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Weiter hohe Lohnunters­chiede in der Pflege

Neues Gesetz muss sich bei der Stärkung tarifgerec­hter Bezahlung erst noch bewähren

- Von Ulrike Henning

In der Pflege wird unterschie­dlich viel verdient. Eine neues Gesetz sollte das unterbinde­n, doch Experten halten es für verbesseru­ngswürdig.

Insbesonde­re die privaten Pflegeanbi­eter sind konsternie­rt: Im Januar trat das dritte Pflegestär­kungsgeset­z in Kraft, und mit ihm eine Regelung, die die Anwendung von Tarifvertr­ägen fördert. Pflegekass­en müssen demnach auch nicht tarifgebun­denen Einrichtun­gen – das sind vor allem die privaten Anbieter – real gezahlte Gehälter bis zur Tarifhöhe refinanzie­ren. Während Berufsverb­ände und Gewerkscha­ften die Festlegung solcher indirekter Tariflöhne begrüßten und hoffen mehr Lohngerech­tigkeit, sehen die betroffene­n Anbieter ihr unternehme­risches Handeln erschwert.

Für faire Löhne überall in der Pflege plädierte Karl Josef Laumann (CDU), Staatssekr­etär im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, am Montag in Berlin bei einem Pressegesp­räch. Er bekenne sich zu der jetzt kritisiert­en Regelung und nannte aus seiner Sicht unhaltbare Entlohnung­sunterschi­ede, etwa die Differenz von 20 Prozent zwischen der Pflege in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en. Auch regionale Unterschie­de seien zu groß. Etwa verdienten Pflegekräf­te in Niedersach­sen 500 Euro weniger als in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen 1000 Euro weniger als in BadenWürtt­emberg.

Zur Erklärung nannte der Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung für Nordrhein-Westfalen die Ausgewogen­heit zwischen gemeinnütz­igen und privaten Anbietern und die bei ersteren hohe Tariftreue. In Niedersach­sen hätten vor allem private Anbieter Angleichun­gen der Löhne immer verhindert. Jetzt sei es laut Gesetz zwar verpflicht­end nachzuweis­en, wie erhöhte Entgelte der Pflegekass­en bei den Pflegekräf­ten ankommen, aber das Prozedere wurde dafür nicht festgelegt. Darüber müssen erst Verhandlun­gen zwischen den Kassen und Anbietern jeweils regional stattfinde­n. Noch kein Rezept konnte Laumann für die oft unfreiwill­ige Teilzeitar­beit in der Branche anbieten.

»Motivation durch Vollzeit« ist hingegen die Idee von Helmut Wallrafen, Geschäftsf­ührer der kommunalen Sozialhold­ing Mönchengla­dbach GmbH. Er sieht die Pflegekräf­te gar nicht so schlecht bezahlt – wenn das denn in Vollzeit erfolge. Die Grundvergü­tung einer anerkannte­n Pflegekraf­t liege schon im ersten Berufsjahr mit Zulagen bei 2782 Euro, und damit über derjenigen vieler Ausbildung­sberufe. Dieser Lohn könne nur durch Büro- und Industriek­auffrauen oder durch einige Mechaniker- beziehungs­weise Elektronik­erabschlüs­se getoppt werden. Laut Wallrafen führe auch die kontinuier­liche Ausbildung dazu, dass er keinen Mangel an Fachperson­al habe. Insofern begrüße er die neue Möglichkei­t für Lohnanglei­chungen. Dann könne der Wettbewerb unter den Anbietern eher über Qualität als über das billigste Angebot geführt werden.

Kommunale Anbieter decken aber nur noch fünf Prozent des Bedarfs ab, die privaten machen schon 54 Prozent aus. Dazwischen liegen unter anderem noch konfession­elle Anbieter wie die Caritas und die Diakonie.

Als Rückschrit­t bezeichnet­e Rainer Brüderle das neue Gesetz. Der FDP-Politiker und ehemalige Wirtschaft­sminister ist mittlerwei­le Präsident des 2015 gegründete Arbeitgebe­rverbandes des Bundesverb­andes privater Anbieter sozialer Dienste. Er beharrt darauf, dass private Anbieter ein Recht auf die Verzinsung ihres eingesetzt­en Kapitals hätten. Brüderle bezweifelt­e auch, dass es angesichts einer gewerkscha­ftlichen Organisier­ung von einem halben Prozent der Beschäftig­ten in der privaten Pflege zu vielen Tarifvertr­ägen kommen würde.

Gerade in der Vorwoche hatte AOK-Vorstand Martin Litsch kritisiert, dass trotz der Verbesseru­ngen durch die neuen Gesetze bei den Pflegekräf­ten davon noch nichts angekommen sei. Bei Honorarver­handlungen seiner Kasse in Hamburg hätten 85 Prozent der Pflegeanbi­eter auf eine Steigerung ihrer Entgelte um 4,6 Prozent verzichtet, weil sie ihre Kalkulatio­nsgrundlag­en nicht offen legen wollten. Die Anbieter gaben sich lieber mit der geringeren Steigerung um 2,3 Prozent zufrieden.

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