Der Brexit-Graben wird immer tiefer
Britische Medien heizen die Stimmung mit Tendenzberichterstattung an
Befürworter und Gegner des britischen EU-Austritts graben sich immer stärker ein. Die Medien spielen dabei keine rühmliche Rolle. Um Meinung zu untermauern, werden auch Nachrichten verschwiegen.
Das EU-Referendum im vergangenen Juni hat die tiefen Gräben offengelegt, die sich durch die britische Gesellschaft ziehen. Entlang der Frage, ob das Land die EU verlassen sollte, wurden unter anderem Risse sichtbar zwischen Stadt und Land, wohlhabenden und einkommensschwächeren Briten und zwischen England und den übrigen Regionen. Dabei deutet nichts darauf hin, dass diese Spaltung in absehbarer Zeit überwunden werden könnte. Beide Seiten graben sich weiter ein. Das zeigt sich besonders deutlich in der Presse.
Wie weit die Berichterstattung in den rechtslastigen Blättern und der – sehr viel kleineren – linksliberale Presse auseinanderdriftet, wurde deutlich, nachdem Regierungschefin Theresa May vorvergangene Woche den Brexit in Gang gesetzt hat. Die »Daily Mail« zeigte auf ihrem Titel ein Bild des Bier trinkenden Rechtspopulisten Nigel Farage, begleitet mit dem Titel: »Cheers zu einer großartigen britischen Zukunft!« Auf der Titelseite des konservativen »Daily Telegraph« war ein Bild des britischen Gesandten Tim Barrow zu sehen, wie er gerade in Brüssel von EU-Ratspräsident Donald Tusk weggeht. Entstanden ist es offenbar kurz nachdem Barrow Tusk das Schreiben überreicht hat, mit dem Großbritannien seinen Austrittswunsch aus der EU erklärt hat. Die Schlagzeile: »Ein großartiger Augenblick«.
Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Zeitungen unterschiedlichen politischen Ausrichtungen folgen. Problematisch ist jedoch, dass auch die nachrichtliche Berichterstattung von der jeweiligen Blattlinie gegenüber dem Brexit geprägt ist. Die EU-freundlicheren Blätter (»Guardian«, »Independent«, »Financial Times«) gehen in dieser Hinsicht subtiler vor als die Blätter aus dem Brexit-Lager. Doch auch da werden Meldungen, die ein eher düsteres Bild zeichnen, schnell zu Titelgeschichten überhöht, während Berichte über positive wirtschaftliche Entwicklungen oft sichtbar kleiner gefahren werden oder gar nicht auftauchen. Die ProBrexit-Blätter wiederum weisen schnell Vorbehalte gegen den BrexitKurs der Regierung oder Warnungen vor wirtschaftlichen Einbußen als Versuche zurück, den »demokratischen Willen des Volkes« zu torpedieren. Der Brexit wird dort immer mehr behandelt wie eine Art nationalistische Ideologie.
In dieser Hinsicht hat sich der ansonsten eher zurückhaltende »Telegraph« im vergangenen November eine schwere Entgleisung geleistet. Ein Gericht in London hatte damals entschieden, dass die Regierung die Zustimmung des Parlaments einholen musste, bevor sie den EU-Austritt in Gang setzen konnte. Die rechte Boulevardzeitung »Daily Mail« druckte daraufhin auf der Titelseite die Fotos der drei Richter ab, die das Urteil gefällt haben, untertitelt mit den Worten »Feinde des Volkes«. Doch auch der »Daily Telegraph« entschied sich für eine ähnliche Titelseite: Auch da prangten die Bilder der Richter auf der Titelseite. Die Überschrift: »Die Richter versus das Volk«.
Sollte es bei den Brexit-Verhandlungen zu Streit kommen – und der kündigt sich bereits an –, dürfte sich die Pro-Brexit-Presse noch tiefer ideologisch eingraben und mit markigen, EU-kritischen Schlagzeilen Stimmung machen. Das könnte gravierende Folgen haben.
Schon seit dem EU-Referendum im vergangenen Jahr hat die Zahl der ausländerfeindlichen Vorfälle deutlich zugenommen. Der Chef der unabhängigen Gleichberechtigungsund Menschenrechtskommission, David Isaac, warnte kürzlich, dass sich das Land mit dem Beginn des Brexit-Prozesses auf Zunahme an Hassverbrechen gegen EU-Bürger einstellen müsse.