Die neueste Rechte
Frauke Petry mimt die oberste Gegnerin des Antisemitismus – was, wenn sie obsiegte?
Die AfD-Frontfrau will ihre Führungsrolle behaupten. Dazu muss sie versuchen, die Partei aus der Ecke der traditionellen Rechten zu führen. Was würde passieren, wenn dies gelänge? Ein Gedankenspiel.
Die AfD ist im relativen Sinkflug – und Frauke Petry zeigt eine interessante Reaktion. In diversen Stellungnahmen der jüngsten Tage inszeniert sich die Galionsfigur der Rechtspartei als Speerspitze gegen den Antisemitismus. Die AfD, sagt sie, sei ein »Garant jüdischen Lebens«. Der Antisemitismus sei »auf dem Vormarsch« und die »Altparteien« schwiegen. »Antisemitismus wird gesellschaftsfähig, Ursachen und Täter dürfen nicht verschleiert werden.«
Aufgehängt sind diese Statements an drei jüngeren Meldungen. Petry ist bemüht, die Kritik des Jüdischen Weltkongresses (WJC) an der AfD zurückzuweisen. Der hatte die Partei unlängst – mit Blick auf Björn Höcke – als »Schande für Deutschland« bezeichnet. Darüber hinaus geht es ihr um einen Vorfall an einer Berliner Schule, an der islamische Schüler einen 14-jährigen jüdischen Klassenkameraden massiv gemobbt haben sollen. Ferner kommentierte Petry so eine unter anderem darauf Bezug nehmende Initiative jüdischer Berliner, die mit Blick auf den Wahlkampf eine Zunahme antisemitischer Äußerungen und Übergriffe anprangert und dieselbe mit Muslimen in Verbindung bringt.
Welchen Sinn ergibt Petrys neue Pose? Sie unterfüttert so erstens ihre Auseinandersetzung mit Höcke, der sich etwa am Beispiel des Holocaustmahnmals oder in Solidaritätsadressen an die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck im Spiel mit dem harten, klassischen Antisemitismus übt – und Petrys Führungsanspruch in Frage stellt. Diesbezüglich liegt der instrumentelle Zweck von Petrys Pose auf der Hand. Schließlich hatte sie 2016, als ihr Widersacher Jörg Meuthen hieß, im Stuttgarter AfD-Streit die »Vermittlerin« gegeben, statt einen Bruch mit dem antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon voranzutreiben. Auch deswegen ist dieser nicht nur weiterhin Mitglied, sondern auch Parteitagsdelegierter.
Zweitens – und interessanter – geht es Petry um eine konkrete Wählergruppe: Bekannt ist, dass die AfD gezielt »russlanddeutsche« Einwanderer anspricht. Darüber hinaus adressiert sie nach einem Bericht der »Welt« aber auch verstärkt gerade ältere Juden und Jüdinnen in Seniorenresidenzen. Beide Gruppen fallen bekanntlich gar nicht so selten in eins, da seit 1990 eine starke russische Einwanderung in jüdische Gemeinden stattgefunden hat. Sie lassen sich zumindest in Teilen auch mit dem gleichen Thema ansprechen, nämlich der »Islamisierung« durch Flüchtlinge.
Der Zentralrat der Juden tritt diesen Avancen entgegen. Laut »Welt« verwies Vizepräsident Abraham Lehrer auf ein Programmpapier, in dem für Muslime ein Verbot der Beschneidung und des Schächtens gefordert werde. Diesbezüglich habe Lehrer gewarnt, »in fünf Minuten« könnte damit auch die jüdische Religion gemeint sein. Das ist untertrieben: An- ders als für alle das rechtsstaatlich undenkbar.
Den Kern der Ansprache aber – Antisemitismus als Einwanderungsfrage – hat Zentralratspräsident Josef Schuster im 2016 selbst artikuliert, als er sich besorgt über die verstärkte Migration aus islamischen, »mit Israel verfeindeten« Ländern äußerte. Und auch die Abfuhr, die sich Petry nun bei Charlotte Knobloch von der israelitischen Kultusgemeinde holte, klingt zwar hart – »Verlogenheit«! »Dreistigkeit«! –, ist aber weich.
Denn unter dem Strich sagte Knobloch nur, es komme nicht erst mit den Flüchtlingen Antisemitismus ins Land, sondern Muslime in Deutschland hätten schon vorher dazu geneigt. Das würde Petry im Zweifel unterschreiben. Ansonsten attackiert Knobloch die AfD für »Holocaustrelativierung« und »Nähe zur Naziszene«. Das aber trifft, zumindest nach derzeitiger Selbstdarstellung und Positionierungslogik, gerade nicht Petry, sondern Höcke.
Nun sind hierzulande seit dem Holocaust jüdische Senioren als Zielgruppe zahlenmäßig nicht sehr relevant. Doch muss man Petry zutrauen, das allgemeine strategische Po- tenzial eines »pro-jüdischen« Antiislamismus zusehen. Setzte sich in der AfD eine solche, an das Modell von Geert Wilders angelehnte Positionierung durch, wäre die Partei, wie Knoblochs hilflose Kritik zeigt, viel schwieriger anzugreifen. Nach innen verspricht solcher Antiislamismus zugleich geschichtspolitische Entspannung: Indem der Antisemitismus als
Der Antiislamismus bietet sich als thematische Klammer einer wirklich neuen Rechten an, weil er den alten Gegensatz zwischen ihr und dem Liberalismus aufweichen kann.
fremd identifiziert wird, fällt der Bezug auf die Geschichte leichter. Antiislamismus fungiert so als nachträglicher »Beweis« der rechten Auffassung, nach der Faschismus und Holocaust einen »Bruch« mit derselben markieren. Dass diese symbolische Ausbürgerung des Antisemitismus verlogen ist – er stammt aus Europa und wurde erst später, auch im Nahostkonflikt, in den arabisch-islamischen Raum importiert – tut dem Effekt keinen Abbruch.
