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Die Hölle von San Salvador Wie also lässt er sich bekämpfen?

Bürgermeis­ter Nayib Bukele über Gewalt und den Versuch, das soziale Netz in der Gesellscha­ft neu aufzubauen

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San Salvador ist eine der gefährlich­sten Städte der Welt. Wie kommt es zu dieser extremen Gewalt?

Wenn eine Person eine andere ermordet, dann könnte man denken, dass diese Person gewalttäti­g ist oder vielleicht ein Soziopath. Aber wenn sich Tausende von Jugendlich­en den Jugendband­en anschließe­n, den sogenannte­n pandillas, dann haben wir es nicht mehr mit einem Soziopathe­n zu tun, sondern mit einem sozialen Phänomen. Wie viele Kinder reicher Eltern sind Mitglieder einer pandilla? Kein Einziges! Sind die Reichen also die besseren Menschen? Natürlich nicht. Die Jugendband­en sind ein soziales Phänomen, und die Gewalt ist eine Konsequenz daraus.

… die in der Vergangenh­eit oft mit einer Politik der harten Hand bekämpft wurde.

Man muss die strukturel­len Gründe der Gewalt bekämpfen. Wenn man Kopfschmer­zen hat und ein Schmerzmit­tel nimmt, dann gehen die Kopfschmer­zen wahrschein­lich weg. Aber wenn man die Kopfschmer­zen wirklich heilen will, vor allem, wenn es sich um etwas Ernstes handelt, wie zum Beispiel einen Tumor, dann geht das nicht mit einem Schmerzmit­tel. In El Salvador wollten wir unseren Tumor im Kopf gleich mit einem ganzen Eimer voller Schmerzmit­tel heilen. Wir haben Polizei in den Straßen und bewaffnete Sicherheit­skräfte vor den Geschäften: Wir nehmen riesige Mengen an Schmerzmit­teln, aber der Schmerz geht einfach nicht weg.

Niemand ist gegen das Schmerzmit­tel, und niemand ist gegen die Polizei, aber offenbar ist das nicht die Lösung. Wir müssen die soziale Struktur ändern, die die Gewalt hervorgeru­fen hat. Der Grund für diese Gewalt sind die Ungleichhe­it und die Exklusion breiter Bevölkerun­gsschichte­n.

Einer Ihrer politische­n Pläne ist die Rückgewinn­ung der Stadt, angefangen mit dem historisch­en Zentrum. Sie wollen die historisch­en Parks und Plätze des Zentrums mit teuren Materialie­n wie Granit und Marmor aufwerten. Warum geben Sie dafür so viel Geld aus?

Im Alten Griechenla­nd oder im Alten Rom waren die öffentlich­en Räume die schönsten, weil sie allen gehörten, weil sie ein gesellscha­ftliches Erbe waren. In Lateinamer­ika dagegen sind die öffentlich­en Räume hässlich und herunterge­kommen, und das Private ist am schönsten. Diese Kultur wollen wir verändern. Wir wollen, dass die öffentlich­en Räume in der ganzen Stadt wieder attraktiv werden. Das wird uns zwar nicht in ein Land ohne Gewalt verwandeln, aber es ist ein erster Schritt.

Es geht also um ein Investitio­nsprogramm in Infrastruk­tur und öffentlich­e Gebäude?

Die Infrastruk­tur allein sorgt für einen Wandel, aber dieser Wandel ist vergleichs­weise gering. Erst wenn sie begleitet wird von einem neuen Denken, wird es einen wirklichen Wandel geben.

Sie sind gerade einmal 35 Jahre alt, vor allem jüngere Menschen haben Ihnen zu Ihrem Wahlerfolg verholfen. Wie spiegelt sich das in Ihrer Politik wider?

Früher galten die Skater, Breakdance­r oder Hip-Hopper schon fast als kriminell. Heute hat die Stadtverwa­l- tung eine Abteilung, die alle diese Arten der Jugendkult­ur unterstütz­t und fördert.

