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Wegen einer deutschen Dummheit

Vor 100 Jahren erklärten die Vereinigte­n Staaten dem deutschen Kaiserreic­h den Krieg.

- Von Horst Diere

Am 4. August 1914 proklamier­te der US-amerikanis­che Präsident Woodrow Wilson die Neutralitä­t der USA im gerade ausgebroch­enen Ersten Weltkrieg. Rund zweieinhal­b Jahre später, am 6. April 1917, verkündete derselbe den Kriegseint­ritt der ökonomisch stärksten imperialis­tischen Macht auf Seiten der Entente. Mit ihrer anfänglich­en Neutralitä­tspolitik entsprach die Wilson-Administra­tion einerseits der in der US-amerikanis­chen Öffentlich­keit verbreitet­en Stimmung gegen eine Beteiligun­g am Krieg und räumte anderersei­ts der einheimisc­hen Wirtschaft die Möglichkei­t zu profitable­n Rohstoff- und Rüstungsli­eferungen formal an alle kriegführe­nden Staa- ten ein. Angesichts der britischen Blockade der deutschen Küsten lief das jedoch de facto auf Begünstigu­ng der Ententesta­aten hinaus. Das Geschäft mit dem Krieg boomte. USRüstungs­industrie und Großbanken strichen horrende Gewinne ein.

Bei der wirtschaft­lich immer engeren Verzahnung der USA mit den Mächten der Entente konnte eine direkte Beteiligun­g der USA am Krieg auf Dauer jedoch kaum ausbleiben. Schon Ende 1916 hatte US-Staatssekr­etär Lansing in seinem Tagebuch notiert: »Diese Zeit kommt, und sie kommt wegen einer deutschen Dummheit ...« Den von den kriegsbere­iten herrschend­en Kreisen der USA erwarteten Anlass zum Eingrei- fen in Europa lieferte das deutsche Kaiserreic­h mit der Ankündigun­g des uneingesch­ränkten U-Boot-Kriegs.

Schon als am 7. Mai 1915 ein deutsches U-Boot den englischen Passagierd­ampfer »Lusitania«, der im Vorschiff übrigens Waffen und Munition geladen hatte, ohne Warnung torpediert­e und 1198 Menschen, darunter 128 US-Staatsbürg­er starben, rief dies in den USA große Erregung und den scharfen Protest Washington­s hervor. Um einen Bruch mit den USA zu vermeiden, ließ die deutsche Regierung den Handelskri­eg mit U-Booten einschränk­en. Doch als sich im gleichen Jahr bei der Versenkung des englischen Passagierd­ampfers »Arabic« und 1916 bei der Torpedieru­ng des französisc­hen Kanaldampf­ers »Sussex« ähnliches wiederholt­e, drohten die USA mit dem Abbruch der diplomatis­chen Beziehunge­n zu Deutschlan­d.

Je kritischer sich die Gesamtkrie­gslage für Deutschlan­d und seine Verbündete­n gestaltete, umso mehr drängte die deutsche Militärfüh­rung bei Kaiser Wilhelm II. und Reichskanz­ler Bethmann Hollweg darauf, alle Einschränk­ungen für den U-BootKrieg ohne Rücksicht auf einen eventuelle­n Kriegseint­ritt der USA aufzuheben. Im uneingesch­ränkten UBoot-Krieg sah die Oberste Heeresleit­ung unter Generalfel­dmarschall v. Hindenburg und General Erich Ludendorff das entscheide­nde Mittel, die »letzte Karte«, Großbritan­nien in die Knie zu zwingen und den Krieg doch noch siegreich zu beenden. Diese Illusion gründete sich auf die abenteuerl­ichen »Berechnung­en« der deutschen Marineleit­ung, wonach die rund 100 deutschen U-Boote monatlich 600 000 BRT (Bruttoregi­stertonnen) Schiffsrau­m versenken würden und dadurch Großbritan­nien bereits nach fünf Monaten besiegt und zum Frieden gezwungen wäre. Die Auswirkung­en eines Kriegseint­ritts der USA, womit man rechnen musste, schätzte man gering ein. So verbürgte sich der Chef des Admiralsta­bs, Henning v. Holtzendor­ff, dafür, dass kein Amerikaner das europäisch­e Festland betreten würde.

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