Vor allem aber eröffnet sich so eine Perspektive auf eine tatsächlich »neue« Rechte. In Deutschland wird dieser Ausdruck stets auf »Vordenker« Marke »Schnellroda« gemünzt, also die Kreise um Publikationen wie die »Sezession«. Doch wird dort nichts »Neues« gedacht, sondern ein Neuaufguss der völkisch-ständischen Rhetorik der »konservativen Revolution« der 1920er Jahre serviert. Im Kern richtete sich diese nicht nur, aber besonders in Deutschland dominante alte Rechte gegen den Liberalismus. Kommunismus und Sozialismus galten als dessen Exzesse, nicht Antipoden. Nur so konnte im auf diese Ideen bauenden Hitlerfaschismus »der Jude« sowohl Liberalismus als auch Kommunismus »verkörpern«. Die ultimative Klammer solcher Weltbilder ist folgerichtig Antisemitismus.
Erst vor diesem Hintergrund wird die ideengeschichtliche Reichweite einer konsequenten Einsetzung des Islam als neue Inkarnation des infiltrierenden Anderen deutlich: Antiis- lamismus bietet sich als Klammer einer wirklich neuen Rechten an, weil er den alten Gegensatz zwischen ihr und dem Liberalismus aufweichen kann. Vor der Niederlandewahl skizzierte der Politologe Meindert Fennema diese »neue Rechte« jenseits von »Schnellroda« am Beispiel von Wilders: Sie sei gerade nicht, wie jetzt viele Kritiker schreiben, ein neuerlicher Höhepunkt des historischen Antiliberalismus, sondern eher das Gegenteil: »Nicht gegen die Juden, sondern für die Juden. Nicht gegen Amerika, sondern für Amerika. Nicht gegen den Kapitalismus, sondern für den Kapitalismus.«
So wäre ein bereites Spektrum anzusprechen. Zugespitzt reicht es vom norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik – dessen Wutausbrüche gegen den »islamischen Terroristen Arafat« und die Israel angeblich einseitig dämonisierenden Massenmedien auch in der linksliberalen »Jungle World« hätten stehen können – bis hin zu sogar manchen Gruppen, die heute gegen die AfD demonstrieren. Die geschichtsrevisionistische Rede vom »Islamofaschismus«, auf die der Anti-Antisemitismus Petrys baut, entstammt ja nicht der traditionellen Rechten, sondern einer selbst ernannten Linken. Ein Beispiel für »linken« Antiislamismus bietet ein Text einer Gruppe »No Tears for Krauts«, die 2016 in Thüringen gegen Höcke mobilisierte. Dort heißt es unter anderem, die Kritik der AfD als »islamophob« sei »demagogisch«. Opposition zu »dieser verrohten und verrohenden Religion« werde in Deutschland »abgewehrt und als ›antimuslimischer Rassismus‹ denunziert«. Der AfD wirft man gerade das Fehlen einer substanziellem Islamkritik vor. Wie die aussähe, bleibt offen. In der dann vorgebrachten Engführung mit den »Schlächtern von IS, Boko Haram, Al Nusra« ist sicher kein Ansatz linker Religionskritik.
Natürlich liegen Welten zwischen Breivik und der »Jungle World«. Es gibt auch keine Gedankenkontaktschuld: Wer denkt, was andere gedacht haben, muss nicht die gleichen Folgerungen ziehen. Wer A sagt, muss nicht B sagen. Doch darf man fragen, ob etwa die Gruppe »Keine Tränen für Deutsche« noch Gründe fände, gegen die AfD ins Feld zu ziehen, wenn Höcke aus der Partei gedrängt würde und neben Petry dort die Lesbe Alice Weidel den Ton angäbe? Oder ein jüdisches Mitglied, von denen es mehr gibt, als viele denken?
Die Feministin Alice Schwarzer wäre dann womöglich nicht abgeneigt. Und der deutsch-jüdische Polemiker Henryk M. Broder wäre ziemlich sicher dabei. Jüngst faselt er in seinem Blog in bestem AfD-Sound von einer »Dekonstruktion« Deutschlands durch Integrationsministerin Aydan Özoguz und sorgt sich um die Schweinebauch- und Alkoholversorgung: »Werde ich bei meinem Metzger weiterhin Spare Ribs kaufen können? Und Wein im Supermarkt?«
Ob ein solcher Schnitt in der AfD durchsetzbar ist, kann man bezweifeln. Doch zu kompensieren wäre das dann verlorene Terrain vermutlich schon. Je länger Petry darüber nachdenkt, desto attraktiver muss ihr das scheinen. Selbst wenn als ultimativer Treppenwitz dann womöglich ein gewisser Bernd Lucke anklopfte.