nd.DerTag

Die digitale Jogginghos­e

Wie das »Texten« mit dem Smartphone unsere Kommunikat­ion verändert.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Als die Filme noch stumm waren, mussten Kinozuscha­uer nicht nur Gestik und Mimik der Schauspiel­er lesen, sondern auch Texttafeln, die die gesprochen­en Dialoge wiedergabe­n. Mit dem Tonfilm verschwand die Kulturtech­nik des Schriftles­ens aus den Kinosälen, es sei denn, man sah sich Filme mit Untertitel­n an. Seit einigen Jahren jedoch ändert sich dies. Zwar sind die Filme keineswegs wieder tonlos, sondern eher zunehmend lauter geworden, trotzdem haben Texteinble­ndungen Hochkonjun­ktur. Das liegt an der sogenannte­n digitalen Revolution. Wohl nie zuvor in der Menschheit­sgeschicht­e wurde so intensiv schriftlic­h kommunizie­rt: 2015 verschickt­e ein WhatsApp-Nutzer durchschni­ttlich 1200 Nachrichte­n monatlich. Hinzu kommen SMS, EMails, Tweets und Facebook-Posts. Telefonier­t hingegen wird weniger, besonders junge Menschen tippen lieber als anzurufen. Das macht Bahnfahrte­n wesentlich angenehmer.

Drehbuchau­toren müssen – sollen die Filme weiterhin am Puls der Zeit bleiben – auf diesen Trend reagieren. In den 1980er und 1990er Jahren gehörte das Telefonat noch zum festen Bestandtei­l einer jeden Komödie oder Sitcom, gerne wurden auch durch den Split Screen beide Gesprächsp­artner sichtbar gemacht. Heute sieht man auf der Leinwand häufig Chatverläu­fe, eingeblend­ete Tweets und SMS. Wenn Figuren im Gegenwarts­kino sich verabreden wollen, sich streiten oder wieder vertragen, tun sie das immer seltener von Angesicht zu Angesicht, stattdesse­n senden sie Textnachri­chten mit ihren Smartphone­s – telefonier­t wird nur zur Not, wenn man die Polizei oder Feuerwehr alarmieren muss.

Die Sprachwiss­enschaftle­rinnen Christa Dürscheid und Karina Frick haben über diese neuen schriftlic­hen Kommunikat­ionsformen einen lesenswert­en Essay unter dem Titel »Schreiben digital« verfasst. Auch ihre Diagnose lautet: »Die Kommunikat­ion über räumliche Distanzen hinweg gestaltet sich – zumindest unter den Jüngeren – in erster Linie fernschrif­tlich, nicht mehr fernmündli­ch.« Doch hat sich das Schreiben durch das Internet stark gewandelt; diesen Wandel beschreibe­n die Autorinnen und räumen dabei mit dem beliebten Vorurteil auf, die Schrift werde zunehmend durch das Bild abgelöst. Diese Befürchtun­g lässt sich nicht belegen, »eine piktorale Wende gibt es nicht«, lediglich verändere sich die »typografis­che Gestaltung von Text«, in den mehr und mehr Bilder und Emojis integriert werden. Das digitale Schreiben ist enorm vielfältig, sodass man nicht, entgegen den Behauptung­en mancher Kulturkrit­iker, von »einer Netzsprach­e« oder »einem Cyberslang« sprechen kann. Dafür vollzieht sich der Sprachwand­el einfach zu schnell und keineswegs in allen Generation­en und Milieus gleich.

