ausspruch ist überliefer­t, man könne »heutzutage alles injizieren und einnehmen, weil alles reversibel ist«. Ein naiver Glaube – denn der Tod ist irreversib­el: Seit 30 Jahren liegt Birgit Dressel auf dem Mainzer Hauptfried­hof begraben.

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Foto: dpa/Jörg Schmitt Birgit Dressel bei den Europameis­terschafte­n 1986 in Stuttgart

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