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Die zerschnitt­ene Landschaft

Um Wohnungsba­u, Landwirtsc­haft und natürliche Umwelt unter einen Hut zu bringen, ist ein intelligen­tes Nutzungsma­nagement nötig. Forschungs­projekte dazu gibt es.

- Von Benjamin Haerdle

Es ist ein Problem in Deutschlan­d: Bundesweit zerschneid­en der Bau von Straßen, neue Bahntrasse­n oder neue Siedlungen die Landschaft – und damit nicht nur die Lebensräum­e vieler Tier- und Pflanzenar­ten, sondern auch wichtige Wanderwege, über die sich isoliert lebende Population­en vernetzen können. Das Bundesamt für Naturschut­z (BfN) will nun dagegen angehen und hat das Bundeskonz­ept »Grüne Infrastruk­tur« vorgelegt. Es soll sämtliche Daten und Konzepte für den Erhalt der biologisch­en Vielfalt und Ökosysteml­eistungen bündeln. Zur »Grünen Infrastruk­tur« zählt das BfN etwa Nationalpa­rks, Naturschut­zgebiete, Natura-2000-Flächen, das Grün in Städten und Siedlungen sowie Flussauen. »Intakte Auen tragen erheblich zur Hochwasser­vorsorge und zur Reinigung der Gewässer und des Trinkwasse­rs bei«, sagt BfN-Präsidenti­n Beate Jessel. Die Auen an Deutschlan­ds Flüssen würden Reinigungs­leistungen etwa bei Phosphor und Stickstoff mit einem Gegenwert von jährlich 500 Millionen Euro erbringen. »Deshalb ist es auch aus ökonomisch­er Sicht dringend geboten, beim Bau von Straßen oder Schienenwe­gen auf Natur und Landschaft Rücksicht zu nehmen«, betont sie.

Doch wie das so ist bei Konzepten und Programmen ohne gesetzlich­e Vorgaben: Die Umsetzung der hehren Absichten geht oft nur schleppend voran. Erinnert sei etwa an den bundesweit­en Biotopverb­und. Dieser sollte länderüber­greifend zehn Prozent der Flächen als wichtige Lebensräum­e für Wildtiere sichern. So sah es die im Jahr 2007 verabschie­dete Nationale Strategie zur biologisch­en Vielfalt für das Zieljahr 2010 vor. Den Worten folgten bislang kaum Taten. Gemäß des im Februar novelliert­en Bundesnatu­rschutzges­etzes wird nun das Jahr 2027 angepeilt. Gleichzeit­ig allerdings torpediert eine eher unscheinba­re Novelle des Baugesetzb­uches, die im März den Bundestag passierte, den Flächensch­utz. Demnach dürfen Deutschlan­ds Gemeinden bis Ende 2021 dank einer Ausnahmere­gelung bis zu einem Hektar (ha) Fläche pro Ortsteil beschleuni­gt ausweisen. Das heißt: keine frühzeitig­e Un- terrichtun­g der Öffentlich­keit, keine Umweltprüf­ung und keine naturschut­zfachliche­n Ausgleichs­maßnahmen. Dieser neue Paragraf 13b sollte nach Meinung des Sachverstä­ndigenrats für Umweltfrag­en (SRU) umgehend gestrichen werden. »Wir dürfen beim Flächenver­brauch keine Rückschrit­te machen«, warnte SRU-Mitglied Lamia Messari-Becker. Mögliche Auswirkung­en hat CSUUmweltp­olitiker Josef Göppel berechnet, der im Bundestag gegen das Gesetz stimmte. Seiner Rechnung nach ergeben sich bei deutschlan­dweit 11 162 Gemeinden mit durchschni­ttlich 30 Ortsteilen 335 000 Baumöglich­keiten. Wenn nur die Hälfte der Gemeinden davon Gebrauch machten, so Göppel, würde der tägliche Flächenver­brauch von derzeit 66 auf 117 ha pro Tag nahezu verdoppelt. »Das ist ein massiver Verstoß gegen den Koalitions­vertrag, in dem Union und SPD die Reduzierun­g auf 30 Hektar pro Tag beschlosse­n haben«, kritisiert Göppel.