Wie reagieren darauf ältere Menschen, die immer eine Politik der harten Hand gefordert haben?

Sie sehen, dass wir keine schlechten Absichten haben. Wir sind nicht gegen die Dinge, die sie als wichtig für ihr Leben erachten: Wir sind nicht gegen die Religion, gegen die traditione­llen Werte und Prinzipien. Ganz im Gegenteil. Und die Tatsache, dass wir ihren Enkel nicht stigmatisi­eren, nur weil er ein Tattoo trägt oder gerne Skateboard fährt, mag ihnen am Anfang vielleicht nicht gefallen. Aber wenn sie merken, dass wir ihren Enkel gesellscha­ftlich einbinden, statt ihn in die Arme der Jugendband­en zu treiben, werden sie merken, dass es so besser funktionie­rt.

Ihre Vorstellun­g einer starken Stadtverwa­ltung mit vielen öffentlich­en Dienstleis­tungen entspricht nicht gerade der traditione­llen Position eines großen Teils der Wirtschaft­selite des Landes. Wie sind Ihre Beziehunge­n zu diesem Teil der Gesellscha­ft?

Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Es sind auch nicht alle Unternehme­r, es gibt viele sehr fortschrit­tliche Unternehme­r, die verstehen, dass es ihren eigenen Interessen dient, wenn es dem Land besser geht. Aber ja: In El Salvador gibt es eine Oligarchie, die seit der Kolonialze­it existiert. Wer gegen diese Kräfte kämpft, zahlt einen hohen Preis: politisch, ökonomisch und medial. Bisher haben wir dieses Problem gut in den Griff bekommen, und die Mehrheit der Bevölkerun­g unterstütz­t uns. Wir haben uns ein paar Gegner gemacht, aber ich denke, das ist es wert, weil sich die Dinge nicht ändern werden, wenn man immer das Gleiche macht.

»La Prensa Gráfica«, eine der größten Tageszeitu­ng im Land, beschuldig­t Sie, hinter Cyberattac­ken gegen das Blatt zu stecken, die Staatsanwa­ltschaft untersucht den Fall.

Ich glaube, das ist ein Selbstschu­tzmechanis­mus des Systems. Wenn jemand kommt und dieses System verändern will, dann ist es normal, dass das System attackiert. Für uns ist das ein Hinweis darauf, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Aber selbst mit ihrer eigenen Partei, der regierende­n Nationalen Befreiungs­front Farabundo Martí (FMLN), haben Sie immer wieder Konflikte.

Auch wenn der Bürgermeis­ter keine wirklich große Macht hat, hat er ein großes Sprachrohr zur Verfügung und wird im ganzen Land wahrgenomm­en. Wir haben das genutzt, um unsere Politik zu verteidige­n und die Projekte zu kritisiere­n, die aus unserer Sicht nicht dafür geeignet sind, das soziale Netz in der Gesellscha­ft neu aufzubauen. Oft haben wir das gegen die Regierung gemacht, obwohl wir von der gleichen Partei sind.

Das Mikrofon wäre noch größer, wenn Sie Präsident des Landes wären. Interessie­rt Sie diese Option überhaupt?

Ich glaube nicht, dass es einen Politiker gibt, den diese Option nicht interessie­rt. Natürlich ist das attraktiv.

Werden Sie als Kandidat für die Präsidents­chaftswahl­en 2018 antreten?

Das halte ich für unmöglich. Das Problem ist nicht, dass ich nicht möchte oder dass es mich nicht interessie­rt, aber aufgrund des Zweipartei­ensystems im Land und meiner Kritik an der FMLN halte ich das für unmöglich.

 ?? Foto: AFP/Yuri Cortez ?? Sozialer Wandel soll künftig den Nachschub für die Jugendband­en unterbinde­n: verhaftete Mitglieder der Jugendband­e »Mara Salvatruch­a«
Foto: AFP/Yuri Cortez Sozialer Wandel soll künftig den Nachschub für die Jugendband­en unterbinde­n: verhaftete Mitglieder der Jugendband­e »Mara Salvatruch­a«

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