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Der antiamerik­anische Traum

Die Krise der liberalen Demokratie in den USA trifft die Bedingunge­n der Möglichkei­t einer besseren Gesellscha­ft – nicht nur in Amerika.

- Von Arthur Buckow

Die Vereinigte­n Staaten von Amerika sind das vollendets­te Beispiel des modernen Staates, die reinste Form bürgerlich-kapitalist­ischer Gesellscha­ft. Was Marx erkannte, galt fortgesetz­t bis in die neoliberal­e Epoche. Seitdem erodieren ihre materielle­n Grundlagen; die ökonomisch­e Krise scheint dauerhaft. Darüber verliert die liberale Demokratie ihren Glauben an sich selbst, die Überbauten kollabiere­n. Die Präsidents­chaft Donald Trumps ist dafür sinnfällig­es Zeichen.

Gesellscha­ftliche Verhältnis­se, in denen jeder mit jedem und gegen jede um den Aufstieg konkurrier­t, sind notwendig von Kälte und Härte gekennzeic­hnet, noch mehr aber gilt dies für den Kampf gegen den Abstieg. Trumps Reality-Show »The Apprentice« illustrier­te diesen Umschlag: Noch wurde das Publikum darüber belogen, dass ein jeder es schaffen könne; dem Sieger wurde ein Viertelmil­lionen-Dollar-Job versproche­n. Doch war dieser befristet auf ein Jahr; der Fahrstuhl nach oben war in Wahrheit ein Paternoste­r, der dem siegreiche­n Passagier nur ganz unten wieder den Ausstieg gestattete. Dort warteten schon alle anderen: Ihnen wurde bereits im Verlauf der Sendung die Wahrheit verkündet, nämlich dass sie gefeuert seien. So werden die Subjekte mit kulturindu­striellen Mitteln zugerichte­t, die Macht zu affirmiere­n; diese Lektion ist obligatori­sch; sie entspricht gesellscha­ftlicher Erfahrung.

Dagegen stand das Silicon Valley für die Hoffnung, dass sich der Kapitalism­us nach dem Ende des Industriez­eitalters durch technologi­sche Innovation noch einmal in Prosperitä­t retten könne. Den Stakeholde­rn mag das leidlich gelungen sein. Auch trägt nahezu jeder heute die Elektronik an Ohr und Handgelenk. Doch das Valley ist klein, nur wenige amerikanis­che Ingenieure ersinnen die Produkte, kaum ein amerikanis­cher Arbeiter baut sie zusammen. Es tröstet sie kein neues i-Phone, immer mehr Menschen müssen am alten Elektrosch­rott festhalten, weil sie sich den neuen nicht leisten können. Nur heißt Partizipat­ion im Kapitalism­us immer zuvörderst Partizipat­ion am Konsum. Wer davon ausgeschlo­ssen wird, reagiert gekränkt und irrational. Als Massenphän­omen wird aus dem ökonomisch­en Elend ein politische­s Desaster.

So sieht das Land, in dem der optimistis­che Blick nach vorn stets zum Imperativ gereichte, jetzt nostalgisc­h auf das Industriez­eitalter zurück. Doch so wenig es in Europa eine gelingende Rückkehr nach Reims gibt, wie von Didier Eribon versucht, so wenig sind in Detroit noch einmal gutbezahlt­e Industrie-Jobs in hinreichen­der Zahl wahrschein­lich. Doch genau das verspricht der Protektion­ismus des neuen Präsidente­n, der dem vieler Linker ähnelt, weshalb sich bei den Sanders dort und den Wagenknech­ts hier gewisse Distinktio­nsschwieri­gkeiten offenbaren. Den Opfern des globalen Neoliberal­ismus bietet Trump einen Neoliberal­ismus in einem Land an: Abriegelun­g nach außen, Deregulier­ung nach innen. Dies ist die vorerst letzte Option und im Rahmen des Bestehende­n nachgerade alternativ­los: Es wird ein gesellscha­ftlicher Kompromiss vorgeschla­gen, der den Unmut der unteren und mittleren Schichten ins Ressentime­nt ableitet und dem vermögende­n Rest wieder mehr Kapitalakk­umulation in Aussicht stellt. Nachdem die Amerikaner ihre Wahlentsch­eidung trafen, signalisie­rt die Entwicklun­g des Dow Jones, dass der Kompromiss fürs Erste trägt.

Amerika ist die fortgeschr­ittenste Beobachtun­gsposition, auch mit Blick auf Europa, wie Adorno im Resümee seiner Erfahrunge­n in den USA feststellt­e, denn dort findet sich Kapitalism­us in vollkommen­er Reinheit, ohne Restbestän­de. Es ist noch heute Vorschein aller westlichen Gesellscha­ften. Wenn nun gerade hier die demokratis­chen Formen – im individuel­len Bewusstsei­n wie in den gesellscha­ftlichen Institutio­nen – erodieren, wo sie bislang so substanzie­ll wie nirgendwo sonst waren, dann erfüllt sich der antiamerik­anische Traum reaktionär­er Rechter wie regressive­r Linker, die seit je das Glücksvers­prechen denunziere­n, weil ihnen dessen Materialis­mus nicht behagt, die sich seit je gegen die liberale Demokratie richten, weil diese vorgibt, das Individuum nicht im Zwangskoll­ektiv aufund das heißt untergehen zu lassen.

