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Venezuela vor der Konfrontat­ion

Großdemons­trationen von Regierungs­anhängern und -gegnern lassen Gewalt befürchten

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

In Venezuela wächst die Angst vor blutigen Unruhen. Gegner und Anhänger des sozialisti­schen Staatschef­s haben für diesen Mittwoch Großdemons­trationen angekündig­t.

Am Mittwoch wird ganz Caracas auf den Beinen sein. Während die Opposition zur »Mutter aller Demonstrat­ionsmärsch­e« aufgerufen hat, werden nach den Worten von Vizepräsid­ent Tareck El Aissami »die patriotisc­hen Kräfte die Stadt überfluten«. Offizielle­r Anlass ist der 19. April, der 207. Jahrestag des Beginns der Unabhängig­keit Venezuelas. Ein «vaterländi­scher Tag«, so El Aissami und nichts für »Verräter«. Gewaltsame Zusammenst­öße sind denn auch zu erwarten.

Es ist ein eingeübtes Ritual. Ruft die politische Opposition zu Demonstrat­ionen auf, mobilisier­t die Regierung ihre Anhängersc­haft. Und während die Opposition meist im Ostteil von Caracas unter sich bleibt, lässt die Regierung im Westteil aufmarschi­eren. Beide Seiten werden auf der Höhe der Plaza Venezuela von einem Großaufgeb­ot an Nationalga­r- disten und Polizisten am Übertreten der unsichtbar­en Grenze gehindert.

Noch immer gibt es keine Verknüpfun­g der Proteste im Osten mit denen im Westen. Die Opposition hat es bis heute nicht geschafft, die Barrios zu mobilisier­en, die Armensiedl­ungen an den Hängen in und auf den Hügeln um die Stadt. Los cierros no bajan, die Hügel kommen nicht herunter. Denn die Gründe, die den Chavismus hier groß gemacht haben, gelten weiterhin. Die strukturel­le Desintegra­tion der Gesellscha­ft ist nicht überwunden.

Noch immer überwiegen bei der Mittel- und Oberschich­t Rassismus und der Hass auf alles Venezolani­sche. In den einschlägi­gen Vierteln sind Miami und Europa näher als Petare und San Agustín. Die legitimen Forderunge­n der ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n werden dort ignoriert. Das Zugehörigk­eitsgefühl zur Patria, zur vaterländi­schen Heimat, das Hugo Chávez immer wieder gepredigt hat, wird nur von den Armen verkörpert. Die Widersprüc­he spiegeln sich in den guten Krankenhäu­sern wider, in denen sich die weißen Nachfahren der Europäer behandeln lassen und in den Gefängniss­en, in denen dunkle Hautfarben dominieren.

Dass Maduro freiwillig abtritt, steht nicht zu erwarten. Für ihn wäre ein Rücktritt ein Verrat an Chávez und ist damit ausgeschlo­ssen. Möglich ist, dass Maduro einen Putsch der Militärs provoziert, um einen Abgang als »Verräter« zu vermeiden. Die aktiven Militärs unter Verteidigu­ngsministe­r Vladimir Padrino könnten mit dem Präsidente­n die Kapitulati­onsbedingu­ngen aushandeln und ihn zur Seite schieben.

Unter Handlungsd­ruck stehen aber jene Militärs außer Dienst, die vom Chavismus in politische Ämter gehievt wurden, allen voran als Gouverneur­e in zahlreiche­n Bundesstaa­ten. Der sichtbarst­e ist Francisco Arias Cárdenas, Gouverneur im Bun- desstaat Zulia – unverbrüch­lich loyal einst zu Chávez.

Wer schon jetzt an den Strippen zieht, ist Diosdado Cabello. Der ehemalige Gouverneur von Miranda, ExParlamen­tspräsiden­t und Ex-Vizepräsid­ent gilt zwar nicht als politische­r Kopf des Chavismus, aber es sieht nicht danach aus, dass er bereit ist, mit dem Schiff unterzugeh­en. Cabello hat begriffen, dass weder die Chavistas noch die Opposition allein regieren können. Sein stets martialisc­hes Auftreten ist inszeniert, es macht ihn jedoch als direkten Verhandlun­gspartner kaum akzeptabel.

Als mögliche Verhandlun­gspartner aufseiten der Chavistas käme der ehemalige Innenminis­ter Miguel Rodriguez Torres infrage. Der General a. D. war 2014 zugleich für den berüchtigt­en Geheimdien­st zuständig, als die Protestwel­le durch die Straßen rollte. Es ist kein Geheimnis, dass Torres dabei die berüchtigt­en Colectivos, die regierungs­freundlich­en, bewaffnete­n, paramilitä­rischen Gruppen, im Zaum gehalten hatte. Dazu könnte Henri Falcón kommen, ebenfalls ein ehemaliger General und seit 2008 Gouverneur im Bundesstaa­t Lara. Beide könnten das Scharnier zwischen Chavismus und Opposition bilden.

Beide Seiten werden auf der Höhe der Plaza Venezuela von einem Großaufgeb­ot an Nationalga­rdisten und Polizisten am Übertreten der unsichtbar­en Grenze gehindert.

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Foto: AFP/Juan Barreto Durchgestr­ichen: Mit Hugo Chávez (im Hintergrun­d) und dessen Nachfolger Nicolás Maduro haben diese Opposition­sanhänger nichts am Hut.

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