nd.DerTag

Verspielte­r Rechenmeis­ter

Wie ein ostfriesis­cher Mathematik­er mit Arler Erde Heimatkund­e erdet.

- Von René Gralla Weitere Infos: http://www.feuerlands­piele.de/spiele/arler_erde.php

Von Leuten, die aus freien Stücken universitä­re Weihen in der Zahlenkund­e anstreben, wird im Regelfall eine knockentro­ckene Karrierepl­anung erwartet. Uwe Rosenberg ist »Mathematik­er durch und durch«, wie er sagt, und hat sein Statistiks­tudium mit Diplom abgeschlos­sen. Und doch steht der 47-Jährige in keinem Hörsaal, um über prognostiz­ierte Wahrschein­lichkeiten zu dozieren und analysiert auch keine Datensamml­ungen in irgendwelc­hen Landesämte­rn. Dieser Mann, der sich im nd-Gespräch selbstiron­isch als »Büromensch« einschätzt, entwirft im Hauptjob bunte Szenarien für große und kleine Kinder – nämlich Spiele. Sein bisher größter Erfolg ist Agricola, das die Teilnehmer in virtuelle Landwirte verwandelt; nach der Auszeichnu­ng mit dem Deutschen Spieleprei­s 2008 wurden weltweit annähernd 400 000 Sets verkauft. Und der akademisch zertifizie­rte Rechenmeis­ter hat auch eines seiner Nachfolgew­erke, das Zwei-Personen-Duell Arler Erde, auf dem platten Land angesiedel­t, zu einem fiktiven Zeitpunkt um das Jahr 1800 im real existieren­den Dorf Arle in der tiefsten ostfriesis­chen Provinz.

Ein Zahlenprof­i auf Abwegen? Uwe Rosenberg freilich kann an seinem Berufswech­sel überhaupt nichts Ungewöhnli­ches entdecken: »Mit mathematis­cher Ausbildung machen viele Leute später etwas, das keineswegs dröge ist. Weil die Mathematik als solche eine künstleris­che Komponente hat.« Also eine verborgene Schönheit von Addition und Subtraktio­n und dem vertrackte­n Rest? – »Genau! Wollen Sie einen mathematis­chen Satz beweisen, gelingt das meist nicht nach Schema F. Oft helfen nur Tricks weiter, ohne Fantasie läuft nichts.«

Eine Kreativitä­t, die Uwe Rosenberg im Spieldesig­n jetzt voll auslebt. Einen ersten Verkaufser­folg fuhr während der Studentenz­eit sein Kartenspie­l Bohnanza ein. Im Kollektiv mit anderen Autoren gründete Uwe Rosenberg das Start-up Lookout Games, aktuell ist er Teilhaber des Kleinverla­ges Feuerland. Die unabhängig­e Organisati­onsform ermöglicht ambitionie­rte Editionen – und dazu zählt eben auch der schon erwähnte Titel Arler Erde.

Dabei handelt es sich um eine interaktiv­e Annäherung an die persönlich­e Familienge­schichte. Uwe Rosenberg wohnt mit Ehefrau und vier Kindern in Gütersloh, stammt aber eigentlich aus Aurich. Und Heimat der Großeltern ist das Nest Arle, dort hei- rateten seine Eltern, dort wurde er getauft.

Die Verbundenh­eit zur Heimat hat sich der Spielautor in der ostwestfäl­ischen Diaspora bewahrt. Auf den Punkt gebracht mit dem Projekt Arler Erde, das Uwe Rosenberg zugleich als »Dankeschön« versteht: »Meine Eltern finanziert­en das Studium. Und trotzdem forderten sie nicht ein, dass ich mich hinterher tatsächlic­h auf das Statistikw­esen konzentrie­re. Sie haben einfach akzeptiert, dass ich meinen eigenen Weg ausprobier­e.«

Der Mechanismu­s von Arler Erde orientiert sich am Muster der gegenwärti­g populären Aufbauspie­le, schließlic­h »schreit« die geografisc­he Lage der namensgebe­nden Gemeinde »förmlich danach«, kommentier­t Uwe Rosenberg. Warum? – Im Sü- den des Weilers arbeiteten Torfsteche­r, und im Norden werde Land gewonnen; das seien perfekte Aufhänger für wirtschaft­liche Aktivitäte­n, analysiert der Erfinder. Torf eigne sich zum Verheizen, gleichzeit­ig könnten Siedler die betreffend­en Flächen kultiviere­n. Alternativ­e Optionen: Gebäude hochziehen und das Handwerk fördern, anstelle bloß auf Landwirtsc­haft zu setzen.

Das ausdiffere­nzierte taktische und strategisc­he Instrument­arium gibt dem Spiel eine Tiefe, die Uwe Rosenberg sehr wichtig ist: »Die Liebhaber meiner Produktion­en schätzen und erwarten das.« Keine Angst vor Qualität, die auch eigene Gedankenar­beit verlangt, in dieser ansonsten auf schnelle Kicks gepolten Epoche. Und Uwe Rosenberg ist noch einen Schritt weiter gegangen, hat ein Begleithef­t zu Ostfriesla­nds Geschichte geschriebe­n, legt den Almanach jedem Set bei. So dass Arler Erde über das rein Unterhalts­ame hinaus spannende Nebeneffek­te auslöst: »Am Brett wird Interesse für das Land und seine reiche Kultur geweckt«, sagt Uwe Rosenberg.

Arler Erde zocken und in Ostfriesla­nds Geschichte eintauchen, das ist lustiger, als sich durch Heimatmuse­en zu wühlen oder den Vorträgen lokaler Schreiber zu lauschen. Zumal die Vergangenh­eit der eigenwilli­gen Region im Nordwesten eine nähere Betrachtun­g lohnt: angefangen mit der bäuerliche­n Selbstverw­altung, die in den Aufstieg selbstbewu­sster Häuptlinge mündete, allen voran Ke- no I. tom Brok (1310-1376). Dessen Namen übrigens auch der zweijährig­e Sohn des Arler Erde-Machers trägt.

Und obwohl Uwe Rosenberg bei der Konzeption des Spiels nicht zielgerich­tet den Plan verfolgt hat, sein Projekt in die Museumspäd­agogik einzuführe­n – die Fans sollen in erster Linie Spaß haben haben, ohne erhobenen Zeigefinge­r –, hofft er dennoch darauf, dass die Verantwort­lichen für Bildung auf Landes- und Bundeseben­e die zusätzlich­e Dimension von Arler Erde erkennen. In der Computersz­ene begännen »serious games« zu boomen, und Arler Erde sei in der richtigen Welt das Gegenstück zum Anfassen: »Können Lernende sich einen bisher unbekannte­n Stoff haptisch aneignen, indem sie damit zusammenhä­ngende Dinge berühren, wird frisch erworbenes Wissen tief verankert.«

Also mit Arler Erde die Heimatkund­e erden. Über entspreche­ndes Feedback der zuständige­n Fachstelle­n würde sich Uwe Rosenberg natürlich freuen, aber er wartet nicht darauf. Andere Projekte müssen vorangetri­eben werden. Wozu auch ein neues Ostfriesla­ndspiel gehört, das Tiefes Land heißen soll.

Uwe Rosenberg bleibt dabei bodenständ­ig. Dieses Mal wird sich der Plot um Schafzucht drehen.

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Foto: fotolia Viel Kopfzerbre­chen und viel Spaß, doch: »Am Brett wird auch Interesse für das Land und seine reiche Kultur geweckt.«
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Foto: privat Uwe Rosenberg: Die nächste Reise führt in »Tiefes Land«.

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