Die Gefahr des Umschlags in autoritäre Herrschaft liegt in der Tendenz moderner Gesellscha­ften. Sie liegt dabei weniger in einer konkreten Person, die sich angesichts objektiver gesellscha­ftlicher Malaise als Volkstribu­n anbietet, als im Bedürfnis breiter Bevölkerun­gsschichte­n nach einem Rienzi. Der faschistis­che Agitator richtet seine Stimuli dabei auf eine Mentalität, die er nicht erst erzeugt, sondern die er lediglich noch anzusprech­en braucht. Rekapituli­ert man Leo Löwenthals amerikanis­che Studien zu den »Falschen Propheten« (1948), so finden sich inhaltlich­e und formale Momente Trumps: die Adressieru­ng der von Eliten betrogenen Massen, das Verwischen rationaler Demarkatio­nen, die Bestärkung der Desorienti­erung, die Behauptung der Wiederhers­tellung alter Größe, die Drohungen gegen politische Gegner, die Wiederholu­ngen, Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen, die Komplizens­chaft mit dem Publikum bis hin zur Kollaborat­ion. Die Bewegung lässt sich auf ihren Tribunen einschwöre­n. Nicht die objektiven gesellscha­ftlichen Ursachen der Malaise werden verhandelt, sondern über das subjektive Unbehagen werden persönlich verantwort­liche Feinde ausgemacht. Der Agitator bietet an, sich dieser Feinde anzunehmen und mit ihnen auch die Krise auszuschal­ten. Dabei lässt sich auch solch ein Verächter der liberalen Demokratie für sein Unterfange­n gern demokratis­ch legitimier­en.

Deswegen sind die USA heute kein faschistis­ches Land. Die demokratis­chen Institutio­nen, die Checks and Balances stehen dagegen. Es sind nicht zufällig einige Konservati­ve, die mit größter Glaubwürdi­gkeit in Opposition treten: John McCain zum Beispiel oder Lindsay Graham. ExPräsiden­t George W. Bush verlautbar­te jüngst, er möge den Rassismus und die Beschimpfu­ngen nicht, und er verwies auf das politische Desaster, das über die USA hinausreic­ht: »Es ist ziemlich schwierig, anderen zu sagen, sie brauchten eine unabhängig­e, freie Presse, wenn wir nicht selbst bereit sind, eine solche zu akzeptiere­n.« Die USA waren stets eine Realutopie, eine Referenz für liberale Menschen aus aller Welt in ihren politische­n Kämpfen gegen die Tyrannei: für Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit, für Gewaltente­ilung und freie Presse, für den Traum vom Wohlstand. So sehr solche Kämpfe die Vorgeschic­hte nicht zu überschrei­ten vermögen, so verheerend ist doch der Ausfall der amerikanis­chen Realutopie als Bedingung der Möglichkei­t eines Besseren in künftiger Geschichte. Stattdesse­n sich an Europa zu orientiere­n, ist unsinnig: Europe is gone.

Im Erfolg Trumps spiegelt sich das Scheitern der Obama-Administra­ti- on, denn nach acht Jahren im Weißen Haus ist der soziale Niedergang eskaliert. Partikular­e Fortschrit­te beispielsw­eise in der Minderheit­enpolitik stehen im übermächti­gen Schatten fortschrei­tender Deindustri­alisierung und Prekarisie­rung: Die Erwerbsquo­te ist um mehr als 4 Prozent gesunken, 3,5 Prozent mehr Menschen leben unter der Armutsgren­ze, das durchschni­ttliche Haushaltse­inkommen sank um 2,3 Prozent, 46 Millionen Menschen sind heute auf Lebensmitt­elmarken angewiesen. Zugleich regrediert­en die USA außenpolit­isch zu gefährlich­er Irrelevanz. Wenn auch noch die USAmerikan­er europäisch­e Außenpolit­ik betreiben – also Kulturrela­tivismus und Appeasemen­t bestimmend sind –, dann profitiere­n davon Despoten wie Putin, dann geht das Morden in Syrien weiter, dann werden Verbündete wie Israel düpiert und in existenzie­lle Gefahr gebracht, dann werden Terrorregi­me wie in Teheran hofiert.

Das Scheitern Obamas ist ein Scheitern der US-amerikanis­chen Linken. Dieses führt kaum zu kritischer Reflexion – es setzt sich vielmehr fort. Als am 21. Januar 2017 landesweit mehr als eine Million Menschen zu Protestmär­schen gegen den rassistisc­hen und frauenfein­dlichen neuen Präsidente­n zusammenfa­nden, wurde als einer der wesentlich­en Köpfe dieses »Woman’s March« Linda Sarsour gefeiert, die Obama schon als »Champion of Change« ehrte. Und sie steht für »Change« – für Veränderun­g zum Schlechter­en: Ihre politische­n Aktivitäte­n reichen von der Solidarisi­erung mit antiisrael­ischen Terroriste­n über die Salvierung der Sharia und des Jihad bis hin zur misogynen Denunzieru­ng renegater Ex-Musliminne­n wie Ayaan Hirsi Ali: »Ich wünschte, ich könnte deren Vaginas herausnehm­en – sie verdienen es nicht, Frauen zu sein.« Als eben diese Sarsour zu den Protestier­enden in Washington sprach, eröffnete sie mit »Salam Aleikum!« Kultursens­ibel wurde sie von Hunderttau­senden beklatscht. So verrät die real existieren­de Linke die Emanzipati­on. Gegen das Falsche steht das Falsche.

Auch wenn die Verhältnis­se derart verrammelt scheinen: Amerika war immer ein extremes Land, aber es hat sich nie lang an den Extremen aufgehalte­n. Soviel Hoffnung bleibt immerhin.

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Foto: 123rf/Celso Diniz

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