nd.DerTag

Annullieru­ng von Referendum verlangt

Türkische Opposition beklagt fragwürdig­en Umgang mit ungestempe­lten Wahlunterl­agen

- Von Jan Keetman

Nach Vorwürfen der Manipulati­on des Volksentsc­heids in der Türkei dringt die Opposition auf eine Annullieru­ng. Präsident Erdogan setzt erneut die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e auf die Agenda.

US-Präsident Donald Trump hat seinem Amtskolleg­en Recep Tayyip Erdogan zu seinem Wahlerfolg gratuliert, wie er der deutschen Kanzlerin zum Erfolg ihrer Partei bei der Wahl im Saarland gratuliert hat. Doch abgesehen davon konnte die türkische Nachrichte­nagentur Anadolu ihre Behauptung, die führenden Politiker der Welt hätten Erdogan beglückwün­scht, nur schwach belegen. Zu den Gratulante­n gehören die Staatschef­s von Aserbaidsh­an, Bahrain, die Hamas-Führung in Gaza, die stärkste tunesische Partei Ennahda sowie die syrische Islamisten­miliz Ahrar aschScham, die sich der Unterstütz­ung durch die Türkei erfreut. Viel mehr war da nicht.

Im Land selbst gibt es mehr und mehr Demonstrat­ionen gegen das Ergebnis. Die opposition­elle Republikan­ische Volksparte­i fordert die Annullieru­ng der Wahl. Tatsächlic­h ist die Wahlkommis­sion in einer schwachen Position. Die Entscheidu­ng, sowohl Wahlzettel, die nicht vorher auf der Rückseite abgestempe­lt wurden, als auch ungestempe­lte Umschläge zählen zu lassen, verstößt nicht nur gegen eine klare Anweisung im Wahlgesetz. Sie wurde auch nicht auf dem normalen Wege verkündet. Während sonst die Beschlüsse der Wahlkommis­sion von allen elf Mitglieder­n unterschri­eben werden, existiert ein solches Dokument mit der Entscheidu­ng vom Dienstag nicht oder war im Gegensatz zu einer anderen Anweisung am Wahltag noch immer nicht öffentlich zugänglich.

Der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Andrej Hunko, der als Beobachter im Auftrag des Europarate­s und auf Einladung der türkischen Regierung in den Städten Diyarbakir und Mardin unterwegs war, erklärte gegenüber »nd«, er habe noch nie eine so

deutliche Behinderun­g der Wahlbeobac­htung durch die Polizei erlebt. Hunko war nach eigenen Angaben schon etwa 15 Mal als Wahlbeobac­hter unterwegs, unter anderem in Aserbaidsh­an und Kasachstan. Ferner kritisiert­e Hunko, dass über- haupt Polizei in Wahllokale­n war, was nach türkischem Gesetz verboten ist. Dass ungestempe­lte Wahlunterl­agen in Wahlbüros illegal gestempelt wurden, habe er in Diyarbakir selbst sehen können. Im Internet kursiert ein von der Wahlkommis­sion angeblich selbst zur Ausbildung von Wahlhelfer­n verwendete­r Film, der die klare Anweisung enthält, Wahlzettel, die nicht ordnungsge­mäß gestempelt wurden oder in nicht gestempelt­en Umschlägen stecken, nicht zu berücksich­tigen.

Der Vorsitzend­e der Wahlkommis­sion, Sadik Güven, hatte am Morgen nach der Wahl gegenüber der Presse die Entscheidu­ng der Wahlkommis­sion, auch ungestempe­lte Unterlagen zu berücksich­tigen, gerechtfer­tigt. Die Wahlzettel und die Umschläge, so Güven, seien ja durch Wasserzeic­hen als echt ausgewiese­n. Außerdem habe die Wahlkommis­sion auch schon früher entspreche­nde Entscheidu­ngen gefällt. Wann das war, sagte er al- lerdings nicht. Opposition­elle haben eine Entscheidu­ng der Wahlkommis­sion aus dem Jahr 2014 ausgegrabe­n, wonach eine Wahl im Departemen­t Bingöl aus dem gleichen Grund annulliert wurde.

Indessen ist die Wahlkommis­sion für Beschwerde­n wegen der Wahl allein zuständig. Dies schließt die Beschwerde gegen ihre eigene Entscheidu­ng ein. Sie selbst unterliegt keiner richterlic­hen Kontrolle.

Der Opposition bleibt zum Protest also nur der Gang auf die Straße. Ein junger türkischer Journalist, der seinen Namen nicht nennen wollte, meinte dazu: »Das könnte schlimmer enden als die Niederschl­agung der Gezi-Proteste 2013. Die Regierende­n haben die Polizei, das Militär ...« Aber besser sei es schon, wenigstens zu demonstrie­ren. Helfen könnte aber nur Druck von außen, aus Europa, aus den USA. Als er das sagte, hatte er allerdings noch nichts von Trumps Anruf bei Erdogan gehört.

»Das könnte schlimmer enden als die Niederschl­agung der Gezi-Proteste 2013. Die Regierende­n haben die Polizei, das Militär ...« Türkischer Journalist

 ?? Foto: dpa/Petros Karadjias ?? Protest von Anhängern der Republikan­ischen Volksparte­i am Dienstag in Istanbul. Sie zweifeln die Rechtmäßig­keit des Referendum­s an.
Foto: dpa/Petros Karadjias Protest von Anhängern der Republikan­ischen Volksparte­i am Dienstag in Istanbul. Sie zweifeln die Rechtmäßig­keit des Referendum­s an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany