Mit Hunderten von Arzneimitteln vollgepumpt
Vor 30 Jahren starb die gedopte Siebenkämpferin Birgit Dressel an multiplem Organversagen
Das Sterben von Siebenkämpferin Birgit Dressel ist auch nach 30 Jahren noch eine Warnung. Die 26-Jährige nahm vor ihrem Tod 100 Substanzen ein, darunter Anabolika.
Am 10. April 1987 verlor der bundesdeutsche Sport endgültig seine Unschuld. Eine Unschuld, mit der es schon damals nicht weit her war. An jenem Freitag starb die Siebenkämpferin Birgit Dressel kurz vor ihrem 27. Geburtstag nach tagelangem Martyrium an Multiorganversagen. Ihr Tod ist bis heute nicht restlos aufgeklärt. Die Beteiligten schweigen, der Fall bleibt Trauma und Schandfleck.
»Der Tod von Birgit Dressel vor 30 Jahren bleibt bis heute eine der größten Tragödien des deutschen Sports«, sagte Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). »Sie ist ein Opfer medizinischer Praktiken geworden, die unverantwortlich waren«, betonte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Und Doping-Experte Fritz Sörgel nennt Dressels Tod »eine Folge des massiven Gebrauchs und Missbrauchs aller möglichen Stoffe. Von harmlosen Nahrungsergänzungsmitteln bis zu Dopingmitteln in Höchstdosen«.
Dressel, 1986 in Stuttgart EMVierte, war im Kampf um sportlichen Erfolg zum Wrack behandelt worden. Mit Hunderten Spritzen, Tausenden Tabletten. Dies ging aus den Berichten der Ermittler hervor, »Dokumenten des Schreckens«, die das Nachrichtenmagazin »Spiegel« 1987 in Auszügen veröffentlichte. Dressel steht für eine Ära, in der, wie auch neueste Enthüllungen zeigen, die Bundesrepublik der DDR an Skrupellosigkeit in nichts nachstand.
Allein ihr Freiburger Arzt Armin Klümper, damals Guru für viele westdeutsche Spitzenathleten und heute hochumstritten, hatte Dressel, so das Ermittlungsergebnis, in den zwei Jahren vor ihrem Tod 400 Injektionen verabreicht. Rund 100 verschiedene Medikamente habe Dressel verwendet, alleine in der Wohnung von Dressel und Thomas Kohlbacher, ihrem Verlobten und Trainer, stellten Ermittler Dutzende Mittel sicher.
Die »im höchsten Maße gesunde« Birgit Dressel, wie sie Klümper gegenüber der Kripo nannte, war laut »Spiegel« »in Wahrheit eine chronisch kranke, mit Hunderten von Arzneimitteln vollgepumpte junge Frau«.
Dressels finales Martyrium beginnt 48 Stunden vor ihrem Tod. Beim Kugelstoßtraining treten heftige Schmerzen in der linken Lendenwirbelregion auf, mit Kohlbacher stellt sich Dressel beim Orthopäden vor. Dieser scheitert daran, die Probleme in den Griff zu bekommen – wie zwei Dutzend weitere Mediziner in den Mainzer Unikliniken daran scheitern werden, das Unabwendbare zu verhindern.
Am Morgen ihres Todestages wird Dressel mit »wehenartigen Schmerzen« ins Krankenhaus gebracht, es besteht Verdacht auf Nierenkolik, weitere Fehlvermutungen folgen. Am Nachmittag ist Dressel noch »zeitlich und örtlich orientiert«, doch Lippen und Fingernägel beginnen, sich blau zu verfärben. Am Abend wird Dressel, schon nicht mehr ansprechbar, auf die Intensivstation verlegt. »Verdacht auf toxisches Geschehen, Zerfall des Blutes«, so diagnostizieren die Mediziner nun richtig. Retten können sie Dressel aber nicht mehr.
Athletensprecherin Gaby Bußmann fordert öffentlich, dass die »Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden«. Doch der Oberstaatsanwalt in Mainz und seine Gutachter finden keinen Verantwortlichen – das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung wird eingestellt. 2012, 25 Jahre nach Dressels Tod, endeten die letzten Untersuchungen. Zu einem öffentlichen Prozess ist es nie gekommen. »Dass das Verfahren gegen Personen aus ihrem Umfeld damals eingestellt und niemals jemand zur Verantwortung gezogen wurde, ist eine bittere und typische Erkenntnis aus dieser Zeit«, betonte Hörmann.
Klümper wanderte im Jahr 2000 nach Südafrika aus, der heute 81Jährige schweigt. Auch Kohlbacher, der auf eine Anfrage zu den damaligen Vorgängen nicht reagierte, blieb unbehelligt. 1995 wollte er in einer Vernehmung auf die Frage, ob er Kenntnis von Dressels Gebrauch des Steroids Stromba gehabt habe, »keine weiteren Einlassungen mehr machen, da die Gefahr besteht, dass ich mich selbst dadurch belasten könnte«. Heute trainiert er MehrkampfJuniorinnen in Mainz. Und der DLV? Helmut Meyer, damaliger Chef des Bundesausschusses für Leistungssport und späterer Präsident, versicherte, »dass Birgit Dressels Tod mit Doping nichts zu tun« habe.
Dressels Ausspruch ist überliefert, man könne »heutzutage alles injizieren und einnehmen, weil alles reversibel ist«. Ein naiver Glaube – denn der Tod ist irreversibel: Seit 30 Jahren liegt Birgit Dressel auf dem Mainzer Hauptfriedhof begraben.