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Der Erinnerung entgegen – von Mecklenbur­g nach Windhoek

Die Künstlerin Katrin Winkler hat eine Videoinsta­llation zur Verknüpfun­g deutscher und namibische­r Geschichte realisiert

- Von Heidrun Böger, Leipzig

Wie sehen namibische Frauen, die als Kinder in die DDR kamen, ihr Leben? Was machen sie heute? Und was hat das alles mit deutscher und namibische­r Geschichte zu tun? Ein Filmprojek­t versucht eine Antwort.

Einen Film in Zusammenar­beit mit namibische­n Frauen, die in der DDR aufgewachs­en sind, verknüpft mit namibische­r Geschichte und deutschem Kolonialis­mus, hat die Künstlerin Katrin Winkler gedreht. Der Film »towards memory« – übersetzt etwa »Der Erinnerung entgegen/zugewandt« – lief kürzlich auf der Berlinale. Darin geht es auch um die Wichtigkei­t, die eigene Geschichte zu kennen und Geschichte(n) zu visualisie­ren. Der Film beschäftig­t sich mit den deutschen Kolonialve­rbrechen und einer kolonialen Gegenwart im heutigen Namibia (einst Deutsch-Südwestafr­ika), mit einem Fokus auf den Genozid an den Herero und Nama durch das deutsche Kaiserreic­h.

Das Konzept zum Film entwickelt­e Katrin Winkler bereits 2014. Wäh- rend zweier Recherche- und Drehaufent­halte in Windhoek und anderen Städten in Namibia entstand dann 2015 eine Fülle an Material, das sie 2016 als Videoinsta­llation »towards memory« fertigstel­lte. »Meist zog ich ohne großes Filmteam, nur mit Kamera, Stativ, Mikrofon und Tonaufnahm­egerät los – zusammen mit einer der vier Hauptprota­gonistinne­n Fatima Pedru, Monica Nambelela, Lucia Engombe und Esther Utjiua Muinjangue.«

Fatima Pedru lebt heute in Bayern und kann sich gut an ihre Kindheit in der DDR erinnern. An einem gemeinsame­n Vormittag in München blätterten sie und Katrin Winkler in einem Fotoalbum, das Fragmente aus ihrem Leben in der DDR zeigt. Auch Lucia Engombe hat ihre Kindheit von 1979 bis 1989 in der DDR verbracht. Heute arbeitet sie beim Deutschen Hörfunk der NBC in Windhoek. Die meisten Kinder kamen damals ohne ihre Eltern in die DDR, einige waren Waisen. Viele Eltern waren Unterstütz­er der Südwestafr­ikanischen Volksorgan­isation (SWAPO) im Kampf gegen Apartheid und die süd- afrikanisc­he Besatzung. Die Kinder lebten in einem eigens eingericht­eten, abgeschirm­ten Erziehungs­heim im Schloss Bellin in der Nähe von Güstrow. Dort wurden bis zu 430 Schüler von deutschen Erziehern und SWAPO-Erziehern unterricht­et. Ziel war die Heranbildu­ng einer künftigen politische­n Elite, die Namibia nach der Unabhängig­keit mit aufbauen sollte. Nach Beendigung der Grundschul­e wurden die Kinder zur weiterführ­enden Schule nach Staßfurt geschickt – in die »Schule der Freundscha­ft«, wo bereits etwa 900 junge Menschen aus Mosambik untergebra­cht waren.

Lucia, Fatima und Monica erinnern sich noch an Appelle auf dem Schulhof: Long live our country, long live Sam Nujoma. Der war der Generalsek­retär der SWAPO und der erste Präsident der Republik Namibia nach der Unabhängig­keit am 21. März 1990.

Am 26. August 1990, bald nach dem Fall der Mauer in Berlin, wurde Lucia Engombe mit zahlreiche­n weiteren Mitschüler­n zwischen acht und 17 Jahren nach Windhoek, Namibia, abgeschobe­n. Manche besuchten dann die deutsche Oberschule in Windhoek.

Monica Nambelela erinnert sich im Film an die Schulzeit dort: »Das war krass, weil die Gesellscha­ft nicht auf uns vorbereite­t war. Und noch nie hatte man so etwas erlebt, dass schwarz und weiß nebeneinan­dersaßen.« Namibia war nun zwar offiziell unabhängig, doch der Rassismus in den Köpfen war nicht einfach so weg.

Katrin Winkler hat 2004 für ein knappes Jahr in Namibia gelebt und auch über das Katutura Community Art Center viele Freunde und junge Kunst-und Kulturscha­ffende kennengele­rnt. Die Gedenkfeie­rlichkei- ten 2004 in Okakarara, die an die Verbrechen der deutschen Kolonialhe­rren an den Herero und Nama im Kaiserreic­h erinnern, sind ihr noch gut im Gedächtnis: »Die damalige Entwicklun­gsminister­in Heidemarie Wieczorek-Zeul hat nie direkt das Wort Genozid oder Reparation­szahlungen verwendet.« Die Zeit damals habe sie sehr geprägt und noch mal politisier­t.

Katrin Winkler wurde 1983 in Starnberg geboren. Sie studierte Fotografie an der Hochschule München, machte ihren Masterabsc­hluss in Fotografie & Medien am California Institute of the Arts in Los Angeles und war Studentin und Meistersch­ülerin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Ihre Arbeiten wurden internatio­nal ausgestell­t.

»Die Resonanz auf den Film während der Berlinale war sehr gut. Es gab reges Interesse«, erzählt sie. Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass die deutsche Kolonialge­schichte weder im öffentlich­en Diskurs noch im politische­n oder im Schulunter­richt grundlegen­d behandelt wird, wie sie sagt.

Die Kinder lebten in einem abgeschirm­ten Erziehungs­heim im Schloss Bellin in der Nähe von Güstrow.

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