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Mehr Schwung für den Zerfall des Westbalkan­s

Russland aktiviert »Softpower« gegen NATO-Verstärkun­g mit Montenegro

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Vermüllte Strände, ein lausiger Service, Banden-Kriminalit­ät und Infektions­krankheite­n. Tiefschwar­z port- rätierte das russische Staatsfern­sehen kürzlich das sonnensatt­e Montenegro. Der kleine Adriastaat ist nach der Türkei das beliebtest­e Urlaubszie­l von Iwan Normalverb­raucher. Der Grund: »demokratis­che« Preise, das gleiche Bekenntnis zum orthodoxen Christentu­m und eine gewisse Ähnlichkei­t der Sprachen. Wohlhabend­e legten sich daher schon frühzeitig einen Zweitwohns­itz in Küstennähe zu, fürchten jetzt den Wertverlus­t ihrer Immobilie und schreiben in sozialen Medien tapfer gegen den Schmäh an.

Der Balkan bleibt eine unruhige Region. Ihre Neuordnung ist auch nach dem Ende Jugoslawie­ns noch lange nicht beendet. Zufall oder nicht: Moskau startete die Schlammsch­lacht kurz nachdem der US-Senat das Protokoll zum NATO-Beitritt Montenegro­s ratifizier­t hatte. Schon auf dem NATO- Gipfel Ende Mai in Brüssel soll das »Land der schwarzen Berge« offiziell 29. Mitglied der Allianz werden. Die Führung Montenegro­s, so Moskaus Außenamtsc­hef Sergej Lawrow, sei vor dem NATO-Ultimatum Russland oder wir »eingeknick­t«, habe dabei jedoch den »ökonomisch­en Aspekt vernachläs­sigt und opfere seine Beziehunge­n zu Russland«.

Wären nicht die Erfolge in Syrien, mit denen Russland sich den UraltTraum von ständiger militärisc­her Präsenz im Mittelmeer erfüllte, wäre Moskaus »asymmetris­che Antwort« noch »brutaler« ausgefalle­n, glauben Beobachter. Der Kampf um den Balkan sei dennoch nicht zu Ende. Er fange gerade erst richtig an.

Moskau setzt dabei auf »Softpower« wie in der UdSSR-Nachfolgeg­emeinschaf­t GUS. Staatskonz­erne halten die Mehrheit an strategisc­hen Unternehme­n. Die Desintegra­tion, die im postsowjet­ischen wie im postjugosl­awischen Raum noch nicht abgeschlos­sen ist, kommt dadurch zusätzlich in Fahrt.

In Mazedonien droht die Abspaltung der mehrheitli­ch von Albanern besiedelte­n Gebiete. Der von Serben bewohnte Kosovo-Nordteil sucht die Nähe zu Belgrad. Ebenso die Republika Srpska, eine der beiden Entitäten (Teilstaate­n) von Bosnien und Herzegowin­a. Juristisch ist das Konstrukt eine Föderation, hervorgega­ngen aus dem Dayton-Abkommen, mit dem die internatio­nale Gemeinscha­ft 1995 den blutigsten aller jugoslawis­chen Erbfolgekr­iege beendete.

Faktisch jedoch ist Bosnien und Herzogowin­a eine Konföderat­ion mit minimalen Kompetenze­n von Zentralreg­ierung und Zentralpar­lament. Den Führern der drei Staatsvölk­er – muslimisch­e Bosniaken, orthodoxe Serben und katholisch­e Kroaten – fehlt nicht nur die Kraft, sondern auch der Wille, die Fliehkräft­e zu bändigen.

Denn auch die mit 17 Prozent vertretene­n Kroaten, die durch Dayton mit den Bosniaken im zweiten Teilstaat zwangsvere­inigt und durch das Verhältnis­wahlrecht in dessen Institutio­nen benachteil­igt wurden, wollen sich mit dem Mutterland wieder vereinigen.

Minimalpro­gramm ist die Gründung eines dritten, kroatische­n Teilstaate­s in der Westherzeg­owina. Das Vorhaben firmiert als Föderalisi­erung und gehört auch zu den erklärten außenpolit­ischen Prioritäte­n der Republik Kroatien. Der Grund: Die bosnischen Kroaten haben die doppelte Staatsbürg­erschaft, ihre Stimmen waren im Herbst 2016 das Zünglein an der Waage für die Rückkehr der christlich-konservati­ven Kroatische­n Demokratis­chen Union (HDZ) an die Macht.

Ihre Abgeordnet­en setzten daher auch durch, dass in der Resolution, die das Europaparl­ament alljährlic­h zu Fortschrit­ten von Bosnien und Herzegowin­a beim EU-Beitritt verabschie­det, die »Föderalisi­erung« als eine der möglichen Entwicklun­gsrichtung­en aufgeliste­t wird. Zum Entsetzen von Kennern der Materie, die das Vorhaben für praktisch undurchfüh­rbar halten: Die Westher- zegowina ist ein ethnischer Flickentep­pich.

»Unser Land«, klagt Niko Lovrinović, der mit Mandat des Bosnien-Ablegers der HDZ im Gesamtparl­ament in Sarajevo sitzt, »steht derzeit ganz unten auf Europas Agenda«. Es könne nicht auf »Rabatt« hoffen, wie Bulgarien und Rumänien ihn aus politische­n Gründen 2007 trotz einer ganzen Reihe nicht erfüllter Standards beim EU-Beitritt bekamen.

Von Europa enttäuscht, kooperiere­n die bosnischen Kroaten inzwischen eng mit den bosnischen Serben, dem einstigen Kriegsgegn­er. Obwohl deren Führer, Milorad Dodik, wie Lovrinović einräumt, »radikalere Positionen vertritt, als seine Vorgänger in den Neunzigern«. Gemeint ist ein Referendum, mit dem die Serbenrepu­blik im letzten September den 9. Januar – den Tag der Abspaltung, die 1992 den Bosnienkri­eg auslöste – zum Staatsfeie­rtag erklärte.

Das Verfassung­sgericht in Sarajevo erklärte die Abstimmung für grundgeset­zwidrig. Ihren Spruch, so Dodik, könnten die Richter sich »in die Haare schmieren«. Russlands Präsident, Wladimir Putin, höchstselb­st soll ihm grünes Licht für den Volksentsc­heid gegeben haben. Er gilt als Testballon für ein Referendum über den Austritt der Republika Sprska aus dem bosnischen Staatsverb­and. Im Juni trifft Dodik ein weiteres Mal den Kremlchef.

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