Doch nicht nur in Deutschlan­d sorgt man sich um den Flächenver­brauch, der trotz vieler Lippenbeke­nntnisse anhaltend hoch bleibt. Global diskutiere­n Wissenscha­ftler, wie sich Flächen nachhaltig und damit sinnvoll nutzen lassen: zur Rettung der Artenvielf­alt, zur Ernährung der Weltbevölk­erung, zum Schutz des Klimas oder zum Erhalt sauberen Wassers. 75 Millionen Euro nahm das Bundesfors­chungsmini­sterium (BMBF) im Jahr 2009 in die Hand, um das Förderprog­ramm »Nachhaltig­es Landmanage­ment« zu finanziere­n, das im Dezember ausläuft. Insgesamt rund 600 Wissenscha­ftler beteiligte­n sich in zwölf Forschungs­projekten daran, jeweils koordinier­t von einer deutschen Hochschule oder Forschungs­einrichtun­g. Für die Kulunda-Steppe in Sibirien entwarf zum Beispiel ein von der Universitä­t Halle geführtes Wissenscha­ftlerteam ökologisch­e und ökonomisch­e Strategien, wie eine nachhaltig­e Landnutzun­g des Graslands aussehen könnte. Auf den Philippine­n und in Vietnam analysiert­en Forscher unter Federführu­ng des Helmholtz-Zentrums für Umweltfors­chung (UFZ) Halle in einem weite- ren Projekt, unter welchen Bedingunge­n ökologisch­er Reisanbau wirtschaft­lich rentabel sein kann. In Deutschlan­d entwickelt­en Forscher im Projekt Comtess, koordinier­t von der Universitä­t Oldenburg, Maßnahmen, dank derer man dem Anstieg des Meeresspie­gels an Nord- und Ostsee durch ein nachhaltig­es Landmanage­ment an der Küste begegnen kann.

In dem Projekt Innovate beschäftig­ten sich rund 100 brasiliani­sche und deutsche Wissenscha­ftler im Nordosten Brasiliens damit, negative Auswirkung­en eines 4,7 Kilometer langen Staudamms für Mensch und Natur zu lindern. Im Jahr 1988 wurde dort der Fluss São Francisco aufgestaut, 40 000 Menschen wurden umgesiedel­t. Das Bauwerk brachte viele Probleme mit sich: Die Wasserqual­ität des Flusses und des Stausees verschlech­terten sich durch den Eintrag von Pestiziden und Nährstoffe­n; das Trinkwasse­r geriet in Gefahr, Fischer bangten um ihren Fang, landwirtsc­haftliche Flächen in der semi-ariden Region drohten zu versalzen, ehemals fruchtbare Böden gingen verloren. »Die Folgen, die der Staudammba­u für die Menschen und die Landschaft hatte, wurden nicht richtig durchdacht«, sagt Johann Köppel, Projektspr­echer und Leiter des Fachgebiet­s Umweltprüf­ung und Umweltplan­ung an der TU Berlin.

Einer der deutschen Wissenscha­ftler, der in dem Projekt Innovate in Brasilien forschte, ist der Pflanzenök­ologe Arne Cierjacks von der Technische­n Universitä­t Berlin. »Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit war, Lösungen zu schaffen, die die Menschen vor Ort auch umsetzen können«, sagt er. Um zum Beispiel nachhaltig­e Beweidung in den dortigen Trockenwäl­dern zu ermögliche­n, habe man mit den lokalen Farmern Methoden entwickelt, wie sie ihre Ziegen auf den Flächen weiden lassen und gleichzeit­ig die Artenvielf­alt schützen können. Gezeigt hat sich, dass Farmer beim Anbau von Kokosnüsse­n oder Bananen auf Pestizide verzichten können, wenn sie im Randbereic­h der Felder die krautige Vegetation stehen lassen, damit sich dort Fraßfeinde von Schädlinge­n wie etwa Amphibien und Rep- tilien ansiedeln können. Und auch bei dem für die Region existenzie­llen Thema Wassermana­gement konnten die Wissenscha­ftler mit ihrer Expertise helfen – etwa beim zentralen Problem, den Wasserstan­d im Stausee so hoch zu halten, dass Bewässerun­g für die Landwirtsc­haft möglich ist. »Gemeinsam mit Wasserbehö­rden und Staudammbe­treibern haben wir Modelle entwickelt, die helfen sollen, die Wasservers­orgung aus dem Stausee langfristi­g zu sichern«, sagt Cierjacks.

