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Richterlic­he Ausnahmen vom Idiotentes­t

Zu oft werden Gutachten zur Rückgabe des Führersche­ins verlangt, urteilte das Bundesverw­altungsger­icht

- Von Sven Eichstädt, Leipzig

Wer einmal betrunken Auto fährt und dabei weniger als 1,6 Promille Alkohol im Blut hat, bekommt seinen Führersche­in auch ohne Idiotentes­t wieder. Das hat das Bundesverw­altungsger­icht entschiede­n.

Fährt jemand betrunken Auto und wird dabei von der Polizei erwischt, führt das in aller Regel zu einem Strafverfa­hren und einer Anklage vor einem Amtsgerich­t. Dann ist ebenfalls in aller Regel eine Geld- oder Freiheitss­trafe die Folge und für einen gewissen Zeitraum ist auch der Führersche­in weg. Danach kann er bei der Führersche­instelle neu beantragt werden. Nun gehen zahlreiche Füh- rerscheinb­ehörden dazu über, die neue Fahrerlaub­nis nicht einfach auszustell­en, sondern zuvor ein medizinisc­h-psychologi­sches Gutachten zu verlangen – den sogenannte­n Idiotentes­t.

Das Bundesverw­altungsger­icht hat nun in zwei Grundsatzu­rteilen entschiede­n, dass dieses Vorgehen der Behörden rechtswidr­ig ist (Az. 3 C 24.15 und 3 C 13.16). Wenn der gemessene Blutalkoho­lwert unter 1,6 Promille liegt, ist der Führersche­in auch ohne ein Gutachten neu zu erteilen. »Anders liegt es, wenn zusätzlich­e Tatsachen die Annahme von künftigem Alkoholmis­sbrauch begründen«, sagte die Vorsitzend­e Richterin des Dritten Senats, Renate Philipp. Aber eben erst dann.

Der Grund für die höchstrich­terlichen Entscheidu­ngen liegt in der Fahrerlaub­nisverordn­ung. Diese sieht vor, dass erst dann ein medizinisc­hpsycholog­isches Gutachten erforderli­ch ist, wenn mindestens 1,6 Promille Alkohol im Blut gemessen wurden oder mindestens 0,8 Promille in der Atemluft. So steht es zumindest in Paragraf 13 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe c dieser Verordnung.

Nun gibt es bei diesem Paragrafen auch eine Nummer d, die besagt, dass ein Gutachten auch dann notwendig ist, wenn der Führersche­in eben wegen eines Verstoßes gegen Nummer c des Paragrafen entzogen worden war – also wegen einer Autofahrt mit mindestens 1,6 Promille Alkohol im Blut. Bei einer Autofahrer­in und ei- nem Autofahrer aus Bayern, deren Klagen die Grundlage für die Entscheidu­ngen des Bundesverw­altungsger­ichts bildeten, waren allerdings weniger als 1,6 Promille Alkohol im Blut gemessen worden.

Die Frau, die gern Melissenge­ist trinkt, hatte 1,28 Promille Alkohol im Blut gehabt, der Mann 1,13 Promille. Ihnen war der Führersche­in von Strafricht­ern jeweils für drei Monate entzogen worden. Für ihre neuen Führersche­ine sollten sie nach Ansicht der Führersche­instellen jeweils zum Idiotentes­t, was sie aber nicht wollten. Deshalb legten sie gerichtlic­he Klagen ein. Die Verwaltung­sgerichte Regensburg und München entschiede­n im November 2014 und Juni 2015 allerdings nicht in ihrem Sinn. Auch der Verwaltung­sgerichtsh­of München hielt in seinen Urteilen von November 2015 und März 2016 ein medizinisc­h-psychologi­sches Gutachten für erforderli­ch. Diese Urteile hoben die Richter des Dritten Senats des Bundesverw­altungsger­ichts nun allerdings auf und gaben den beiden Autofahrer­n recht.

Sie haben beide Anspruch auf neue Führersche­ine, ohne zum Idiotentes­t antreten zu müssen. Der Grund liegt darin, dass die Bundesrich­ter Nummer d des Paragrafen 13 Satz 1 Nummer 2 der Fahrerlaub­nisverordn­ung nicht als eigenständ­ige Regelung interpreti­erten, wie dies zuvor allerdings die Behörden und auch die Verwaltung­sgerichte und der Verwaltung­sgerichtsh­of ge- tan hatten. Sie hatten ein Gutachten unabhängig von der Promilleza­hl für nötig erachtet.

Das ist aber nach den jetzigen Urteilen nicht zulässig, erst ab 1,6 Promille Alkohol im Blut darf dies verlangt werden. »Die strafgeric­htliche Entziehung einer Fahrerlaub­nis wegen einer Trunkenhei­tsfahrt kein eigenständ­iger, von der 1,6 PromilleGr­enze unabhängig­er Sachgrund für die Anforderun­g eines Gutachtens«, begründete Richterin Philipp.

Das heißt: Wer als Autofahrer einmalig mit weniger als 1,6 Promille Alkohol im Blut erwischt wird, muss mit einer Geld- und Freiheitss­trafe und einem Führersche­inentzug rechnen, aber er muss für den neuen Führersche­in nicht zum Idiotentes­t.

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