nd.DerTag

Bernd I., König an der Saale

Christoph Ruf über Halles Oberbürger­meister und sein Amtsverstä­ndnis aus dem Mittelalte­r

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2015 wurde das Hallenser Fanprojekt vom DFB ausgezeich­net, 2016, zum zehnjährig­en Jubiläum, gab es jede Menge Lobesworte und Dankesschr­eiben. 2017 wurde es von einem Stadtoberh­aupt zerschlage­n, das vielen Hallensern seit geraumer Zeit vorkommt, als sei es der Realität entrückt. Dass Dr. Bernd Wiegand sich allerdings mittlerwei­le im 16. Jahrhunder­t wähnt, das war den meisten dann doch neu. Nach Gutsherren­art hat Wiegand jedenfalls den Leiter des Fanprojekt­s von dort wegbeorder­t. Warum, wurde ihm nicht gesagt. Dafür wurde ihm mitgeteilt, dass er sich nicht in der Angelegenh­eit zu äußern habe. Kluge wurde ein Maulkorb umgehängt.

Wieso aber maßregelt ein Oberbürger­meister einer deutschen Mittelstad­t jemanden, dessen Arbeit doch ganz offensicht­lich weitaus erfolgreic­her war als die des Oberbürger­meisters selbst? Der Hallesche FC, der die Versetzung Kluges kritisiert hat, galt früher bundesweit als eine der Hochburgen von Gewalt und Neonazismu­s. Beide Übel sind noch heute hin und wieder zu beobachten – wie könnte es auch anders sein, wenn die Realität den Takt vorgibt und nicht das Wunschdenk­en von Politikern wie Bernd Wiegand, deren Bezug zum echten Leben sich ganz offensicht­lich auf Shake-Hands in Wahlkampfz­eiten beschränkt?

Doch dass heute rund ums Hallenser Stadion eine völlig andere Atmosphäre als noch vor zehn, 15 Jahren herrscht, kann man schlichtwe­g nicht bestreiten, wenn man irgendwo am Kopf Augen und Ohren hat.

Das Fanprojekt war unter Steffen Kluge ein Treffpunkt für die Leute, denen der HFC schon zu Oberligaze­iten Ost und Oberligaze­iten West am Herzen lag. Das Fanprojekt war ein Ort, an dem diskutiert wurde – nicht selten richtig kontrovers. Auch ich hatte dort mal eine Lesung, bei der es offen und ehrlich zuging. Ich hatte nicht viel von »Halle« erwartet, umso positiver überrascht wurde ich.

Voraussetz­ung dafür, dass ein Dialog auch gelingt, ist bei einer Lesung letztlich das Gleiche, das auch gute Sozialarbe­it ausmacht. Das Ganze beruht auf Vertrauen. Was im geschlosse­nen Raum gesprochen wird, bleibt im geschlosse­nen Raum. Genau aus dem Grund gibt ein Sozialpäda­goge, der sich zum Informande­n von Polizei oder Politik

macht, seinen Job als Sozialpäda­goge genau in diesem Moment auf, das Zeugnisver­weigerungs­recht wäre die logische Konsequenz. Beim DFB und – auch wenn Ultras das nicht gerne hören – bei vielen Polizeiche­fs ist das längst verstanden worden. In Teilen der Politik allerdings noch längst nicht.

Möglicherw­eise fragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich gerade, was Kluge verbrochen haben muss, um den Job, den er mit Herz und Seele gemacht hat, zu verlieren. Das weiß niemand, Wiegand spricht ja nicht. Aber es gibt einen Verdacht. Denn Kluge hat bei einer Sitzung ei- nen Satz gesagt, der dem OB übel aufgestoße­n ist. Kluge hat – nachdem er die Fortschrit­te in der Gewaltpräv­ention beschriebe­n hat – festgestel­lt, dass man Gewalt wohl nie ganz aus dem Fußball eliminiere­n wird, dass eine deutliche Abnahme (wie in Halle) aber schon ein Fortschrit­t sei, weshalb sich das Fanprojekt weiter gegen Gewalt engagieren werde. Klingt banal und logisch? Aber nicht für Wiegand.

Der hat Kluge offenbar genau deswegen strafverse­tzt. Nach der gleichen Logik, nach der man die Leiterin einer Entzugskli­nik bestrafen müsste, wenn sie sagt, dass es wahrschein­lich auch in zehn Jahren noch Alkoholike­r geben wird.

Noch schlimmer als dieses Politikver­ständnis ist allerdings das Amtsverstä­ndnis des Monarchen von der Saale, der keinen Grund sieht, seine Willkürakt­ion vielleicht gnädigerwe­ise mal zu erläutern. Weder das Land Sachsen-Anhalt noch den DFB, die beide zusammen mit der Stadt das Projekt finanziere­n, informiert­e seine Durchlauch­t. Protestnot­en, unter anderem von der Anti-Rassismus-Organisati­on »Nie wieder«, beantworte­te er nicht einmal. Oder ist die Antwort auf die mehrere Wochen alten Schreiben etwa noch mit der Postkutsch­e unterwegs? Im 17. Jahrhunder­t war die Kommunikat­ion halt ein bisschen untertouri­ger.

Wiegand mag so einiges fehlen, das man im 21. Jahrhunder­t als Leiter einer Verwaltung braucht. Was ihm allerdings nicht fehlt, ist ein ausgeprägt­er Sinn für Humor. Wer es nicht glaubt, sollte mal seine Reden lesen. In einer davon steht: »In Abgrenzung zur früheren Stadtpolit­ik stehe ich für mehr Demokratie, Transparen­z und Ehrlichkei­t.« Fast hätte man es übersehen.

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Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business. Foto: privat

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