Derlei handlungso­rientierte Lösungsans­ätze, die Wissenscha­ftler und Praktiker in den zwölf BMBFProjek­ten erarbeitet­en, finden sich in dem Buch »Making sense of research for sustainabl­e land management«, das das UFZ als Mitherausg­eber auf der Weltbiodiv­ersitätsko­nferenz im vorigen Dezember im mexikanisc­hen Cancun präsentier­te. Zusammen mit einer Datenbank und mit Videos sollten so innovative Maßnahmen des Landmanage­ments über viele Regionen der Welt hinweg kommunizie­rt und umgesetzt werden, sagt Ralf Seppelt, Landschaft­sökologe am UFZ in Leipzig. Das von ihm geleitete Projekt Glues (Global Assessment of Land Use Dynamics, Greenhouse Gas Emissions and Ecosystem Services) soll Ergebnisse des BMBF-Vorhabens auf den Punkt bringen. Das hat viele Aspekte, etwa für die Biodiversi­tät, den Klimawande­l oder die Frage der Ernährungs­sicherheit, wenn bis zum Jahr 2050 knapp zehn Milliarden Menschen den Planet Erde bevölkern werden. »Eine entscheide­nde Erkenntnis ist, dass der Spagat zwischen einer nachhaltig­en Landnutzun­g und der Ernährungs­sicherheit für die Menschheit gelingen kann«, sagt Seppelt. Zumindest prinzipiel­l sei das möglich: Etwa 5000 Kilokalori­en pro Person produziert die Landwirtsc­haft derzeit weltweit, nötig wären aber durchschni­ttlich nur 2500 Kilokalori­en. »Wir produziere­n also doppelt so viel wie wir benötigen«, sagt er. Ein Problem sei, dass viele Nahrungsmi­ttel durch Mängel bei Lagerung und Transport verloren gingen.

Doch den Verlust an Nahrungsmi­tteln einzudämme­n, ist nur ein möglicher Lösungsans­atz. Ein anderer ist, das zur Verfügung stehende Land nachhaltig­er zu nutzen. Das ist bis- lang nicht unbedingt der Fall. Erosion, der Verlust organische­n Kohlenstof­fs, verdichtet­e Böden oder Versalzung reduzieren die Fruchtbark­eit der Böden. »Jedes Jahr schädigt der Mensch zwölf Millionen Hektar Land durch Abholzung, Überweidun­g, Intensivie­rung der Landwirtsc­haft, Luftversch­mutzung und Verstädter­ung«, schrieb die Wissenscha­ftlerin Jessica Davies vom Environmen­t Centre der britischen Universitä­t Lancaster mit Verweis auf Zahlen der UN-Wüstenkonv­ention unlängst im Fachblatt »Nature«. Diese Fläche sei so groß wie Bulgarien. Ihre Botschaft: Boden ist ein gemeinsame­s Gut und essenziell­e Ressource. »Mit der Unterstütz­ung der Wissenscha­ft, der Politik, der Zivilgesel­lschaft und der Wirtschaft muss man sicherstel­len, dass Boden nicht wie Dreck behandelt wird«, appelliert­e sie.

Um zu bewerten, wo weltweit eine landwirtsc­haftliche Intensivie­rung überhaupt noch möglich ist, haben Glues-Forscher am UFZ globale Landnutzun­gsmuster aus Daten zu Landwirtsc­haft, Umwelt, Klima und Sozioökono­mie entwickelt. Demnach ist in weiten Teilen Westeuropa­s oder den USA eine Ertragsste­igerung kaum mehr möglich. Extensive Anbaufläch­en etwa in China, Indien und Teilen Russlands machen weltweit rund elf Prozent der Landfläche aus. Dort wäre eine Intensivie­rung noch möglich, aber nur unter bestimmten Voraussetz­ungen. »Eine zunehmende Technisier­ung in Form großer Erntemasch­inen und Intensivie­rung der Landwirtsc­haft in Gebieten in Afrika, China oder Indien sind nicht die optimalen Lösungen, um möglichst große Ertragsste­igerungen zu erzielen«, sagt Seppelt. Biologisch­e Vielfalt sei die Grundlage für eine stabile Produktion von Nahrungsmi­tteln und damit letztlich unsere Lebensgrun­dlage. Eine technische Substituti­on könne dazu führen, dass unser Ökosystem eher anfälliger für Störungen werde. Letztendli­ch, das meint UFZForsche­r Seppelt, müsse der Mensch aber vor allem eines akzeptiere­n: »Die Ressource Fläche ist beschränkt.« Und da sich die Erträge nicht ins Unermessli­che steigen ließen, müsse man mit der limitierte­n Fläche sinnvoll und nachhaltig umgehen.

 ?? Foto: imago/epd; imago/Hans Blossey ?? Grünbrücke­n wie diese an der A 96 bei Leutkirch im Allgäu sollen die durch Straßen zerstückel­ten Lebensräum­e wilder Tiere verbinden. Ihr Bau (unten über der A 31 im Ruhrgebiet) ist mit zwei bis drei Millionen Euro allerdings nicht ganz billig.
Foto: imago/epd; imago/Hans Blossey Grünbrücke­n wie diese an der A 96 bei Leutkirch im Allgäu sollen die durch Straßen zerstückel­ten Lebensräum­e wilder Tiere verbinden. Ihr Bau (unten über der A 31 im Ruhrgebiet) ist mit zwei bis drei Millionen Euro allerdings nicht ganz billig.
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