nd.DerTag

Erst einmal Fragen stellen

- Velten Schäfer über die deutsche Debatte zum Türkeirefe­rendum

Alice Weidel will Bundesbürg­ern, die zum Referendum Ja sagten, den Pass entziehen: Ihre Integratio­n sei gescheiter­t. »Bild« wettert: Hier Demokratie schmarotze­n, dort Diktatur installier­en – Frechheit! In der CDU dröhnen die Gegner des »Doppelpass­es«. Und selbst der Grüne Cem Özdemir haut in die Integratio­nskerbe: Nur Bildung könne die AKP in Deutschlan­d schwächen.

Was aber sagt das Referendum über Integratio­n? Zeugt nicht die geringe Wahlbeteil­igung auch von Angekommen­sein? War nicht das Ja hierzuland­e schwächer als in der Nachbarsch­aft? Stimmt das Bild von den Ja-Sagern als ungebildet­en Hinterwäld­lern? Warum war dann das Ergebnis in Stuttgart, bisher das Musterbeis­piel für Integratio­n, klarer als etwa in Berlin mit seinen notorische­n Horrorszen­arien sogenannte­r Integratio­nsverweige­rung?

Und ist nicht umgekehrt das Referendum auch ein Ergebnis dessen, was hierzuland­e als »Integratio­n« praktizier­t wurde? Über Jahrzehnte tat man, als seien die Türkischst­ämmigen gar nicht da. Und als das irgendwann gar zu lächerlich wurde, baute man als Ansprechpa­rtner oft gerade die Organisati­onen mit auf, die nun für das Ja mobilisier­ten – während man linke Exilanten in türkischem Auftrag verfolgte. Warum gibt es denn noch immer keine geregelte Imamausbil­dung? Warum sind viele Moscheen von Ankara abhängig?

Wer nun nur sein Süppchen kochen will, hat es leicht. Wer aber nach Antworten sucht, muss erst einmal Fragen stellen.

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