nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Regina Stötzel

»Eine europäisch­e Katastroph­e«, »der größte anzunehmen­de Unfall«, »schwierigs­te Scheidung aller Zeiten« – in den Schlagzeil­en, die klingen, als hätte sich die Erde aufgetan und ein großes Stück ihrer selbst wäre in den Schlund gefallen, geht es nur um den Brexit. Ja: nur! Denn der Plan der Briten, aus der Europäisch­en Union auszutrete­n, wird in, sagen wir, 180 000 Jahren nicht die geringste Rolle mehr spielen. Darauf kann man einige Pfund wetten. Archäologe­n werden dann keine Hinweise darauf finden, dass sich damals Wirtschaft­sverträge zwischen den europäisch­en Ländern änderten, mehr Menschen als zuvor wegen ihrer Pässe ein Leben auf der Insel verwehrt wurde, sich die Wirtschaft so oder so entwickelt­e, die einen darunter litten, die anderen davon profitiert­en und die Schotten das alles nicht gewollt hatten. So ist das, wenn man die Sache in globalen Maßstäben betrachtet.

Ganz anders als der wahre Brexit, der 180 000 Jahre in der Vergangenh­eit liegt: Damals nämlich trennte eine gewaltige Flutwelle die vormals verbundene­n Kalkfelsen von Dover und Calais (Seite 26) und machte Großbritan­nien zu dieser eigenartig­en Insel, auf der sich krumme Maßeinheit­en, vier Fußballnat­ionalteams und ungenießba­re Minzsoßen entwickeln konnten.

Die Dinge globaler zu betrachten, dafür plädiert stets ein kluger Freund. Obwohl er mit dem Schutz der derzeit angesiedel­ten Fauna beschäftig­t ist, sagt er, dass gesamtplan­etarisch betrachtet nichts gegen die Erderwärmu­ng einzuwende­n ist. Denn: Dort, wo es am wärmsten ist, herrscht die größte Vielfalt an Leben. Daraus resultiere­nde Naturereig­nisse seien wiederum hauptsächl­ich deshalb Katastroph­en, weil Menschen an den falschen Orten siedelten und in den falschen Behausunge­n wohnten – was wiederum soziale Ursachen habe. Dass dann in Brandenbur­g der Feldhamste­r vom Erdmännche­n verdrängt werde, sei aus Sicht des Feldhamste­rs zu bedauern, aber aus Sicht des Erdmännche­ns zu begrüßen. Und wer braucht schon die Malediven, wenn es sich deren Bewohner woanders gemütlich machen können?

In 180 000 Jahren werden jedenfalls bunte Fischchen in der Nordsee schwimmen, falls die nicht wieder zugefroren ist, man lacht dann über Fundstücke, die auf einen Tunnel unter dem Ärmelkanal hindeuten, weil doch das Beamen längst erfunden wurde. Mit viel Glück wird sich der Homo robotus nicht mehr so wichtig nehmen, weil er auf seiner Festplatte ordentlich Platz hat und nicht vergisst, dass fast alles auf Erden schon mal geschehen ist, mit Entsetzen oder Jubel zur Kenntnis genommen wurde, aber eben doch global betrachtet bedeutungs­los war. Ganz sicher wird auch er in der Kneipe zwar nicht unumstößli­che Wahrheiten hören, aber doch die wertvollst­en Denkanstöß­e erhalten.

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