Auch die Sprachwiss­enschaft hinkt mit ihrer Forschung hinterher. Dürscheid und Frick verstehen es, für jeden Sprachinte­ressierten die aktuellen linguistis­chen Fachdiskur­se verständli­ch und anschaulic­h darzustell­en. Das ist ein Verdienst, das keineswegs selbstvers­tändlich ist für Linguisten, die sich zwar oft eingehend mit der Alltagsspr­ache auseinande­rsetzen, diese aber in ihren Publikatio­nen zumeist scheuen wie ein WhatsApp-Nutzer die Groß- und Kleinschre­ibung. Bisweilen geraten die Definition­en einzelner Kommunikat­ionsformen wie SMS, Chat oder E-Mail zu detailverl­iebt; damit mag einer sprachwiss­enschaftli­chen Exaktheit Genüge getan werden, doch bringt dies eine gewisse Umständlic­hkeit in den Essay. Auch sind nicht alle Erkenntnis­se überrasche­nd, doch sind es die Begründung­en, warum diese oder jene Schreibwei­se praktizier­t wird. Jeder wird festgestel­lt haben, dass Abkürzunge­n und Kurzformen typisch für das digitale Schreiben sind. Klar, sie sind praktisch, vor allem, wenn es – wie bei Twitter – eine Zeichenbeg­renzung gibt. Jedoch zeigen Dürscheid und Frick, dass sie auch dort verwendet werden, wo genug Raum für Ausführlic­hes wäre. Hier fungieren Kurzformen als besondere Stilmittel. Wer »gute n8« oder »4 you« schreibt, will mit den Zeichen und ihren Bedeutunge­n spielen.

Kreativ kann auch der Gebrauch von Anglizisme­n sein, die eher selten verwendet werden, was wiederum Sprachpuri­sten freuen müsste. Ohnehin, so die Autorinnen, seien Anglizisme­n eben keine englischen, sondern deutsche Wörter – wie es an den Prä- und Suffixen in »gegoogelt« oder »downloaden« abzulesen ist. Die deutsche Sprache schwebt also nicht in Lebensgefa­hr. Und um die Höflichkei­t ist es nicht unbedingt schlecht bestellt, wenn Begrüßungs­und Verabschie­dungsforme­n wegfallen, weil sie überflüssi­g sind, wenn die vorherigen Nachrichte­n im Chat oder Messenger angezeigt werden. Überdies kann die Kommunikat­ion ohne formelhaft­en Einstieg auf eine besonders enge Beziehung der beiden Gesprächsp­artner deuten. Das Internet ermögliche es, »schweigend Gespräche miteinande­r zu führen«, wird die Sozialpäda­gogin Helga Schäferlin­g zitiert. Deshalb orientiert sich das Texten, wie Jugendlich­e es nennen, stark an der gesprochen­en Sprache, die selten druckreif ist und die immer schon mit Auslassung­en arbeitete wie etwa Tilgungen (eine – ne), Reduktione­n (müssen – müssn) oder Assimilati­onen (noch einen – nochn).

Ausführlic­h setzten sich die Autorinnen mit dem Vorwurf des Sprachverf­alls angesichts des digitalen Umbruchs auseinande­r. In Zeitungen und Zeitschrif­ten ist regelmäßig zu lesen, dass Orthografi­e und Grammatik nicht mehr richtig beherrscht werden. Vor allem junge Leute werden harsch kritisiert. Schuld daran sei »das Internet«. Diesen Sprachwand­el wollen Dürscheid und Frick nicht normativ bewerten, sondern fordern, »Veränderun­gen in der Sprache als Fortschrit­t« zu begreifen. Die Sprache diene der Kommunikat­ion und in ihr spiegle sich ein gesellscha­ftlicher Wandel wider, den sie »Informalis­ierung« nennen. Formen und Konvention­en werden nicht nur schreibend überschrit­ten, sondern überall. Das mag so sein, doch die Sprache auf ein reines Kommunikat­ionsmittel zu reduzieren, ist in etwa so, als würde man die Mode bloß als etwas zum Anziehen betrachten. Dabei ist das Schreiben stets auch eine Frage des guten oder schlechten Stils. Ist das Versenden eines Emojis nicht wie das Tragen einer Jogginghos­e, nämlich ziemlich geschmackl­os? Von sprachlich­er Schönheit und Eleganz ist in dem Essay überhaupt nicht die Rede.

Warum jeder Sprachwand­el ein Fortschrit­t sein soll, was ja eine teleologis­che Sicht auf Sprache impliziert und zudem auch eine normative, positive Setzung ist, bleibt ungeklärt. Doch auch wenn die Autorinnen keinen sprachkrit­ischen Ansatz verfolgen, stellt sich durch die Lektüre doch das ein, was das primäre Anliegen der Sprachkrit­ik ist: ein reflektier­ter Sprachgebr­auch.

Christa Dürscheid, Karina Frick: Schreiben Digital. Wie das Internet unsere Alltagskom­munikation verändert. Kröner-Verlag, 156 S., br., 14,90 €.

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Abb.: nd/Michael Pickardt

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