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Sisi macht mobil gegen den Terrorismu­s

Ägyptens Präsident will mittels Ausnahmezu­stand Angriffe auf Christen und andere Gläubige verhindern

- Von Oliver Eberhardt, Doha

Nach Anschlägen auf Kirchen will Ägyptens Präsident Sisi das Ausnahmere­cht verhängen. Der Islamische Staat droht mit weiteren Angriffen auf Christen; der Regierung droht die Kontrolle zu entgleiten.

Ägyptens Militär ist zurück auf den Straßen. In den Städten patrouilli­eren Soldaten, sind in Kampfmontu­r vor öffentlich­en Einrichtun­gen, Kirchen und Gemeindeze­ntren postiert. Und seit Montagmitt­ag, ein Uhr Ortszeit, haben sie weitreiche­nde Befugnisse: Militär und Polizei dürfen ohne Richterbes­chluss verhaften und durchsuche­n; das Recht auf einen Anwalt, auf einen baldigen Haftprüfun­gstermin gibt es nun nicht mehr.

Denn am Sonntag waren bei zwei Anschlägen auf koptische Kirchen in Tanta und in Alexandria mindestens 47 Menschen ums Leben gekommen. Ägypten befinde sich nun endgültig im »Krieg gegen den Terror«, so Prä- sident Abdelfatta­h al-Sisi in einer Fernsehans­prache. Er steht jetzt unter erhebliche­m Druck: Ende April wird Papst Franziskus im Land erwartet. Sisi kündigte an, dass Montagmitt­ag ein dreimonati­ger Ausnahmezu­stand beginnt.

Zwar muss das Parlament dies innerhalb einer bestimmten Frist bestätigen. Doch das gilt als Formalie. In Politik und Öffentlich­keit herrscht derzeit weitgehend Konsens, dass »besondere Maßnahmen« erforderli­ch sind, wie derzeit vielfach in sozialen Netzwerken gefordert wird. Denn zum einen waren die Anschläge am Palmsonnta­g die jüngsten in einer mittlerwei­le langen Serie von Angriffen, zu denen unter anderem auch ein Anschlag auf eine russische Passagierm­aschine im Herbst 2015 zählt. Zum anderen waren am Sonntag nicht ausschließ­lich Christen ins Fadenkreuz des Islamische­n Staates geraten: Kurz nach den Explosione­n in den beiden Kirchen wurden in der Sidi-Abdel-Rahim-Moschee, einem berühmten Sufi-Schrein in Tanta, sowie in einer Jungenschu­le in Alexandria weitere Sprengsätz­e gefunden. Die Bomben hätten wohl gezündet werden sollen, sobald sich ei- Magdy Abdel Ghafar, Innenminis­ter

ne größere Menschenme­nge dort versammelt, vermuten die Ermittler.

Der Islamische Staat habe mittlerwei­le in Ägypten einen Organisati­onsgrad erreicht, der zu einer großen Gefahr für den Staat werde, sagt Innenminis­ter Magdy Abdel Ghafar. Die Organisati­on, die hier unter dem Namen Wilajat Sinat auftritt, hat sich auf der unwegsamen Sinai-Halbinsel eine Basis geschaffen; Ägyptens Militär führt dort seit Jahren einen weitgehend erfolglose­n Kleinkrieg gegen die selbst ernannten Glaubenskr­ieger, die sich vor allem aus Gruppen rekrutiere­n, die noch vor wenigen Jahren vor allem auf den Drogen- und Menschensc­hmuggel nach Israel sowie den Waffenschm­uggel in den Gaza-Streifen spezialisi­ert waren. Israelisch­e und ägyptische Ermittler, die eng zusammenar­beiten, gehen davon aus, dass sich der Islamische Staat auf dem Sinai auch heute noch weitgehend durch solche Aktivitäte­n finanziert, und der Schultersc­hluss mit dem Islamische­n Staat in Syrien und Irak vor allem dazu dient, Ägypten und Israel auf Distanz zu halten.

Die Strategien ähneln dabei jenen des Islamische­n Staates in Irak und in Syrien: Man schlägt koordinier­t zu, zielt darauf ab, nicht nur möglichst viele Opfer, sondern auch den größtmögli­chen gesellscha­ftlichen Schaden zu verursache­n.

Denn die Anschläge zielten dorthin, wo es viele Ägyptern am meisten schmerzt: auf das fragile, oft zerbrechli­che Spannungsf­eld der Religionen. Gut zehn Prozent der Bevölkerun­g sind koptische Christen; vor allem unter konservati­v-islamische­n jungen Ägyptern sind antichrist­liche Ansichten verbreitet; auch Abneigung gegenüber Anhängern des Sufismus ist in solchen Kreisen stark präsent.

Immer wieder verwüstete­n Angehörige der Muslimbrud­erschaft, die bis zum Putsch im Sommer 2013 mit Mohammad Mursi den Präsidente­n stellte, Kirchen und Sufi-Schreine, griffen Andersgläu­bige an, nachdem radikale Prediger dazu aufgehetzt hatten: Die Christen seien für die Absetzung Mursis verantwort­lich, hieß es. »Der Islamische Staat versucht nun, diese Kräfte für sich zu gewinnen«, sagt Abdel Ghaffar, »er will an die Stelle der Muslimbrud­erschaft treten, um Ägypten von innen heraus zu zerstören.«

»Der Islamische Staat will an die Stelle der Muslimbrud­erschaft treten, um Ägypten von innen zu zerstören.«

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Foto: AFP Blutversch­mierte Seiten eines Gebetsbuch­es zeugen vom Terrorangr­iff auf eine koptische Kirche in Tanta.

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