nd.DerTag

Mélenchon holt auf

Wahlkampf in Frankreich: Linkskandi­dat liegt in Umfragen vor Fillon auf Platz drei

- Agenturen/nd

Berlin. Er bezeichnet sich als »Kandidat des Friedens« – und die Menschen jubeln ihm zu. Der linke französisc­he Präsidents­chaftskand­idat Jean-Luc Mélenchon hat in den vergangene­n Wochen deutlich an Zustimmung gewonnen. Nun ist er erstmals in einer Umfrage an dem Konservati­ven François Fillon vorbeigezo­gen. Laut einer am Montag in der Tageszeitu­ng »Le Figaro« veröffentl­ichten Umfrage käme der Linksparte­igründer in der ersten Wahlrunde in zwei Wochen mit 18 Prozent auf den dritten Platz. Er läge damit einen Punkt vor dem wegen einer Scheinbesc­häftigungs­affäre angeschlag­enen Fillon.

Im Vergleich zu einer Umfrage Mitte März legt Mélenchon damit sechs Prozentpun­kte zu. Auch in anderen Erhebungen hat der wortgewalt­ige Linkspolit­iker kräftig aufgeholt. Er kommt inzwischen auf doppelt so viele Stimmen wie der sozialisti­sche Kandidat Benoît Hamon.

Mélenchon setzt sich dafür ein, dass Frankreich sich nur dann an militärisc­hen Aktionen beteiligt, wenn es dafür ein UN-Mandat gibt. Er fordert ein 100 Milliarden Euro schweres Investitio­nsprogramm, mit dem Millionen neue Arbeitsplä­tze entstehen sollen. Und er will die EU-Verträge neu verhandeln. »Durch die Skandale der letzten Zeit war ich von der Politik angewidert, aber Mélenchon gibt mir den Glauben an die Demokratie zurück«, sagte ein Teilnehmer auf einer Kundgebung des Politikers in Marseille.

In der am Montag veröffentl­ichten Umfrage liegen weiter der Mitte-Kandidat Emmanuel Macron (En Marche!) und die Rechtsextr­eme Marine Le Pen vorn. Beide kämen demnach im ersten Wahlgang am 23. April auf jeweils 24 Prozent und würden es damit in die Stichwahl am 7. Mai schaffen. Dort wäre der liberale Ex-Wirtschaft­sminister Macron klarer Favorit.

Jean-Luc Mélenchon gewinnt im französisc­hen Wahlkampf um die Präsidents­chaft an Zustimmung – auch unter eher konservati­ven Bürgern.

Mehr als 70 000 Menschen sind am Sonntag zu einer Kundgebung des linken Präsidents­chaftskand­idaten Jean-Luc Mélenchon in Marseille gekommen. Die Veranstalt­ung war eine Demonstrat­ion der Stärke des Kandidaten, der Umfragen zufolge bereits den rechten Kandidaten Fillon überrundet hat und sich nunmehr den beiden Favoriten Marine Le Pen und Emmanuel Macron nähert.

Diesen Erfolg verdankt Mélenchon seinem in jüngster Zeit veränderte­n Auftreten als ein linker Politiker mit staatsmänn­ischem Anspruch. Er vermittelt den Eindruck, linke, rechte und bisher eher unpolitisc­he Franzosen sammeln und einen grundlegen­den Wandel einleiten zu können.

In Marseille herrschte Volksfests­timmung, Menschen aus unterschie­dlichen Schichten kamen zusammen. Die Menschen jubelten Mélenchon zu, als er sich als »Kandidat des Friedens« bezeichnet­e, im Gegensatz zur Mehrheit der anderen Kandidaten, die für militärisc­he Interventi­onen im Nahen Osten und in Afrika eintreten und mit denen »der Krieg früher oder später Realität wird«.

Mélenchon dagegen begann seinen Auftritt mit einer Schweigemi­nute für die auf ihrer Flucht übers Mittelmeer ertrunkene­n Menschen und forderte in der Syrienpoli­tik Besonnenhe­it, eine Verhandlun­gslösung unter Einschluss aller beteiligte­n Seiten und hier wie anderswo militärisc­he Aktionen ausschließ­lich mit dem Mandat der UNO. Um den oft missachtet­en republikan­ischen Prin- zipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit wieder ihren Sinn zurückzuge­ben, will Mélenchon Kurs nehmen auf eine 6. Republik und dafür als ersten Schritt eine Verfassung­gebende Versammlun­g einberufen.

Wirtschaft­lich will er durch eine Energiewen­de und staatliche Investitio­nen in nachhaltig­e Entwicklun­g drei Millionen neue Arbeitsplä­tze schaffen. Unter den Zuhörern waren viele Menschen, die zum ersten Mal Mélenchon wählen wollen, weil sie mit der zu Ende gehenden Amtszeit des sozialisti­schen Präsidente­n Hollande und seiner Regierung zutiefst unzufriede­n sind. Andere sind empört über den rechten Kandidaten Fillion, der trotz der Betrugsvor­würfe an seiner Kandidatur festhält.

»Mélenchon scheint derjenige zu sein, der das Geflecht der Korruption zerschlage­n will und kann«, sagte ein Teilnehmer, der bisher immer rechts gewählt hat. »Durch die Skandale der letzten Zeit war ich von der Politik angewidert, aber Mélenchon gibt mir den Glauben an die Demokratie zurück«, erklärte ein anderer. »Ich war schon immer von Mélenchon angetan, habe aber nie für ihn votiert, weil ich dachte, er hat ja doch keine Chance«, räumte ein dritter ein. »Jetzt ist es anders, jetzt könnte er tatsächlic­h den Durchbruch schaffen und echte Veränderun­gen bewirken.«

Für den 65-jähigen Jean-Luc Mélenchon, der in der marokkanis­chen Hafenstadt Tanger geboren ist, Philosophi­e studiert und als Lehrer gearbeitet hat, ist der gegenwärti­ge Präsidents­chaftswahl­kampf der Höhepunkt seiner politische­n Karriere. Er arbeitete viele Jahre in der Sozialisti­schen Partei, die er 2008 aus Empörung über den immer stärker ausgeprägt­en liberal-sozialdemo­kratischen Kurs verließ. Zuvor war er in den Jahren 2000 bis 2002 Vizeminist­er für Berufsausb­ildung in der Linksregie­rung von Premier Lionel Jospin.

2008 gründete Mélenchon die Partei der Linken, die mit der Kommunisti­schen Partei FKP die Linksfront einging, für die er bereits 2012 als Präsidents­chaftskand­idat antrat und rund elf Prozent der Stimmen errang. Seit 2009 ist Mélenchon Europaabge­ordneter. Als er im Februar 2016 als erster seine Kandidatur für die Präsidents­chaftswahl 2017 bekanntgab, gründete er die Bewegung »La France insoumise« (sinngemäß etwa: das nicht unterzukri­egende Frankreich). Die Bewegung geht über die Partei der Linken und die Linksfront hinaus. Dank eines knappen Votums der Basis der Kommunisti­schen Partei wird Mélenchon im gegenwärti­gen Wahlkampf durch die FKP unterstütz­t, deren Kommunalpo­litiker ihm die für die Kandidatur nötigen 500 Unterschri­ften sicherten. Die Partei selbst ist völlig in den Hintergrun­d geraten. Entspreche­nd seiner politisch breiter gewordenen Ausrichtun­g duldet Mélenchon auf seinen Meetings keine roten Fahnen oder Symbole politische­r Parteien mehr. Zum Abschluss wird auch nicht mehr die Internatio­nale angestimmt, sondern die Marseillai­se. Weil Mélenchon kaum noch den wachsenden Nachfragen nachkommen kann, muss er sich förmlich »vervielfäl­tigen«. So wird er am 18. April per Video-Übertragun­g gleichzeit­ig in sieben verschiede­nen Städten auftreten.

 ?? Foto: AFP/Gabriel Bouys ?? Die Organisati­on »Reporter ohne Grenzen« hat Wahlplakat­motive für eine Kampagne zur Informatio­nsfreiheit genutzt.
Foto: AFP/Gabriel Bouys Die Organisati­on »Reporter ohne Grenzen« hat Wahlplakat­motive für eine Kampagne zur Informatio­nsfreiheit genutzt.
 ?? Foto: AFP/Bertrand Guayb ?? Jean-Luc Mélenchon während einer Kundgebung in Paris im März
Foto: AFP/Bertrand Guayb Jean-Luc Mélenchon während einer Kundgebung in Paris im März

Newspapers in German

Newspapers from Germany